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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 243<br />

vom Rost zerfressen wird wie das Gold und dabei billig und hart ist wie das Eisen! Wie kläglich<br />

ist die Schönheit lebendiger [505] Menschen, unserer Verwandten und Bekannten, im<br />

Vergleich mit der Schönheit der göttlichen Wesen des Luftreichs, all dieser unaussprechlich<br />

unvorstellbar schönen Sylphen, Huris, Peris und ihresgleichen! Läßt sich etwas anderes sagen,<br />

als daß die Wirklichkeit ein Nichts ist gegenüber dem, wozu die Phantasie sich aufschwingt<br />

Dabei übersieht man jedoch eins: wir können uns alle diese Huris, Peris und Sylphen<br />

entschieden nicht anders vorstellen als mit den ganz gewöhnlichen Zügen wirklicher<br />

Menschen, und so sehr wir auch unserer Einbildungskraft einschärfen: „Stelle mir etwas vor,<br />

was schöner ist als der Mensch!“, so wird sie mir doch einen Menschen vorstellen, und nur<br />

einen Menschen, obwohl sie prahlerisch behauptet, sie stelle mir keinen Menschen vor, sondern<br />

irgendein viel schöneres Wesen. Oder sie bricht, wenn sie sich einmal aufrafft, etwas<br />

völlig Selbständiges zu schaffen, was in der Wirklichkeit nichts Entsprechendes hat, völlig<br />

machtlos zusammen, indem sie uns ein nebelhaftes, blasses und unbestimmtes Phantom vorführt,<br />

in dem wir absolut nichts erkennen können. Das hat die Wissenschaft in jüngster Zeit<br />

bemerkt und hat als Grundtatsache sowohl der Wissenschaft wie aller übrigen Gebiete der<br />

menschlichen Tätigkeit festgestellt, daß der Mensch sich nichts Höheres und Besseres vorstellen<br />

kann als das, was ihm in der Wirklichkeit begegnet. Was man aber nicht kennt, wovon<br />

man nicht die geringste Vorstellung hat, das kann man auch nicht wünschen.<br />

Solange diese wichtige Tatsache nicht erkannt war, glaubte man den phantastischen Träumen<br />

„buchstäblich“ aufs Wort, ohne zu untersuchen, ob diese Worte irgendeinen Sinn darstellen,<br />

ob sie irgend etwas liefern, was einer bestimmten Gestalt gleichkommt, oder ob sie nur leere<br />

Worte bleiben. Der Schwulst dieser leeren Phrasen galt als Gewähr für ihre Überlegenheit<br />

über die Wirklichkeit, und alle menschlichen Bedürfnisse und Bestrebungen wurden als Streben<br />

nach nebelhaften und jeder wesentlichen Bedeutung baren Phantomen erklärt. Das war<br />

die Zeit des Idealismus im weitesten Sinne des Wortes.<br />

Zu den Hirngespinsten, die so in die Wissenschaft hineingetragen wurden, gehörte das Hirngespinst<br />

der [506] phantastischen Vollkommenheit: „Der Mensch läßt sich nur durch das Absolute<br />

befriedigen, er verlangt unbedingte Vollkommenheit.“ Bei Herrn Tschernyschewski<br />

finden wir wieder an einigen Stellen kurze, flüchtige Bemerkungen hierüber. Die Meinung,<br />

der Mensch brauche unbedingt „Vollkommenheit“, sagt er (Seite 39 [408]), ist phantastisch,<br />

wenn man unter „Vollkommenheit“ eine Art des Gegenstandes versteht (wie man auch wirklich<br />

tut) ‚ die sämtliche möglichen Vorzüge enthält und aller Mängel bar ist, die die müßige<br />

Phantasie eines Menschen mit kaltem oder blasiertem Herzen vor lauter Nichtstun an dem<br />

Gegenstand ausfindig machen kann. Nein fährt er an einer anderen Stelle fort (Seite 48<br />

[420]) –‚ das praktische Leben des Menschen überzeugt uns davon, daß er nur annähernde<br />

Vollkommenheit sucht, die, streng genommen, nicht einmal Vollkommenheit genannt werden<br />

darf. Der Mensch sucht nur das „Gute“, aber nicht das „Vollkommene“. Vollkommenheit<br />

fordert nur die reine Mathematik; selbst die angewandte Mathematik gibt sich mit annähernden<br />

Berechnungen zufrieden. Vollkommenheit in irgendeiner Lebenssphäre zu suchen, ist<br />

Sache einer abstrakten, krankhaften oder müßigen Phantasie. Wir möchten reine Luft atmen;<br />

aber achten wir darauf, daß es absolut reine Luft nirgends und niemals gibt Sie enthält doch<br />

stets eine Beimischung von giftiger Kohlensäure und anderen schädlichen Gasen, jedoch in<br />

so geringer Menge, daß sie nicht auf unseren Organismus wirken und uns deshalb nicht im<br />

geringsten stören. Wir möchten reines Wasser trinken, aber das Wasser der Bäche, Flüsse und<br />

Quellen enthält stets mineralische Zusätze; sobald sie gering sind (wie es stets bei gutem<br />

Wasser der Fall ist), stören sie durchaus nicht unseren Genuß, wenn wir unseren Durst mit<br />

Wasser stillen. Vollkommen reines (destilliertes) Wasser dagegen schmeckt sogar unangenehm.<br />

Diese Beispiele sind zu materiell Führen wir andere an: kommt etwa irgend jemand<br />

auf den Gedanken, einen Menschen unwissend zu nennen, weil er nicht alles auf der Welt<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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