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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 24<br />

wirklich im Ernst [107] daran zweifeln, daß an den Polen keine Papageien leben Die Papageien<br />

brauchen eine mittlere Jahrestemperatur von 15 bis 18 Grad über Null; wenn es aber<br />

am Nordpol eine solche Temperatur gäbe, würde Grönland mindestens ein ebenso warmes<br />

Klima haben wie Italien. Oder kann man daran zweifeln, daß es in den der Erdmitte benachbarten<br />

Schichten der Erde keine Pflanzenorganismen gibt Um dort existieren zu können,<br />

brauchten sie eine Temperatur, die nicht über den Siedepunkt des Wassers hinausgeht, weil<br />

sie ohne Wasser nicht existieren können; wenn die Temperatur dort jedoch unter dem Siedepunkt<br />

des Wassers läge, würden wir nicht finden, daß die Temperatur der von uns erforschten<br />

Erdrinde immer höher steigt, je tiefer wir eindringen.<br />

Warum halten wir uns so lange bei Erscheinungen und Schlußfolgerungen auf, die jedermann<br />

kennt Einfach deshalb, weil zu viele Menschen, des systematischen Denkens ungewohnt, zu<br />

sehr dazu neigen, den Sinn der allgemeinen Gesetze, der mit dem Sinn der von ihnen verstandenen<br />

Einzelphänomene zusammenfällt, nicht zu bemerken. Wir möchten die Kraft eines<br />

dieser allgemeinen Gesetze ganz besonders hervorheben: wenn wir bei dem heutigen Stand<br />

der wissenschaftlichen Induktion (der logischen Schlußfolgerungen vom Besonderen auf das<br />

Allgemeine) in den meisten Fällen noch nicht imstande sind, auf Grund des von uns erforschten<br />

Teiles eines Gegenstandes mit Sicherheit zu bestimmen, welchen Charakter sein nicht<br />

erforschter Teil besitzt, so können wir bereits mit Sicherheit feststellen, welchen Charakter er<br />

nicht besitzen kann. Unsere positiven Schlüsse vom Charakter des Bekannten auf den Charakter<br />

des Unbekannten tragen beim heutigen Zustand der Wissenschaften den Charakter von<br />

Vermutungen, die Fehler enthalten können und umstritten sind; die negativen Schlüsse dagegen<br />

sind bereits absolut zuverlässig. Wir können nicht sagen, als was sich genau das herausstellen<br />

wird, was uns noch unbekannt ist; aber wir wissen bereits, als was es sich nicht herausstellen<br />

kann.<br />

Die phantastischen Hypothesen, die durch solche negativen Schlüsse in der Chemie, in der<br />

Geographie, in der Geologie über den Haufen geworfen werden, lohnen bereits [108] keinen<br />

Kampf mehr, weil jeder nur einigermaßen gebildete Mensch sie als Hirngespinste anerkennt.<br />

Der Geograph muß nicht erst beweisen, daß es an den Polen keine Affen, in Zentralafrika keine<br />

Menschen ohne Kopf und in Zentralaustralien keine Flüsse gibt, die von unten nach oben<br />

fließen, daß sich im Innern der Erde keine Märchengärten und keine Zyklopen befinden, die<br />

dem Achilles unter der Aufsicht des Vulkans Waffen schmieden. Aber der logisch denkende<br />

Mensch betrachtet mit den gleichen Augen auch die phantastischen Hypothesen in den anderen<br />

Wissenschaften: er sieht auch in ihnen Hirngespinste, die mit dem heutigen Stand des<br />

Wissens unvereinbar sind. Wie man sagt, haben die Entdeckungen, die Kopernikus auf dem<br />

Gebiet der Astronomie gemacht hat, die Auffassung des Menschen von Gegenständen verändert,<br />

die dem Anschein nach der Astronomie sehr fernstehen. 7 Genau die gleiche Veränderung<br />

in genau der gleichen Richtung, nur in weitaus größerem Ausmaß, haben die modernen chemischen<br />

und physiologischen Forschungen zur Folge gehabt: sie ändern die Auffassung des<br />

Menschen von Gegenständen, die dem Anschein nach sehr wenig mit Chemie zu tun haben.<br />

Wir wollen versuchen, im nächsten Aufsatz darzulegen, wie die heutigen Denker, die dem<br />

Geist der Wissenschaft treu sind, über jenen Teil der philosophischen Probleme denken, der<br />

Gegenstand der Broschüre Herrn Lawrows ist. Um das Ende des vorliegenden Aufsatzes einigermaßen<br />

mit seinem Anfang in Einklang zu bringen, wollen wir uns jetzt in Gedanken noch<br />

einmal den zukünftigen Geschicken Westeuropas zuwenden, von denen wir anläßlich der von<br />

Herrn Lawrow aus Mill und Proudhon angeführten Zitate über die der Menschheit des Westens<br />

angeblich drohenden betrüblichen Perspektive zu reden gezwungen waren. Chemie,<br />

7 Gemeint ist der vernichtende Schlag, den Kopernikus der Religion mit seiner Entdeckung der Drehung der<br />

Erde um die Sonne versetzte.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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