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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 238<br />

das ist das Kennzeichen der heute in der Wissenschaft herrschenden Richtung“, sagt der Autor,<br />

und er hält es für „notwendig, auch unsere ästhetischen Grundsätze auf diesen Nenner zu<br />

bringen.“ Um dieses Ziel zu erreichen, analysiert er zunächst die früheren Auffassungen vom<br />

Wesen des Schönen, des Erhabenen und des Tragischen, vom Verhältnis der Phantasie zur<br />

Wirklichkeit, von der Überlegenheit der Kunst über die Wirklichkeit, vom Inhalt und von der<br />

wesentlichen Bestimmung der Kunst oder von dem Bedürfnis, dem das Streben des Menschen<br />

nach dem Schaffen von Kunstwerken entspringt. Nachdem er, wie ihm scheint, entdeckt<br />

hat, daß diese Auffassungen der Kritik nicht standhalten, ist er bestrebt, aus der Analyse<br />

der Tatsachen eine neue Auffassung zu gewinnen, die nach seiner Meinung dem allgemeinen<br />

Charakter der in unserer Zeit in der Wissenschaft anerkannten Ideen besser entspricht.<br />

Wir haben bereits gesagt, daß wir nicht entscheiden wollen, wieweit die Meinungen des Autors<br />

richtig oder unrichtig sind, und uns darauf beschränken, sie darzulegen, wobei wir auf<br />

die Mängel hinweisen, die uns besonders aufgefallen sind. Literatur und Dichtkunst haben für<br />

uns Russen eine so riesige Bedeutung wie, das kann man mit Gewißheit sagen, nirgendswo<br />

anders, und die Fragen, die der Autor berührt, verdienen deshalb, scheint es uns, die Aufmerksamkeit<br />

der Leser.<br />

Aber verdienen sie sie wirklich – Daran ist einiger Zweifel erlaubt, weil offenbar der Autor<br />

selbst nicht ganz davon überzeugt ist. Er hält es für nötig, die Wahl des Gegenstandes seiner<br />

Untersuchung zu rechtfertigen:<br />

„Wir leben im Jahrhundert der Monographien“, sagt er im Vorwort, „und unserem Werk<br />

kann vorgeworfen werden [496] es sei nicht zeitgemäß... Warum hat der Autor eine so allgemeine,<br />

so umfassende Frage, wie die ästhetischen Beziehungen der Kunst zur Wirklichkeit,<br />

zum Gegenstand seiner Untersuchung gemacht Warum hat er nicht irgendeine Spezialfrage<br />

gewählt, wie man das heutzutage meistens zu tun pflegt“ „Es scheint dem Autor“, antwortet<br />

er zu seiner Rechtfertigung, „daß die Behandlung der Grundfragen einer Wissenschaft nur<br />

dann unfruchtbar ist, wenn sich über sie nichts Neues und Grundlegendes sagen läßt... Aber<br />

wenn das Material für eine neue Betrachtungsweise der Grundfragen unserer Spezialwissenschaft<br />

ausgearbeitet ist, können und müssen diese Grundideen ausgesprochen werden, wenn<br />

es sich überhaupt noch lohnt, von der Ästhetik zu reden.“<br />

Uns dagegen scheint, daß sich der Autor entweder nicht ganz über die Lage der Dinge im<br />

klaren oder daß er sehr verschlossen ist. Uns scheint, daß er es lieber so hätte machen sollen<br />

wie ein Schriftsteller, der seinem Werk ein Vorwort folgender Art vorausschickte: „Meine<br />

Werke sind alter Plunder, denn es lohnt sich heute gar nicht, von den Dingen zu reden, deren<br />

Wesen ich enthülle; da viele Menschen jedoch nichts Besseres zu tun haben, wird die von mir<br />

unternommene Ausgabe für sie nicht ohne Nutzen sein.“ *<br />

Wenn Herr Tschernyschewski sich diese Offenherzigkeit zum Vorbild hätte nehmen wollen,<br />

würde er in seinem Vorwort gesagt haben: „Ich muß gestehen, daß es nicht besonders nötig<br />

ist, in unserer Zeit ästhetische Fragen zu behandeln, wo diese in der Wissenschaft an zweiter<br />

Stelle stehen; da jedoch viele Autoren über Dinge schreiben, die noch weniger eigentlichen<br />

Inhalt haben, war auch ich vollauf berechtigt, über die Ästhetik zu schreiben, die für das<br />

Denken zweifellos noch ein gewisses Interesse besitzt.“ Er hätte auch sagen können: „Gewiß<br />

gibt es Wissenschaften, die interessanter sind als die Ästhetik; es ist mir jedoch nicht gelungen,<br />

etwas über sie zu schreiben; auch andere schrei-[497]ben nicht über sie; da aber ‚der<br />

Mensch in Ermangelung eines Besseren sich mit dem Schlechteren begnügt‘ (siehe ‚Die<br />

ästhetischen Beziehungen der Kunst zur Wirklichkeit‘, Seite 86 [469] ** )‚ müssen auch Sie,<br />

* Paraphrase des Vorworts von Ludwig Feuerbach zur ersten Gesamtausgabe seiner Werke (1846). Die Red.<br />

** Die zweite Zahl (in eckigen Klammern) bezeichnet jeweils die betreffende Seite des vorliegenden Buches.<br />

Die Red.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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