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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 227<br />

wird ständig in der Literatur und im Leben geäußert. 76 Wenn man es für nötig hält, das Schöne<br />

als den vorwiegenden oder, genauer gesagt, den einzigen wesentlichen Inhalt der Kunst zu bestimmen,<br />

so liegt 77 der wahre Grund hierfür in der unscharfen Unterscheidung zwischen dem<br />

Schönen als Objekt der Kunst und der schönen Form verborgen, die wirklich eine unumgängliche<br />

Eigenschaft eines jeden Kunstwerkes ist. 78 Aber diese formale Schönheit oder die Einheit<br />

von Idee und Bild, von Inhalt und Form ist nicht eine spezielle Besonderheit, die die Kunst von<br />

anderen Gebieten der menschlichen Tätigkeit unterscheidet. Das Handeln des Menschen hat<br />

stets einen Zweck, der das Wesen des Tuns darstellt; die Bewertung unseres Tuns hängt vom<br />

Grad der (Übereinstimmung unseres Tuns mit dem Zweck ab, den [478] wir mit ihm erreichen<br />

wollten; jedes menschliche Werk wird nach dem Grad der Vollkommenheit der Ausführung<br />

bewertet. Das ist ein allgemeines Gesetz sowohl für das Handwerk wie für die Industrie, für die<br />

wissenschaftliche Tätigkeit usw. Es ist auch auf die Schöpfungen der Kunst anzuwenden: der<br />

Künstler ist (bewußt oder unbewußt, das ist gleich) bestrebt, eine bestimmte Seite des Lebens<br />

für uns nachzubilden; selbstverständlich hängt der Wert seines Werkes davon ab, wie er seine<br />

Aufgabe erfüllt. „Das Kunstwerk strebt nach der Harmonie von Idee und Bild“ nicht mehr und<br />

nicht weniger als das Erzeugnis des Schusterhandwerks, des Juweliergewerbes, der Kalligraphie,<br />

der Baukunst, der sittlichen Entschlußkraft. „Jede Arbeit muß gut ausgeführt sein“ – das ist<br />

der Sinn des Satzes „Harmonie von Idee und Bild“. Es ist also: 1. das Schöne als Einheit von<br />

Idee und Bild durchaus keine charakteristische Besonderheit der Kunst in dem Sinne, den die<br />

Ästhetik diesem Wort beilegt; 2. „die Einheit von Idee und Bild“ bestimmt einzig die formale<br />

Seite der Kunst und bezieht sich nicht im geringsten auf ihren Inhalt; sie spricht davon, wie etwas<br />

ausgeführt sein soll, und nicht davon, was ausgeführt wird. Wir haben jedoch schon bemerkt,<br />

daß in diesem Satz wichtig das Wort „Bild“ ist – es will sagen, daß die Kunst die Idee<br />

nicht durch abstrakte Begriffe ausdrückt, sondern durch die lebendige individuelle Tatsache;<br />

wenn wir sagen: „die Kunst ist die Nachbildung der Natur und des Lebens“, sagen wir das gleiche:<br />

in der Natur und im Leben gibt es nichts abstrakt Existierendes; in ihnen ist alles konkret;<br />

die Nachbildung soll nach Möglichkeit das Wesen des Nachgebildeten bewahren; deshalb soll<br />

das Kunstwerk danach streben, möglichst wenig Abstraktes zu enthalten, nach Möglichkeit alles<br />

konkret, in lebendigen Bildern, in individuellen Gestalten auszudrücken. (Eine ganz andere Frage<br />

ist: kann die Kunst dies vollständig erreichen Die Malerei, die Bildhauerei und die Musik<br />

erreichen es; die Dichtung kann und darf sich nicht immer allzusehr um Plastik der Einzelheiten<br />

bemühen: es genügt schon, wenn das Dichtwerk überhaupt, im ganzen genommen, plastisch ist;<br />

76 Nach diesem Satz heißt es im Manuskript weiter: „Selbst jene Ästhetiker, die den Inhalt der Kunst auf das Schöne<br />

beschränken wollen, wenden sich nur deshalb dagegen, daß man der Kunst weitere Grenzen setzt, weil sie<br />

fürchten, daß wir ihr, wenn wir sagen: ‚Inhalt der Kunst ist alles, was für den Menschen im Leben interessant ist‘,<br />

allzu unsichere, allzu subjektive Grenzen setzen. Eins ist richtig: selbst innerhalb einer bestimmten Epoche interessiert<br />

der Mensch sich für sehr verschiedenartige Dinge und Ereignisse; die Verschiedenartigkeit wird noch größer,<br />

wenn wir den Menschen auf verschiedenen Entwicklungsstufen nehmen; es ist jedoch ebenso richtig, daß die ganze<br />

Vielfalt der den Menschen interessierenden Dinge und Ereignisse, Fragen und Seiten des Lebens den Inhalt der<br />

Kunst ausmachen; und auch wenn die von uns angenommene Auffassung vom Inhalt der Kunst ihr unscharfe,<br />

schwankende Grenzen setzte, wäre sie trotzdem richtig; unbestimmte Grenzen sind bei keiner Tatsache ein Hindernis<br />

für Einheit und Richtigkeit. Eine ganz strenge Untersuchung der Beziehungen der Kunst zur Philosophie,<br />

zur Geschichte und zu den darstellenden Wissenschaften würde vielleicht beweisen, daß man auch bei unserer<br />

weiten Definition die Kunst dem Inhalt nach ziemlich genau von den anderen Richtungen des menschlichen Geistes<br />

abgrenzen kann – zumindest nicht weniger genau, als diese Grenzen früher bestimmt wurden. Aber das würde<br />

uns zu einer allzu langen und zudem im vorliegenden Falle kaum nötigen Abschweifung verleiten.“<br />

77 Nach dem Wort „so“ heißt es im Manuskript weiter: „schwerlich deswegen, weil man fürchtete, der Kunst die<br />

bestimmten Grenzen und den besonderen Inhalt zu nehmen. Wie uns scheint...“<br />

78 Nach diesem Satz heißt es im Manuskript weiter: „In der Tat, wenn wir unter dem Schönen die vollkommene<br />

Verwirklichung der Idee oder die völlige Einheit von Inhalt und Form verstehen, wie man das gewöhnlich tut,<br />

dann sind wir völlig im Recht, wenn wir sagen, daß das Schöne notwendiges Attribut eines jeden Kunstwerks<br />

ist. Dabei dürfen jedoch zwei Umstände nicht vergessen werden. Der erste Umstand ist der, daß...“<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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