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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 207<br />

drucks jedoch werden von der Malerei außerordentlich unbefriedigend wiedergegeben; denn<br />

niemals kann sie die Zartheit der Striche, die Harmonie aller kleinsten Veränderungen in den<br />

Muskeln erreichen, von denen der Ausdruck sanfter Freude, stiller Nachdenklichkeit, beschwingter<br />

Fröhlichkeit usw. abhängt. 50 Die menschlichen Hände sind grob und können befriedigend<br />

nur das ausführen, wozu keine allzu vollendete Formgebung erforderlich ist;<br />

„plump gemacht“ – das ist die richtige Bezeichnung für alle bildenden Künste, sobald wir sie<br />

mit der Natur vergleichen. 51 Übrigens ist die Malerei (und auch die Bildhauerei) der [442]<br />

Natur gegenüber mehr noch als auf die Formen oder den Ausdruck ihrer Gestalten auf deren<br />

Gruppierung stolz. Doch dieser Stolz ist noch weniger verständlich. Zuweilen gewiß glückt<br />

es der Kunst, ihre Gestalten einwandfrei zu gruppieren, doch sollte sie sich mit diesen außerordentlich<br />

seltenen Erfolgen nicht allzusehr brüsten; denn in der Wirklichkeit gibt es in dieser<br />

Beziehung niemals Mißerfolge: in jeder Gruppe lebender Menschen halten sich alle vollkommen<br />

entsprechend 1. dem Wesen der Szene, die sich zwischen ihnen abspielt, 2. dem<br />

Wesen ihres eigenen Charakters und 3. den Umständen der Situation. Das alles wird im wirklichen<br />

Leben stets ganz von selber eingehalten, aber nur mit größter Mühe in der Kunst erreicht.<br />

„Stets und von selbst“ in der Natur, „sehr selten und mit größter Kraftanspannung“ in<br />

der Kunst – das ist eine Tatsache, die für die Natur und die Kunst fast in jeder Beziehung<br />

kennzeichnend ist. 52<br />

Wenden wir uns der Malerei zu, die die Natur darstellt. Wieder können weder mit der Hand<br />

gezeichnete noch auch in der Einbildung vorgestellte Formen von Gegenständen schöner<br />

sein, als sie in der Wirklichkeit sind; den Grund haben wir weiter oben angegeben. Etwas<br />

Schöneres als die wirkliche Rose kann sich die Einbildungskraft nicht vorstellen; die Ausführung<br />

bleibt aber stets hinter dem vorgestellten Ideal zurück. Die Farben einiger Gegenstände<br />

gelingen der Malerei sehr gut; es gibt aber viele Dinge, deren Kolorit sie nicht wiederzugeben<br />

vermag. Im allgemeinen gelingen ihr besser dunkle Farben und grobe, harte Töne; helle<br />

schlechter; das Kolorit von sonnenbeschienenen Gegenständen am schlechtesten; ebenso<br />

mißglücken die Töne des blauen, mittäglichen Himmels, die rosigen und goldigen Töne des<br />

Morgens und des Abends. „Aber gerade durch die Überwindung dieser Schwierigkeiten haben<br />

sich die großen Künstler Ruhm erworben“ – d. h. dadurch, daß sie sie wesentlich besser<br />

überwanden als andere Maler. Wir sprechen nicht vom relativen Wert der Schöpfungen der<br />

Malerei, sondern vergleichen die besten von ihnen mit der Natur. Soviel wie die besten von<br />

ihnen besser sind als andere, soviel bleiben sie hinter der Natur zurück. 53 „Aber die Malerei<br />

50 Nach diesem Satz heißt es im Manuskript weiter: „Und warum die Malerei nicht imstande ist, etwas Stilles,<br />

Sanftes, Erhabenes befriedigend wiederzugeben, ist leicht einzusehen: ihre Mittel sind zu grob, es bedarf einer<br />

mikroskopischen Zartheit des Details, um die mikroskopisch zarten, feinen, harmonischen Spannungen und<br />

Entspannungen der Muskeln, das kaum merkliche Zunehmen der Blässe oder der Röte, die Mattigkeit oder die<br />

lebendige Frische des Gesichtskolorits wiederzugeben.“<br />

51 Nach diesem Satz heißt es im Manuskript weiter: „Man kann sagen, daß das alles längst bekannt ist und daß<br />

ich Gemeinplätze wiederhole. Eine solche Bemerkung wäre einerseits berechtigt. Jedermann ist überzeugt, daß<br />

die Kunst mit der Natur nicht wetteifern kann, daß ‚die Natur ein größerer Künstler ist als alle Maler‘; sonderbarerweise<br />

aber sagt fast jedermann nach wie vor, sowohl die Formen als auch der Ausdruck der in Stein gehauenen<br />

oder gemalten Menschen seien ‚edler, schöner, vollkommener‘ als das, was man bei lebendigen Menschen<br />

findet. Im allgemeinen lohnt es sich nicht, über die ‚Neuheit‘ der eigenen Gedanken zu streiten: wenn sie<br />

alt und allgemein anerkannt sind – um so besser. Leider läßt sich das jedoch in diesem Falle schwerlich behaupten,<br />

weil man gewöhnlich ganz entgegengesetzte Gedanken zu hören und zu lesen bekommt.“<br />

52 Nach diesem Satz heißt es im Manuskript weiter: „Der Mensch bringt es fast niemals fertig, einen Stein direkt<br />

senkrecht zu werfen; von sich aus fällt der Stein in der Wirklichkeit stets in vollkommen senkrechter Linie;<br />

gelingt es schließlich jemandem einmal, einen Stein ebenso senkrecht zu werfen, so kann er sich damit nur vor<br />

andern Menschen brüsten, die es nicht zustande bringen, nicht aber vor der Natur, die es stets ohne die geringsten<br />

Anstrengungen so macht.“<br />

53 Weiter heißt es im Manuskript: „Als Resultat ergibt sich das gleiche wie oben: die Malerei kann die Dinge<br />

nicht befriedigend in der Gestalt darstellen, die sie in der Wirklichkeit haben.“<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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