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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 202<br />

man an fast allen Kunstwerken finden, so leicht sie auch auf den ersten Blick scheinen mögen.<br />

Wenn sie aber tatsächlich ohne große, schwere Arbeit geschaffen wurden, so werden sie<br />

an einer gewissen Roheit der Form leiden. Und so gibt es zwei Möglichkeiten: entweder rohe<br />

Form oder Schwere – da haben wir die Szylla und Charybdis der Kunstwerke.<br />

[433] Ich will nicht sagen, daß alle in dieser Analyse aufgeführten Mängel stets bis zur Grobheit<br />

deutlich an allen Kunstwerken ausgeprägt sind. 43 Ich will nur zeigen, daß der am Wirklichkeitsschönen<br />

geübten, überempfindlichen Kritik auch das von der Kunst geschaffene<br />

Schöne absolut nicht standhält.<br />

Aus dem Überblick, den wir gegeben haben, läßt sich ersehen, daß, wenn die Kunst der Unzufriedenheit<br />

unseres Geistes mit den Mängeln des Schönen in der lebendigen Wirklichkeit<br />

und dem Bestreben entspränge, etwas Besseres zu schaffen, die ganze ästhetische Betätigung<br />

des Menschen vergeblich und fruchtlos wäre, und der Mensch, in der Erkenntnis, daß die<br />

Kunst seine Absichten nicht befriedigt, bald auf sie verzichten würde. Ganz allgemein gesprochen<br />

leiden die Werke der Kunst an allen Mängeln, die an dem Schönen der lebendigen<br />

Wirklichkeit zu finden sind; aber vielleicht haben, wenn die Kunst als Ganzes kein Recht auf<br />

Bevorzugung gegenüber der Natur und dem Leben hat, einige Künste im besonderen irgendwelche<br />

speziellen Vorzüge, die ihre Werke über die entsprechenden Erscheinungen der lebendigen<br />

Wirklichkeit stellen vielleicht bringt sogar die eine oder andere Kunst etwas hervor,<br />

was in der realen Welt nicht seinesgleichen hat Diese Fragen werden durch unsere allgemeine<br />

Kritik noch nicht beantwortet, und wir müssen 44 einzelne Fälle untersuchen, um zu<br />

erkennen, welches die Beziehung des Schönen in bestimmten Künsten zum Schönen in der<br />

Wirklichkeit ist, das die Natur unabhängig vom Streben des Menschen nach dem Schönen<br />

hervorbringt. Nur diese Betrachtung wird uns eine positive Antwort darauf geben, ob die Entstehung<br />

der Kunst sich aus der Unzulänglichkeit der lebendigen Wirklichkeit in ästhetischer<br />

Hinsicht erklären läßt. 45<br />

Man beginnt die Reihe der Künste gewöhnlich mit der Architektur, indem man von all den<br />

vielfältigen Betätigungen des Menschen zur Verwirklichung mehr oder minder praktischer<br />

Zwecke einzig der Bautätigkeit das Recht einräumt, sich bis zur Kunst zu erheben. Es ist jedoch<br />

unrichtig, das Feld der Kunst so einzuengen, wenn unter „Kunstwerken“ Gegenstände<br />

verstanden werden, „die der Mensch [434] unter dem vorherrschenden Einfluß seines Strebens<br />

nach dem Schönen herstellt“ – es gibt einen Entwicklungsgrad des ästhetischen Empfindens<br />

im Volk oder, richtiger gesagt, in den Kreisen der höchsten Gesellschaft, wo unter dem<br />

vorwiegenden Einfluß dieses Strebens fast alle Gegenstände der menschlichen Produktivität<br />

ersonnen und ausgeführt werden: Dinge, die der Bequemlichkeit des häuslichen Lebens dienen<br />

(Möbel, Geschirr, Hauseinrichtung) ‚ Kleider, Gärten usw. Etruskische Vasen und Toilettengegenstände<br />

der Antike werden allgemein als „Kunstwerke“ anerkannt; man rechnet sie,<br />

natürlich nicht ganz zu Recht, dem Gebiet der „Bildhauerei“ zu; aber wir können doch die<br />

Kunst des Möbelbaus nicht etwa der Architektur zuzählen Welchem Gebiet werden wir die<br />

43 Nach diesen Worten heißt es im Manuskript weiter: „Ich will nur sagen: wenn man die Mängel der Kunstwerke<br />

so durch das Mikroskop betrachten wollte wie die Ästhetiker, welche der Kunst-schönheit den Vorzug vor<br />

der Wirklichkeitsschönheit geben, die Mängel des Wirklichkeitsschönen durchs Mikroskop betrachten, ließe<br />

sich sehr viel gegen die Schönheit der Kunstwerke sagen, viel mehr als gegen die Schönheit der Schöpfungen<br />

der Natur und des Lebens.“<br />

44 Im Manuskript sind vor den Worten „wir müssen“ folgende Worte gestrichen: „wir glauben also, daß die<br />

Meinung, das von der Kunst geschaffene Schöne sei überhaupt höher zu stellen als das von der Natur und dem<br />

Leben hervorgebrachte Schöne, von der Wissenschaft nicht als ein auf alle Einzelfälle anwendbares Axiom an<br />

genommen werden kann. Wir müssen jetzt solche...“<br />

45 Hinter diesem Satz heißt es im Manuskript: „Nur wenn wir den Inhalt, die wesentlichen Vorzüge und Mängel<br />

der einzelnen Künste betrachten, können wir darangehen, die Frage nach der Bestimmung der Kunst überhaupt<br />

zu beantworten.“<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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