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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 20<br />

Beispiel Wärme; die Wärmemenge, die sich beim Verbrennen auf einige Stunden konzentriert<br />

hätte, verdünnt sich hier jedoch (wenn man so sagen kann) auf mehrere Jahrzehnte und führt<br />

somit zu keinem in der Praxis irgendwie bemerkbaren Resultat; die Existenz dieser Wärme ist<br />

für das praktische Urteil verschwindend klein. Solche Wärme läßt sich mit dem Weingeschmack<br />

eines Teiches vergleichen, in den man einen Tropfen Wein gegossen hat: wissenschaftlich<br />

betrachtet enthält der Teich ein Gemisch von Wasser und Wein; in der Praxis muß<br />

man anerkennen, daß er eigentlich so gut wie keinen Wein enthält.<br />

Der Leser wird vielleicht sagen, daß unsere Überlegungen genau so zutreffend sind wie Überlegungen<br />

darüber, daß die Erde sich um die Sonne dreht, daß es an den Polen kalt und unter<br />

den Wendekreisen heiß ist – aber auch genau so Wenig zur Sache gehören. Der Leser hat<br />

zweifellos recht, wenn er uns jetzt leeres Gerede vorwirft. Es ist jedoch leichter, bei sich selber<br />

einen Fehler zu bemerken oder Leuten recht zu geben, die einen auf diesen Fehler aufmerksam<br />

machen, als sich von dem Fehler zu befreien. Der Mensch neigt im allgemeinen<br />

dazu, sich mit der Kenntnis von Dingen zu brüsten, die er im Grunde recht wenig kennt, und<br />

liebt es, sein angebliches Wissen bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit anzubringen;<br />

warum sollten eigentlich wir diesen Fehler nicht haben Und wenn wir ihn schon<br />

einmal haben, warum sollen wir ihn dann nicht zur Schau tragen Soll er ruhig zum Vorschein<br />

kommen – wir werden unsere nicht zur Sache gehörigen Überlegungen aus dem Gebiet<br />

der Naturwissenschaften, von denen wir wenig verstehen, so lange vorbringen, bis uns<br />

diese Prahlerei über ist – dann werden wir uns irgendeine andere Sache vornehmen, von der<br />

wir vielleicht ebensowenig etwas verstehen, wie zum Beispiel meinetwegen die Moralphilosophie.<br />

Der Leser wird [100] denken: es muß doch recht schwer sein, einen Übergang von<br />

der Chemie zu den gesellschaftlichen Institutionen zu finden. Als ob es wirklich so schwer<br />

wäre, einen Satz zu finden, der völlig unvereinbare Teile einer Überlegung miteinander verbindet!<br />

Wenn es uns Spaß macht, statt von Chemie von Philosophie zu reden, werden wir<br />

einfach schreiben: „Nachdem wir uns also bisher mit dem da beschäftigt haben, werden wir<br />

zu dem da übergehen“, und die Sache ist in Ordnung – ein befriedigender Übergang ist gefunden.<br />

Machen etwa die allerberühmtesten Autoritäten nicht ständig genau solche Übergänge:<br />

sie schreiben zwei Sätze, die wirklich nicht das geringste miteinander zu tun haben, setzen<br />

ein „also“ oder „folglich“ zwischen die beiden Sätze – und fertig ist der Syllogismus, und<br />

alles ist bewiesen.<br />

Wir spüren aber, daß unser Verlangen, statt von Philosophie von den Naturwissenschaften zu<br />

reden, die, wie der Leser ganz richtig bemerkt hat, absolut nicht zur Sache gehören, noch für<br />

einige Seiten ausreicht. Ein Umstand macht uns jedoch bedenklich: wir haben bereits den<br />

ganzen mageren Vorrat unserer Kenntnisse von den chemischen Verbindungen und Prozessen<br />

verausgabt; wir haben hierüber nichts mehr zu sagen und möchten doch so schrecklich<br />

gern weiterreden. Dieses Verlangen zieht uns denn auch aus der Patsche: „Hast du alles gesagt,<br />

was du über eine Sache weißt“, flüstert es uns ins Ohr, „nimm dir die erste beste andere<br />

vor.“ Wir haben diesen guten Rat befolgt. Laßt uns denn, sagen wir, über die Reiche der Natur<br />

reden: irgend etwas weiß jeder von ihnen, wenn auch manchmal recht wenig; ein bißchen<br />

was wissen auch wir und spüren dabei schon selber, daß es recht wenig ist – aber für ein paar<br />

Seiten wird’s schon ausreichen. Aber da hat uns schon das Verlangen, uns möglichst lange<br />

vor dem eigentlichen Gegenstand dessen, was wir sagen wollen, herumzudrücken, um möglichst<br />

viel Zeug daherzureden, was nicht zur Sache gehört, einen anderen Rat ins Ohr geflüstert:<br />

„Was die drei Reiche der Natur, das Mineralreich, das Pflanzenreich und das Tierreich,<br />

betrifft, so sagen Sie einstweilen nur nichts darüber, was allein Beispiele für eine wenigstens<br />

gewisse Analogie mit dem Menschenleben liefern könnte, nämlich [101] über das Leben der<br />

Ameisen, Bienen und Biber – sagen Sie nur kein Wort über das Tierreich!“ Wir nehmen uns<br />

auch diesen Rat zu Herzen, obgleich er offensichtlich dumm ist: aber man macht so viele<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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