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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 198<br />

se mit ebenso genialen, jedoch an innerer Unhaltbarkeit leidenden Versuchen vermengt sind,<br />

[426] sie alle einer aprioristischen, ihnen häufig widersprechenden Betrachtungsweise unterzuordnen.<br />

Wir haben nun alle Vorwürfe betrachtet, die dem Wirklichkeitsschönen mehr oder weniger<br />

ungerechtfertigt gemacht werden, und können dazu übergehen, die Frage der wesentlichen<br />

Bedeutung der Kunst zu lösen. Nach der herrschenden ästhetischen Auffassung ist „die Quelle<br />

der Kunst das Bestreben des Menschen, das Schöne von den (von uns betrachteten) Mängeln<br />

zu befreien, die das Schöne auf der Stufe seines realen Bestehens in der Wirklichkeit<br />

daran hindern, den Menschen völlig zu befriedigen. Das von der Kunst geschaffene Schöne<br />

ist frei von den Mängeln des Schönen in der Wirklichkeit“ 36 . Untersuchen wir einmal, bis zu<br />

welchem Grade das von der Kunst geschaffene Schöne, insoweit es frei ist von den Vorwürfen,<br />

die man gegen das Wirklichkeitsschöne erhebt, tatsächlich höher steht als das Wirklichkeitsschöne;<br />

danach wird es uns leicht sein, zu entscheiden, ob die herrschende Betrachtungsweise<br />

die Entstehung der Kunst und ihre Beziehung zur lebendigen Wirklichkeit richtig<br />

definiert.<br />

I. „Das Naturschöne ist nicht gewollt.“ – Das Kunstschöne pflegt gewollt zu sein, das ist richtig;<br />

jedoch in allen Fällen und in allen Einzelheiten Wir wollen nicht davon sprechen, wie<br />

häufig und bis zu welchem Grade der Maler und der Dichter sich darüber klar sind, was eigentlich<br />

in ihren Werken ausgedrückt ist – die Unbewußtheit des künstlerischen Schaffens ist<br />

schon lange zu einem Gemeinplatz geworden, über den alle reden; vielleicht ist es heute nötiger,<br />

in aller Schärfe die Abhängigkeit der Schönheit eines Werkes vom bewußten Streben des<br />

Künstlers in den Vordergrund zu stellen, als sich darüber zu verbreiten, daß die Werke eines<br />

wahrhaft schöpferischen Talents stets sehr viel Ungewolltes, Instinktives haben. Wie dem<br />

auch sei, beide Gesichtspunkte sind bekannt, und es ist zwecklos, daß wir uns hier bei ihnen<br />

aufhalten. Aber vielleicht ist es nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, daß auch das gewollte<br />

Streben des Künstlers (besonders des Dichters) nicht immer zu der Behauptung berechtigt,<br />

daß die Bemühung um das Schöne die wahre Quelle seiner Kunstwerke sei; gewiß, der Dichter<br />

[427] ist immer bemüht, „es möglichst gut zu machen“; aber das bedeutet noch nicht, daß<br />

sein ganzer Wille und Verstand sich ausschließlich oder auch nur vorwiegend von der Bemühung<br />

um die künstlerische oder ästhetische Qualität des Werkes leiten lassen: ebenso wie es<br />

in der Natur viele Tendenzen gibt, die einander bekämpfen und durch ihren Kampf die<br />

Schönheit vernichten oder entstellen, so sind auch im Künstler, im Dichter viele Tendenzen<br />

vorhanden, die durch ihren Einfluß auf sein Streben nach dem Schönen die Schönheit seines<br />

Werkes beeinträchtigen. Hierher gehören erstens die verschiedenen Alltagsbestrebungen und<br />

-bedürfnisse des Künstlers, die es ihm nicht erlauben, nur Künstler zu sein und weiter nichts;<br />

zweitens seine geistigen und sittlichen Ansichten, die ihm ebenfalls nicht erlauben, bei der<br />

Ausführung ausschließlich an die Schönheit zu denken; drittens schließlich ist die Idee des<br />

Kunstwerkes beim Künstler gewöhnlich nicht einzig die Folge des Bestrebens, etwas Schönes<br />

zu schaffen: der Dichter, der dieses Namens würdig ist, möchte uns für gewöhnlich in seinem<br />

Werk seine Gedanken, seine Ansichten, seine Gefühle mitteilen und nicht ausschließlich die<br />

von ihm geschaffene Schönheit. Mit einem Wort, wenn die Wirklichkeitsschönheit sich im<br />

Kampf mit anderen Tendenzen der Natur entwickelt, so entwickelt sich auch in der Kunst die<br />

Schönheit im Kampf mit anderen Bestrebungen und Bedürfnissen des Menschen, der sie<br />

schafft; wenn in der Wirklichkeit dieser Kampf die Schönheit verdirbt oder vernichtet, so<br />

sind die Aussichten kaum geringer, daß er sie auch im Kunstwerk verdirbt oder vernichtet;<br />

wenn in der Wirklichkeit das Schöne sich unter Einflüssen entwickelt, die ihm fremd sind<br />

36 Im Manuskript folgt hier der später gestrichene Satz: „So behaupten die Anbeter der Kunst, die das Wirklichkeitsschöne<br />

von oben herab betrachten.“<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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