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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 194<br />

gang für einige Zeit verblaßt Und wieder muß man sagen, daß dieser Vorwurf größtenteils<br />

ungerechtfertigt ist 33 ; zugegeben, daß es Landschaften gibt, deren Schönheit mit dem Purpurschein<br />

der Morgenröte vergeht; in der Mehrzahl sind schöne Landschaften jedoch bei jeder<br />

Beleuchtung schön; und man muß hinzufügen, daß es mit der Schönheit einer Landschaft, die<br />

nur im gegebenen Augenblick schön ist und nicht zu jeder Zeit, nicht weit her ist. „Manchmal<br />

drückt ein Antlitz die ganze Fülle des Lebens aus, manchmal gar nichts“ –nein; richtig ist,<br />

daß das Antlitz manchmal außerordentlich ausdrucksvoll ist, manchmal sehr viel weniger;<br />

aber äußerst selten sind die Augenblicke, wo ein von Klugheit oder Güte strahlendes Menschenantlitz<br />

jeden Ausdrucks bar ist: ein kluges Gesicht behält auch während des Schlafes<br />

den Ausdruck der Klugheit, ein gütiges Gesicht behält auch während des Schlafes den Ausdruck<br />

der Güte, und die wechselnde Mannigfaltigkeit des Ausdrucks in einem ausdrucksvollen<br />

Gesicht verleiht diesem neue Schönheit. Genau so verleiht die Mannigfaltigkeit der Posen<br />

einem lebenden Wesen neue Schönheit. Sehr häufig kommt es auch vor, daß einzig und allein<br />

das Verschwinden einer schönen Pose ihren Wert für uns rettet: „Diese Gruppe kämpfender<br />

[419] Krieger ist schön; aber im nächsten Augenblick ist sie zerstoben“; aber was wäre, wenn<br />

sie nicht zerstöbe, wenn das Handgemenge der Athleten einen ganzen Tag lang dauerte Es<br />

würde uns langweilig zuzusehen, und wir würden uns abwenden, wie dies übrigens auch oft<br />

geschieht. Womit endet gewöhnlich ein ästhetischer Eindruck, unter dessen Einfluß uns ein<br />

unbewegliches, „ewig schönes“, „in seiner Schönheit ewig unveränderliches“ Bild eine halbe<br />

Stunde oder Stunde lang festhält – Damit, daß wir selber fortgehen, ohne abzuwarten, daß<br />

uns die abendliche Dunkelheit „vom Genuß losreißt“...<br />

V. „Das Wirklichkeitsschöne ist nur deshalb schön, weil wir es von einem Standpunkt betrachten,<br />

von dem aus es schön erscheint.“ – Im Gegenteil, viel häufiger kommt es vor, daß<br />

das Schöne von jedem Standpunkt aus schön ist; so ist zum Beispiel eine schöne Landschaft<br />

schön, von wo aus immer wir sie betrachten. – Gewiß, im höchsten Maße schön ist sie nur<br />

von einem Standpunkt aus – aber was besagt das auch ein Gemälde muß man von einem<br />

bestimmten Platz aus betrachten, damit es sich uns in seiner ganzen Schönheit darbietet. Das<br />

folgt aus den Gesetzen der Perspektive, die beim Genuß des Wirklichkeitsschönen wie des<br />

Kunstschönen gleichermaßen zu berücksichtigen sind.<br />

Überhaupt muß man, scheint’s, sagen, daß alle hier betrachteten Vorwürfe gegen das Wirklichkeitsschöne<br />

übertrieben und einige sogar völlig ungerechtfertigt sind; daß es unter ihnen<br />

keinen einzigen gibt, der auf alle Arten des Schönen zuträfe. Doch wir haben noch nicht die<br />

hauptsächlichsten, wesentlichsten Mängel betrachtet, die die herrschenden ästhetischen Lehren<br />

im Schönen der wirklichen Welt entdeckt haben. Bisher waren die Vorwürfe dagegen<br />

gerichtet, daß das Wirklichkeitsschöne den Menschen nicht befriedigen könne; jetzt werden<br />

direkte Beweise dafür angeführt, daß das Wirklichkeitsschöne im Grunde genommen nicht<br />

einmal als schön bezeichnet werden könne. Die Beweise sind drei an der Zahl. Sehen wir sie<br />

uns an, wobei wir mit dem weniger starken und weniger allgemeinen beginnen.<br />

VI. „Das Wirklichkeitsschöne ist entweder eine Gruppe von Gegenständen (eine Landschaft,<br />

eine Menschengruppe) [420] oder ein einzelner Gegenstand. Der störende Zufall verdirbt in der<br />

Wirklichkeit eine schön erscheinende Gruppe stets, indem er nicht dazugehörige, unnötige Gegenstände<br />

hineinträgt, die die Schönheit und Einheit des Ganzen beeinträchtigen; er verdirbt<br />

auch den schön erscheinenden einzelnen Gegenstand, indem er einzelne seiner Teile verdirbt:<br />

die aufmerksame Betrachtung wird uns stets zeigen, daß einige Teile des uns schön erscheinen-<br />

33 Hinter den Worten „ungerechtfertigt ist“ heißt es im Manuskript weiter: „Natürlich ist eine mondäne Schöne<br />

am schönsten im Ballkleid, das sie nicht immer tragen kann; aber wenig taugt die mondäne Schöne, die nur im<br />

Ballkleid schön ist; es gibt viele schöne Frauen, die in jedem Gewand und zu jeder Zeit schön sind.“ Diese<br />

Textstelle wurde von Nikitenko gestrichen und von Tschernyschewski abgeändert.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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