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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 190<br />

giene bilden. Wenn aber die Naturschönheit, wie überhaupt das Wirken der Naturkräfte, im<br />

strengen Sinne des Wortes nicht gewollt genannt werden kann, so kann man doch anderseits<br />

nicht sagen, daß die Natur überhaupt nicht danach strebe, Schönes hervorzubringen; im Gegenteil,<br />

wenn wir das Schöne als Lebensfülle auffassen, werden wir zugeben müssen, daß das<br />

Streben nach Leben, das die organische Natur durchdringt, gleichzeitig auch das Streben ist,<br />

Schönes hervorzubringen. Wenn wir in der Natur überhaupt nicht Zwecke, sondern nur Resultate<br />

sehen dürfen, und darum die Schönheit nicht als Zweck der Natur bezeichnen können,<br />

so können wir nicht umhin, sie als ein wesentliches Resultat zu bezeichnen, zu dessen Erreichung<br />

die Natur ihre Kräfte anspannt. Das Nichtgewolltsein, das Unbewußte dieses Strebens<br />

beeinträchtigt nicht im geringsten seine Realität, ebenso wie die Unbewußtheit des geometrischen<br />

Strebens der Biene, die Unbewußtheit des Strebens nach Symmetrie bei der vegetativen<br />

Kraft nicht im geringsten die Regelmäßigkeit des sechseckigen Baus der Wabenzelle, die<br />

Symmetrie der beiden Blatthälften beeinträchtigt. 25<br />

[414] II. „Das Nichtgewolltsein des Naturschönen hat zur Folge, daß das Schöne selten in der<br />

Wirklichkeit anzutreffen ist.“ Aber wenn das auch wirklich zuträfe, wäre seine Seltenheit nur<br />

für unser ästhetisches Gefühl betrüblich, ohne die Schönheit dieser kleinen Zahl von Erscheinungen<br />

und Gegen ständen im geringsten herabzusetzen. Diamanten von der Größe eines<br />

Taubeneis kommen sehr selten vor; die Liebhaber von Brillanten können das mit Recht bedauern,<br />

geben aber dennoch zu, daß diese sehr seltenen Diamanten schön sind. Die Klagen<br />

über die Seltenheit des Schönen in der Wirklichkeit sind jedoch nicht ganz berechtigt; es gibt<br />

in der Wirklichkeit durchaus nicht so wenig Schönes, wie die deutschen Ästhetiker behaupten.<br />

Schöne und großartige Landschaften gibt es sehr viele; es gibt Länder, wo man sie auf<br />

Schritt und Tritt antrifft; wir verweisen zum Beispiel – von der Schweiz, den Alpen und Italien<br />

ganz zu schweigen! – auf Finnland, die Krim, das Dnjeprufer, sogar das Ufer der mittleren<br />

Wolga. Im Leben des Menschen ist das Großartige nicht ständig anzutreffen; aber es ist<br />

zweifelhaft, ob der Mensch selbst damit einverstanden wäre, wenn es häufiger vorkäme: die<br />

großen Augenblicke im Leben kommen dem Menschen zu teuer zu stehen, sie erschöpfen ihn<br />

zu sehr; wer jedoch das Bedürfnis hat, ihren Einfluß auf die Seele zu suchen, und die Kraft,<br />

ihn zu ertragen, der findet Gelegenheit zu erhabenen Empfindungen auf Schritt und Tritt: der<br />

Weg des Heldentums, der Selbstentäußerung und des edlen Kampfes gegen das Gemeine und<br />

Schädliche, gegen die Not und die Laster der Menschen ist niemandem und niemals verschlossen.<br />

Und es hat immer und überall Tausende von Menschen gegeben, deren ganzes<br />

Leben eine ununterbrochene Reihe erhabener Empfindungen und Taten war. Das gleiche läßt<br />

sich auch von den hinreißend schönen Augenblicken im Leben des Menschen sagen. Überhaupt<br />

sollte der Mensch sich nicht über ihre Seltenheit beklagen, denn es hängt vom Menschen<br />

selber ab, wieweit sein Leben von Schönem und Großem erfüllt ist. 26 Leer und farblos<br />

25 Im Manuskript heißt es weiter: „Der eingehende Nachweis, daß eines der wesentlichsten Resultate des Wirkens<br />

der Naturkräfte die Hervorbringung des Schönen ist, würde uns zu weit fuhren. Wenn man jedoch die Schönheit<br />

als das Leben auffaßt, so bedarf es keiner ausführlichen Darstellungen da sich in der Natur überall ein Streben nach<br />

Hervorbringung von Leben zeigt; aber auch wenn man sich nicht mit der vorgeschlagene Auffassung vom Wesen<br />

des Schönen einverstanden erklärt, läßt sich durch die unerschöpfliche Fülle des Schönen in der Natur leicht beweisen,<br />

in wie hohem Grade die Naturkräfte angespannt sind, das Schöne hervorzubringen. Jedenfalls ist es eine<br />

offenbare Ungerechtigkeit dem Wirklichkeitsschönen sein Nichtgewolltsein als Mangel anzurechnen Gehen wir<br />

also zum nächsten Vorwurf über, der aus dieser von uns abgelehnte Grundbehauptung abgeleitet ist.“<br />

26 Im Manuskript ist nach den Worten „von Schönem und Großem erfüllt ist“ folgendes Textstück von Nikitenko<br />

mit Bleistift gestrichen: „Das Leben von Menschen die wirklich von dem Bedürfnis nach Erhabenem im<br />

Leben erfüllt sind, ist fast stets voller großartiger Heldentaten. Nehmen wir zum Beispiel jene Menschen, die<br />

von dem Drang nach kriegerischem Kampf beseelt sind und für die ‚das Pfeifen der Kugeln die einzige Musik<br />

ist, die ihnen zu Herzen geht‘. Es ist zwar richtig, daß heutzutage Kriege bedeutend seltener geworden sind als<br />

früher; dennoch kann ein Mensch von wahrhaft kriegerischem Geist auch heute nach Herzenslust Krieg führen:<br />

der Russe kann sich nach dem Kaukasus begeben, der Franzose nach Algerien, der Engländer nach Ostindien;<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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