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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 185<br />

unschön, rafft fernes Geschoß den Mutigsten weg. Diese Krieger sind ja kein tableau vivant * ; sie stehen nicht<br />

unserem Auge Modell, was sie wollen, ist der Kampf, nicht seine Erscheinung. So sehr ist das Nichtgewolltsein<br />

Wesen des Naturschönen, daß nichts widerlicher ist, als wenn in seiner Sphäre eine Absicht auf das Schöne als<br />

solches sichtbar ist. Schönheit, die von sich weiß und auf die es angelegt, die vor dem Spiegel einstudiert ist, ist<br />

eitel, d. h. nichtig. Die Affektation der Schönheit im Sein ist das Gegenteil der wahren Grazie... Die Zufälligkeit,<br />

das Nichtwissen um sich ist so sehr zwar der Todeskeim, aber auch der Reiz des Naturschönen, daß in<br />

der Sphäre, wo Bewußtsein ist, das Schöne in dem Momente zugrunde geht, wo es gesehen wird, wo man ihm<br />

sagt, daß es schön sei, wo es sich im Spiegel sieht. Sobald die Naturvölker von der modernen Zivilisation entdeckt<br />

werden, ist es aus mit ihrer Naivität; ihre Volkslieder verschwinden, wenn man sie sammelt, ihre Tracht<br />

kommt ihnen weit nicht so schön vor wie der kokette Frack des Malers, der sie um jene beneidet und gekommen<br />

ist, sie zu studieren; nimmt die Zivilisation sie auf und sucht sie zu befestigen,... so nützt das nichts, sie ist bereits<br />

Maske geworden, und das Volk selbst gibt sie auf.<br />

Allein die Gunst des Zufalls ist nicht nur selten und flüchtig – sie ist überhaupt nur relativ: der trübende Zufall<br />

ist, sobald hinter das Verklärende, was durch Ferne des Raums und der Zeit schon in der gewöhnlichen Wahrnehmung<br />

liegt, zurückgegangen, und die Sache wird, genauer besehen, nur in größerem Maße überwunden; er<br />

wirft‚ nicht bloß in eine scheinbar schöne Zusammenstellung mehrerer Gegenstände, unwissend um die Schönheit<br />

des Ganzen, das Störende, sondern er erstreckt sich auch auf den einzelnen begünstigten Gegenstand, und es<br />

verbirgt sich nicht, daß er in Wahrheit allgemein herrscht. Daß es sich aber zuerst verbarg, dies muß seinen<br />

Grund in einer zweiten Gunst des Zufalls haben, nämlich in der glücklichen Stimmung, wodurch das Subjekt<br />

fähig war, den Gegenstand unter den Gesichtspunkt der reinen Form zu rücken. Zunächst ruft der Gegenstand<br />

selbst durch die obwohl nur relative Reinheit vom störenden Zufall diese Stimmung hervor...<br />

[406] Das Naturschöne darf man nur näher ansehen, um sich zu überzeugen, daß es nicht wahrhaft schön ist; es<br />

liegt am Tage, daß wir uns eine offenbare Wahrheit bisher nur verborgen haben. Diese Wahrheit ist,. daß der<br />

störende Zufall notwendig überall herrscht. Nicht wir haben zu beweisen, daß er durchgängig über alles sich<br />

erstreckt, sondern nur das Gegenteil wäre zu beweisen, daß und wie nämlich im unendlichen Zusammensein der<br />

Dinge irgendeines sich den Störungen, Bedürftigkeiten, Verletzungen, all der Not und Abhängigkeit des Lebens<br />

entziehen könne. Zu erforschen ist nur, woher denn dann der Schein komme, als ob einiges davon eine Ausnahme<br />

mache, und dieses werden wir im Verlaufe leisten... Zunächst also ist nur einfach aufzuzeigen, daß dies<br />

bloßer Schein ist. Einige schöne Gegenstände sind Einheit und Zusammenordnung mehrerer, und da wird sich<br />

bei genauerer Betrachtung immer finden, zuerst, daß wir diese Gegenstände in solcher Zusammenstellung nur<br />

sehen, weil wir einen bestimmten Standpunkt zufällig eingenommen oder unbewußt gesucht haben. So namentlich<br />

die Landschaft. Diese Flächen, Berge, Bäume wissen nichts voneinander, es kann ihnen nicht einfallen, sich<br />

zu einem wohlgefälligen Ganzen vereinigen zu wollen: in dieser Verschiebung, diesen sich zusammenbauenden<br />

Umrissen und Farben sehen wir sie nur, weil wir hier und nicht woanders stehen. Aber auch so werden wir da<br />

einen Busch, dort einen Hügel finden, der diese Zusammenstellung stört, dort wird eine Erhöhung, ein Schatten<br />

fehlen, und wir werden uns gestehen müssen, daß ein inneres Auge heimlich tätig war, umzustellen, zu ergänzen,<br />

nachzuhelfen. Ebenso in einer Handlung mehrerer belebter Wesen. Eine Szene ist vielleicht voll Bedeutung<br />

und Ausdruck, allein die Gruppen, die wesentlich zusammengehören, sind über trennende Räume zerstreut;<br />

dasselbe innere Auge überspringt diese, stellt zusammen, was zusammenstößt aus, was nicht hineingehört. Andere<br />

schöne Gegenstände sind einzeln; da verzichten wir auf Schönheit der Umgebung, wir lassen sie schon im<br />

Anschauen weg, wir vollziehen einen Akt, wodurch wir sie von jener abheben, wie von einer Wand, einem<br />

Hintergrund, und zwar zunächst ohne Bewußtsein und Absicht; tritt ein schönes Weib in eine Gesellschaft, so<br />

fallen, aller Augen mit Erstaunen auf sie, man sieht jetzt alle übrigen Personen und Gegenstände nicht oder nur<br />

als ihre Folie. Allein nun müssen wir den einzelnen Gegenstand näher ansehen, und zwar sowohl im letzteren<br />

Falle, wo er allein Objekt der Schönheit ist, als auch im ersteren, wo wir mehrere zusammen als schön anschauen.<br />

Da wird sich denn an der Oberfläche des einzelnen Gegenstandes dieselbe Erfahrung wiederholen wie dort,<br />

wo mehrere vereinigt den Gegenstand bilden: zwischen schönen Teilen werden sich unschöne finden, und zwar<br />

an jedem, auch dem scheinbar schönsten Gegenstande. Glücklicherweise ist unser Auge kein Mikroskop, schon<br />

das gemeine Sehen idealisiert, sonst würden die Blattläuse am Baum, der Schmutz und die Infusorien im reinsten<br />

Wasser, die Unreinheiten der zartesten menschlichen Haut uns jeden Reiz zerstören. Wir sehen nur bei<br />

einem gewissen Grad von Entfernung. Die Ferne aber ist es eben, welche schor an sich idealisiert; [407] nicht<br />

nur das Unreine der Oberfläche verschwindet durch sie, sondern überhaupt die Einzelheiten der Zusammensetzung<br />

des Körpers, wodurch er in die irdische Schwere fällt, die gemeine Deutlichkeit, welche die Sandkörner<br />

zählt; so übernimmt schon die Operation des Anschauens an sich einen Teil jener Ablösung und Erhebung in die<br />

reine Form. Wie die Raumferne, so wirkt die Zeitferne; Geschichte und Gedächtnis überliefern uns nicht alle<br />

Einzelheiten eines großen Vorganges oder Mannes; wir erfahren nicht alle schleppenden Vermittlungen und<br />

nicht alle Schwächen, kleinen Nebenmotive der großen Erscheinung ... nicht, wie große Menschen zwischen<br />

* lebendes Bild. Die Red.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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