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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 175<br />

Bei der Behandlung des Erhabenen haben wir jedoch bis jetzt noch nicht das Tragische berührt,<br />

das man gewöhnlich als den höchsten und vollkommensten Ausdruck des Erhabenen<br />

betrachtet.<br />

Die heute in der Wissenschaft vorherrschenden Auffassungen vom Tragischen spielen eine<br />

sehr große Rolle nicht nur in der Ästhetik, sondern auch in vielen anderen Wissenschaften<br />

(z. B. in der Geschichte) und verschmelzen sogar mit den gewöhnlichen Auffassungen vom<br />

Leben. Deshalb halte ich es für nicht überflüssig, sie ziemlich ausführlich darzustellen, um<br />

meine Kritik zu begründen. Bei dieser Darstellung werde ich mich eng an Vischer halten,<br />

dessen Ästhetik gegenwärtig in Deutschland als die beste gilt.<br />

„Das Subjekt ist seiner Natur nach ein tätiges, handelndes Wesen. Indem es handelt, überträgt<br />

es seinen Willen auf die Außenwelt und gerät dadurch in Konflikt mit dem Gesetz der Notwendigkeit,<br />

das in der Außenwelt herrscht. Aber die Handlung des Subjekts trägt notwendig<br />

den Stempel der individuellen Beschränktheit und verletzt daher die absolute Einheit der objektiven<br />

Verkettung der Welt. Diese verletzende Trennung ist die Schuld, und sie gibt sich<br />

dem Subjekt dadurch zu erfahren, daß die durch die Bande der Einheit zusammengehaltene<br />

Welt als ein Ganzes sich gegen die Handlung des Subjekts empört, wodurch die einzelne Tat<br />

des Subjekts in eine unübersehbare und nicht vorherzusehende Folgenkette hineingezogen<br />

wird, in der das Subjekt nicht mehr seine Handlung und seinen Willen erkennt, während es<br />

doch die notwendige Verkettung aller dieser Folgeerscheinungen mit seiner Tat anerkennen<br />

und sich für sie verantwortlich fühlen muß. Die Verantwortung für das, was es nicht gewollt,<br />

was es jedoch getan hat, hat für das Subjekt Leiden zur Folge, d. h. die Äußerung eines Gegenschlages<br />

des verletzten Ganges der Dinge in der Außenwelt gegen die ihn verletzende<br />

Handlung. Die Notwendigkeit dieses Gegenschlages und des Leidens wird dadurch verstärkt,<br />

daß das bedrohte Subjekt die Folgen und das ihm drohende Übel voraussieht, aber gerade<br />

durch die Mittel, [389] durch die es sie zu vermeiden strebt, hineinstürzt. Das Leiden kann<br />

sich bis zum Untergang des Subjekts und seines Werkes fortsetzen. Allein das Werk des Subjekts<br />

geht nur scheinbar, geht nicht schlechtweg unter; die objektive Folgenreihe überdauert<br />

den Untergang des Subjekts und reinigt sich, indem sie nach und nach in die allgemeine Einheit<br />

aufgeht, von der durch das Subjekt ihr gegebenen individuellen Beschränktheit. Eignet<br />

sich nunmehr auch das Subjekt in seinem Untergang dieses Bewußtsein von der Berechtigung<br />

seines Leidens und davon an, daß sein Werk nicht untergeht, sondern sich reinigt und über<br />

seinen Untergang triumphiert, so tritt hiermit volle Versöhnung ein, und das Subjekt selbst<br />

überlebt sich leuchtend in seinem sich reinigenden und triumphierenden Werk. Diese ganze<br />

Bewegung heißt das Schicksal oder das ‚Tragische‘. Das Tragische hat verschiedene Abarten.<br />

Seine erste Form ist die, wenn das Subjekt nicht wirklich, sondern nur als nahegelegte Möglichkeit<br />

schuldig ist, und wenn deshalb die Macht, durch die es zugrunde geht, eine blinde<br />

Naturmacht ist, welche an dem einzelnen Subjekt, das mehr durch äußeren Reichtum u. dgl.<br />

hervorglänzt als durch innere Würde, ein Beispiel aufstellt, daß das einzelne deshalb zugrunde<br />

gehen muß, weil es einzelnes ist. Der Untergang des Subjekts kommt hier nicht durch das Sittengesetz<br />

zustande, sondern durch den Zufall, der jedoch seine Erklärung und Rechtfertigung<br />

in der versöhnenden Idee der notwendigen Allgemeinheit des Todes findet. In der Tragik der<br />

einfachen Schuld geht die mögliche Schuld in wirkliche Schuld über. Aber die Schuld liegt<br />

nicht in einem unvermeidlichen objektiven Widerspruch, sondern in irgendeiner Verirrung, die<br />

mit der Handlung des Subjekts in Verbindung steht. Diese Schuld verletzt in irgendeinem<br />

Punkt die sittliche Ganzheit der Welt. Durch sie leiden andere Subjekte, und da hier die<br />

Schuld einseitig ist, so scheinen sie zunächst unschuldig zu leiden. Allein dann wären die Subjekte<br />

reine Objekte eines anderen Subjekts, was dem Wert der Subjektivität widerspricht. Daher<br />

müssen sie durch irgendeinen Fehler eine Blöße darbieten, die mit ihren Tugenden im Zusammenhang<br />

steht, und durch diese Blöße zugrunde gehen: das Leiden [390] des Hauptsub-<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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