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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 174<br />
Erhabene im Menschen).“ Aus einem sekundären und Teilmerkmal des Erhabenen müssen<br />
der größenmäßige Vergleich und die größenmäßige Überlegenheit bei der Definition des Erhabenen<br />
zum allgemeinen und Hauptgedanken erhoben werden.<br />
Die von uns angenommene Auffassung des Erhabenen verhält sich also genau so zu seiner<br />
gebräuchlichen Definition, wie unsere Auffassung vom Wesen des Schönen zu der früheren<br />
Betrachtungsweise – in beiden Fällen wird in den Rang des allgemeinen und wesentlichen<br />
Prinzips das erhoben, was früher als sekundäres und Teilmerkmal galt, was durch andere Begriffe,<br />
die wir als nebensächliche verwerfen, der Aufmerksamkeit entzogen war.<br />
Infolge der Änderung des Standpunktes stellt sich uns auch das Erhabene, wie früher das<br />
Schöne, als Erscheinung dar, die viel selbständiger ist, jedoch auch dem Menschen viel nähersteht,<br />
als man sich früher vorgestellt hatte. Gleichzeitig anerkennt unsere Ansicht vom<br />
Wesen des Erhabenen dessen tatsächliche Realität, während gewöhnlich 10 angenommen<br />
wird, daß das Erhabene in Wirklichkeit nur erhaben scheint, und zwar dank der Einmischung<br />
unserer Phantasie, die den Umfang oder die Kraft des erhabenen Gegenstandes oder der erhabenen<br />
Erscheinung ins Grenzenlose erweitert. Und wirklich, wenn das Erhabene seinem Wesen<br />
nach das Unendliche ist, so gibt es in der unserem [387] Gefühl oder unserem Verstand<br />
zugänglichen Welt nichts Erhabenes. 11<br />
Wenn aber nach der von uns angenommenen Definition des Schönen und des Erhabenen dem<br />
Schönen und dem Erhabenen eine von der Phantasie unabhängige Existenz zugesprochen<br />
wird, so wird andererseits durch diese Definitionen die Beziehung der Gegenstände und Erscheinungen,<br />
die der Mensch schön und erhaben findet, zum Menschen überhaupt und zu<br />
seinen Begriffen in den Vordergrund gestellt: schön ist das, worin wir das Leben so sehen,<br />
wie wir es verstehen und es wünschen, wie es uns Freude macht; groß ist das, was viel größer<br />
ist als die Gegenstände, mit denen wir es vergleichen. Aus den gewöhnlichen Hegelschen<br />
Definitionen dagegen ergibt sich mit einem sonderbaren Widerspruch: das Schöne und das<br />
Gewaltige wird durch die menschliche Ansicht von den Dingen in die Wirklichkeit hineingetragen,<br />
wird vom Menschen geschaffen, steht aber in keinerlei Verbindung mit den Begriffen<br />
des Menschen, mit seiner Art, die Dinge zu betrachten. Klar ist auch, daß durch die Definitionen<br />
des Schönen und des Erhabenen, die uns als die richtigen erscheinen, auch die unmittelbare<br />
Verknüpfung dieser Begriffe zerstört wird, die durch die Definitionen: „Das Schöne<br />
ist das Gleichgewicht zwischen Idee und Bild“ und „das Erhabene ist das Überwiegen der<br />
Idee über das Bild“ einander untergeordnet werden. Denn wirklich, wenn wir die Definition<br />
annehmen: „Das Schöne ist das Leben“ und „das Erhabene ist das, was bedeutend größer ist<br />
als alles Nahegelegene oder ähnliche“, werden wir auch sagen müssen, daß das Schöne und<br />
das Erhabene vollkommen verschiedene Begriffe sind, die nicht einer dem anderen, sondern<br />
nur beide zusammen einem allgemeineren Begriff untergeordnet sind, der den sogenannten<br />
ästhetischen Begriffen sehr fern liegt: nämlich dem „Interessanten“.<br />
Denn wenn die Ästhetik die Wissenschaft vom inhaltlich Schönen ist, so hat sie kein Recht,<br />
vom Erhabenen zu reden, wie sie kein Recht hat, vom Guten, vom Wahren usw. zu reden.<br />
Wenn man aber unter Ästhetik die Wissenschaft von der Kunst versteht, so muß sie natürlich<br />
auch vom [388] Erhabenen reden; denn das Erhabene gehört in das Gebiet der Kunst.<br />
10 Statt „gewöhnlich“ heißt es hier im Manuskript: „die Anschauung, deren Unhaltbarkeit wir zu zeigen bestrebt<br />
waren, auch das Erhabene in der Wirklichkeit nur als Schein betrachtet, der nur durch die menschliche Betrachtungsweise<br />
in die objektiven Gegenstände und Erscheinungen hineingelegt wird: die neusten Ästhetiken nehmen<br />
an, daß“ usw.<br />
11 Nach „nichts Erhabenes“, heißt es im Manuskript weiter: „Die Definition ‚das Große ist das, was sehr viel<br />
größer ist‘, macht die Einmischung der Phantasie und die Verschönung der Wirklichkeit durch sie überflüssig.<br />
Wer sie annimmt, sagt damit, daß das wahrhaft Erhabene in der Natur und im Menschen vorhanden ist.“<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013