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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 169<br />

wir sagen, daß die neue Betrachtungsweise die wichtigsten ästhetischen Tatsachen erklärt, die<br />

auch in den früheren Systemen in den Vordergrund gestellt wurden. So wird z. B. aus der<br />

Definition „das Schöne ist das Leben“ verständlich, warum es im Bereich des Schönen keine<br />

abstrakten Gedanken, sondern nur individuelle Wesen gibt – wir sehen ja das Leben nur in<br />

wirklichen lebendigen Wesen, und die abstrakten allgemeinen Gedanken gehören nicht zum<br />

Bereich des Lebendigen.<br />

[377] Was den wesentlichen Unterschied zwischen der früheren und der von uns vorgeschlagenen<br />

Auffassung vom Schönen betrifft, so macht er sich, wie wir schon gesagt haben, auf<br />

Schritt und Tritt geltend; ein erster Beweis dafür bietet sich in den Auffassungen von den<br />

Beziehungen des Erhabenen und des Komischen zum Schönen dar, welch erstere in dem<br />

herrschenden System der Ästhetik als untergeordnete Abarten des Schönen bezeichnet werden,<br />

die aus verschiedenen Beziehungen seiner zwei Faktoren, der Idee und des Bildes, hervorgehen.<br />

Nach dem Hegelschen System ist die reine Einheit von Idee und Bild das, was wir<br />

recht eigentlich das Schöne nennen; aber es herrscht nicht immer Gleichgewicht zwischen<br />

Bild und Idee: manchmal ist die Idee stärker als das Bild und entführt uns, indem sie uns in<br />

ihrer Allgemeinheit, Unendlichkeit erscheint, in den Bereich der absoluten Idee, in den Bereich<br />

des Unendlichen – das heißt dann das Erhabene; manchmal erdrückt da Bild die Idee,<br />

entstellt sie, das heißt dann das Komische. 7<br />

Nachdem wir die Grundauffassung der Kritik unterzogen haben, müssen wir das gleiche auch<br />

mit der aus ihr hervorgegangenen Betrachtungsweise tun, müssen das Wesen des Erhabenen<br />

und des Komischen und ihre Beziehungen zum Schönen untersuchen.<br />

Das herrschende ästhetische System gibt uns zwei Definitionen des Erhabenen, wie es uns<br />

zwei Definitionen des Schönen gegeben hat: „Das Erhabene ist das Überwiegen der Idee über<br />

die Form“ und „das Erhabene ist die Offenbarung des Absoluten“. Diese zwei Definitionen<br />

sind ihrem Wesen nach vollkommen verschieden, ebenso wie wir auch die zwei Definitionen<br />

des Schönen, die das herrschende System liefert, als wesentlich verschieden erkannt haben;<br />

tatsächlich bringt das Überwiegen der Idee über die Form nicht eigentlich den Begriff des<br />

Erhabenen hervor, sondern den Begriff des „Dunklen“, „Ungewissen“ und den Begriff des<br />

„Häßlichen“, wie das bei einem der neusten Ästhetiker, Vischer, in der Abhandlung über das<br />

Erhabene und der Einleitung zur Abhandlung über das Komische großartig entwickelt wird;<br />

während die Formel: „das Erhabene ist das, was in uns die Idee des Unendlichen erweckt“<br />

(oder unter [378] Verwendung der Terminologie der Hegelschen Schule: „...in sich zum Vorschein<br />

bringt“), als Definition des eigentlichen Erhabenen bestehenbleibt. Deswegen müssen<br />

wir jede dieser Definitionen besonders betrachten.<br />

Es läßt sich sehr leicht zeigen, wie wenig die Definition „das Erhabene ist das Überwiegen der<br />

Idee über das Bild“ auf das Erhabene paßt, da doch Vischer, der diese Definition annimmt,<br />

dabei selbst erklärt, daß das Überwiegen der Idee über das Bild (der gleiche Gedanke in der<br />

gewöhnlichen Sprache ausgedrückt: die Überwindung aller einengenden Kräfte oder, in der<br />

organischen Natur, aller Gesetze des Organismus durch die im Gegenstand in Erscheinung<br />

tretenden Idee) das Häßliche oder das Ungewisse hervorbringt 8 . Diese beiden Begriffe sind<br />

vollkommen verschieden von dem Begriff des Erhabenen. Gewiß wird das Häßliche zum Er-<br />

7 Im Manuskript heißt es hier weiter: „Das Erhabene und das Komische sind mithin zwei einseitige Erscheinungen<br />

des Schönen.“ Siehe F. Th. Vischer, a. a. O., Bd. 1, § 147, S. 334.<br />

8 Für die dritte Auflage hat Tschernyschewski die folgenden, ursprünglich hinter „das Ungewisse hervorbringt“<br />

stehenden Worte gestrichen: „(Ich würde sagen ‚das Gestaltlose‘, wenn ich nicht fürchten würde, in ein Wortspiel<br />

zu verfallen, indem ich eine Beziehung zwischen den Worten ‚gestaltlos‘ und ‚ungestalt‘ herstelle.)“ Anm. d. Red.:<br />

Das russische Wort für „häßlich“ (besobrasno) bedeutet „ohne Gestalt“; durch verschiedene Betonung kann es den<br />

Sinn entweder von „ungestalt“ (mißgestaltet, häßlich) oder von „gestaltlos“ (formlos, ungeformt) erhalten.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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