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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 168<br />

während er bewußt das Schöne als das vollendete In-Erscheinung-Treten der Idee ausgab. Bei<br />

Vischer heißt es in der Abteilung „Die Lehre vom Naturschönen“ ständig, schön sei nur, was<br />

lebendig ist oder lebendig erscheint. In der Entwicklung der Ideen des Schönen selbst kommt<br />

das Wort „Leben“ bei Hegel so oft vor, daß man sich schließlich fragt, ob es einen wesentlichen<br />

Unterschied zwischen unserer Definition: „Das Schöne ist das Leben“ und seiner Definition:<br />

„Das Schöne ist die völlige Einheit von Idee und Bild“ gibt Diese Frage entsteht um<br />

so natürlicher, als unter „Idee“ bei Hegel „der allgemeine Begriff, wie er durch alle Einzelheiten<br />

seiner wirklichen Existenz bestimmt ist“, verstanden wird, so daß zwischen dem Begriff<br />

Idee und dem Begriff Leben (oder genauer dem Begriff Lebenskräfte) ein direkter Zusammenhang<br />

besteht. Ist nicht die von uns vorgeschlagene Definition nur die Übertragung<br />

dessen, was in der herrschenden Definition in der Terminologie der spekulativen Philosophie<br />

ausgedrückt wird, in die gewöhnliche Sprache<br />

Wir werden noch sehen, daß ein wesentlicher Unterschied zwischen der einen und der anderen<br />

Art, das Schöne aufzufassen, besteht. Wenn wir das Schöne als die vollkommene Erscheinung<br />

der Idee im einzelnen Wesen bestimmen, so kommen wir notwendig zu dem<br />

Schluß, daß „das Wirklichkeitsschöne nur ein Schein ist, der durch unsere Phantasie in sie<br />

hineingelegt wird“; und daraus folgt dann, daß „eigentlich das Schöne durch unsere Phantasie<br />

geschaffen wird, während es in der Wirklichkeit (oder nach Hegel: in der Natur) ein wahrhaft<br />

Schönes nicht gibt“; daraus, daß es in der Natur nichts wahrhaft Schönes gibt, folgt wiederum,<br />

daß „die Kunst ihren Ursprung im Bestreben des Menschen hat, dem Mangel an Schönem<br />

in der objektiven Wirklichkeit abzuhelfen“, und daß „das durch die Kunst geschaffene<br />

Schöne höher steht als das Schöne in der objektiven Wirklichkeit“ – alle diese Gedanken machen<br />

das Wesen der Hegelschen Ästhetik aus und [376] treten nicht zufällig auf, sondern in<br />

streng logischer Entwicklung seiner Grundauffassung vom Schönen. *<br />

Im Gegensatz hierzu geht aus der Definition: „Das Schone ist das Leben“, hervor, daß die<br />

wahre, höchste Schönheit eben gerade die Schönheit ist, die der Mensch in der Welt der<br />

Wirklichkeit antrifft, und nicht die Schönheit, die durch die Kunst geschaffen wird; die Entstehung<br />

der Kunst muß bei dieser Betrachtungsweise der Wirklichkeitsschönheit aus einer<br />

ganz anderen Quelle erklärt werden; danach erscheint auch die wesentliche Bedeutung der<br />

Kunst in einem ganz anderen Licht. 6<br />

Man muß also sagen, daß die neue Auffassung vom Wesen des Schönen, die aus einer von<br />

der früher in der Wissenschaft vorherrschenden Anschauung vollkommen verschiedenen allgemeinen<br />

Betrachtungsweise der Beziehungen zwischen der wirklichen und der vorgestellten<br />

Welt abgeleitet ist – indem sie zu einem ästhetischen System führt, das ebenfalls von den in<br />

letzter Zeit herrschenden Systemen verschieden ist –‚ sich auch selbst wesentlich von den<br />

früher herrschenden Auffassungen vom Wesen des Schönen unterscheidet. Aber zu gleicher<br />

Zeit stellt sie auch deren notwendige Weiterentwicklung dar. Den wesentlichen Unterschied<br />

zwischen den herrschenden ästhetischen Systemen und dem hier vorgeschlagenen werden wir<br />

ständig sehen; um zu zeigen, in welchem Punkte sie eng miteinander verwandt sind, wollen<br />

* Siehe F. Th. Vischer, a. a. O., Zweiter Teil, § 233 ff, sowie Hegel, Sämtl. Werke, Bd. XII, Vorlesungen über<br />

die Ästhetik, ‚Mangelhaftigkeit des Naturschönen“, Stuttgart 1927, S. 200 ff. Die Red.<br />

6 Im Manuskript heißt es hier weiter: „Diese zwei verschiedenen Definitionen führen also zu zwei wesentlich<br />

verschiedenen Betrachtungsweisen des Schönen in der objektiven Wirklichkeit, der Beziehung der Phantasie zur<br />

Wirklichkeit und des Wesens der Kunst. Sie führen zu zwei völlig verschiedenen Systemen von ästhetischen<br />

Auffassungen; denn die eine von ihnen, welche wir anerkennen, macht zu ihrem Hauptgedanken gerade das,<br />

was bei der anderen, allgemein angenommenen Definition zwar auch in das System der Ästhetik, jedoch entgegen<br />

ihrer eigentlichen wesentlichen Tendenz eindringt, durch die entgegengesetzten Auffassungen unterdrückt<br />

wird und schließlich verschwindet, fast ohne irgendein Resultat gezeitigt zu haben. Die von uns vorgeschlagene<br />

Definition macht den Wert und die Schönheit der Wirklichkeit zum Grundgedanken der Ästhetik.“<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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