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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 167<br />
druck, wie seinen Zügen nach „nicht schön“: Gesichtszüge sind nicht schön, wenn die Gesichtsknochen<br />
schlecht angeordnet sind, wenn Knorpel und Muskeln in ihrer Entwicklung<br />
mehr oder weniger den Stempel der Mißgestalt tragen, d. h. wenn die erste Entwicklung des<br />
Menschen unter ungünstigen Umständen vor sich gegangen ist.<br />
Es ist ganz überflüssig, sich auf einen ausführlichen Beweis des Gedankens einzulassen, daß<br />
dem Menschen im Tierreich dasjenige als schön erscheint, worin nach menschlichen Begriffen<br />
ein frisches, völlig gesundes und kräftiges Leben zum Ausdruck kommt. Bei den Säugetieren,<br />
deren Bau sich für unsere Augen leichter mit dem Äußeren des Menschen vergleichen läßt,<br />
erscheinen dem Menschen runde Formen, Fülle und Frische als schön; als schön erscheinen<br />
graziöse Bewegungen, weil die Bewegungen irgendeines Wesens dann graziös sind, wenn es<br />
„gut gebaut“ ist, d. h. wenn es an einen gutgebauten und nicht an einen mißgestalteten Menschen<br />
erinnert. Als nicht schön erscheint alles „Plumpe“, d. h. alles, was nach unseren Begriffen,<br />
die immer die Ähnlichkeit mit dem Menschen aufsuchen, bis zu einem gewissen Grade<br />
mißgestaltet ist. Die Formen des Krokodils, der Eidechse, der Schildkröte erinnern an Säugetiere,<br />
aber an mißgestaltete, entstellte und absurde; deswegen sind Eidechsen und Schildkröten<br />
widerwärtig. Beim Frosch kommt zu seinen unangenehmen Formen noch dazu, daß dieses Tier<br />
mit kaltem Schleim bedeckt ist, wie Leichen; dadurch wird der Frosch noch widerwärtiger.<br />
Es erübrigt sich, ausführlich davon zu reden, daß uns an Pflanzen frische Farben und üppige,<br />
reiche Formen gefallen, die von kraftvollem frischem Leben zeugen. Eine welkende Pflanze<br />
ist nicht schön; eine Pflanze ohne rechte Lebenssäfte ist nicht schön.<br />
Außerdem erinnern die Laute und Bewegungen der Tiere uns an Laute und Bewegungen des<br />
Menschenlebens, in gewissem Grade erinnern an das Menschenleben auch das [374] Rauschen<br />
der Bäume, das Schwanken ihrer Zweige, ihre zitternden Blätter – das ist für uns eine<br />
weitere Quelle der Schönheit in der Pflanzen- und Tierwelt. Eine Landschaft ist dann schön,<br />
wenn sie belebt ist.<br />
Im einzelnen für die verschiedenen Naturreiche den Gedanken durchzuführen, daß das Schöne<br />
das Leben ist und vornehmlich das Leben, welches an den Menschen und das menschliche<br />
Leben gemahnt, halte ich deshalb für überflüssig, weil sowohl Hegel als auch Vischer ständig<br />
davon reden, daß die Schönheit in der Natur dasjenige ausmacht, was an den Menschen gemahnt<br />
(oder, mit Hegels Terminologie zu reden, von der Persönlichkeit kündet), wobei sie<br />
behaupten, daß das Naturschöne nur als Hinweis auf den Menschen die Bedeutung des Schönen<br />
hat – ein großer, tiefer Gedanke! Oh, wie schön wäre die Ästhetik Hegels, wenn er diesen<br />
in ihr so großartig entwickelten Gedanken zum Grundgedanken gemacht hätte, statt sich auf<br />
die phantastische Suche nach der vollkommen in Erscheinung tretenden Idee zu begeben!<br />
Und deshalb braucht man, wenn man nachgewiesen hat, daß das Schöne im Menschen das<br />
Leben ist, nicht noch zu beweisen, daß in allen übrigen Gebieten der Wirklichkeit das Schöne,<br />
das in den Augen des Menschen nur deshalb als schön erscheint, weil es ihm als Hinweis<br />
auf das Schöne im Menschen und seinem Leben dient, ebenfalls das Leben ist.<br />
Man muß aber hinzufügen, daß der Mensch die Natur überhaupt mit den Augen des Besitzers<br />
betrachtet, und daß auf der Erde ihm ebenfalls das als schön erscheint, was mit dem Glück und<br />
dem Wohlleben des Menschen verbunden ist. Die Sonne und das Tageslicht sind unter anderem<br />
deshalb so bezaubernd schön, weil sie die Quelle alles Lebens in der Natur sind und weil<br />
das Tageslicht unmittelbar fördernd auf die Grundfunktionen des menschlichen Lebens wirkt,<br />
sogar seine Organtätigkeit steigert und dadurch auch wohltuend auf unsere Stimmung wirkt.<br />
Man kann sogar überhaupt sagen, daß man, wenn man in der Ästhetik Hegels die Stellen<br />
liest, wo davon gesprochen wird, was das Wirklichkeitsschöne ist, auf den Gedanken kommt,<br />
daß er als das Schöne in der Natur [375] unbewußt das auffaßte, was uns vom Leben spricht,<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013