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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 165<br />

gemeines; denn als schön erscheinen uns außerordentlich verschiedenartige Gegenstände,<br />

Wesen, die einander ganz und gar nicht ähneln.<br />

Das Allerallgemeinste dessen, was dem Menschen lieb ist, und das, was ihm das Liebste ist<br />

auf der Welt, ist – das Leben; vornehmlich ein solches Leben, wie er es gern führen möchte,<br />

wie er es liebt; aber dann auch überhaupt jedes Leben, denn es ist jedenfalls besser, zu leben,<br />

als nicht zu leben: alles Lebendige hat schon von Natur Grauen vor dem Untergang, dem<br />

Nichtsein, und liebt das Leben. Und es scheint, daß die Bestimmung:<br />

„das Schöne ist das Leben“;<br />

„schön ist das Wesen, in dem wir das Leben so sehen, wie es nach unserer Auffassung sein<br />

sollte; schön ist der Gegenstand, der das Leben in sich zur Schau trägt oder uns an das Leben<br />

gemahnt“, –<br />

es scheint, daß diese Bestimmung alle Fälle, die das Gefühl des Schönen in uns hervorrufen,<br />

befriedigend erklärt. Verfolgen wir die wichtigsten Erscheinungen des Schönen auf verschiedenen<br />

Gebieten der Wirklichkeit, um das nachzuprüfen.<br />

Das „schöne Leben“, „das Leben, wie es sein soll“, besteht beim einfachen Volk darin, daß<br />

man sich satt essen, in einem schönen Haus wohnen und sich ausschlafen kann; aber gleichzeitig<br />

schließt der Begriff „Leben“ beim Landbewohner stets auch den Begriff der Arbeit ein:<br />

ohne Arbeit kann man nicht leben; es wäre ja auch langweilig. Die Folge eines Lebens unter<br />

auskömmlichen Verhältnissen [370] bei großer Arbeit, die jedoch nicht bis zur Erschöpfung<br />

geht, werden bei dem jungen Landmann oder dem Dorfmädchen eine frische Gesichtsfarbe<br />

und knallrote Backen sein – dieses erste Schönheitsmerkmal nach den Begriffen des einfachen<br />

Volkes. Da das Dorfmädchen viel arbeitet und infolgedessen kräftig gebaut ist, wird es<br />

bei reichlicher Ernährung ziemlich drall sein – auch das ist ein notwendiges Merkmal der<br />

Dorfschönen: die „ätherische“ schöne Dame erscheint dem Landbewohner „unansehnlich“, ja<br />

sie macht auf ihn einen unangenehmen Eindruck, denn er ist gewöhnt, „Magerkeit“ für die<br />

Folge von Krankheit oder „bitterem Los“ zu halten. Aber Arbeit läßt kein Fett ansetzen:<br />

wenn das Dorfmädchen dick ist, so ist das eine Art von Kränklichkeit, das Anzeichen einer<br />

„zerdunsenen“ Statur, und das Volk hält besondere Dicke für einen Mangel. Die Dorfschöne<br />

kann nicht kleine Händchen und Füßchen haben, weil sie viel arbeitet – dieses Zubehör der<br />

Schönheit wird in unseren Volksliedern nie erwähnt. Mit einem Wort: bei der Beschreibung<br />

von schönen Mädchen finden wir in unseren Volksliedern nicht ein einziges Schönheitsmerkmal,<br />

welches nicht der Ausdruck der blühenden Gesundheit und des Gleichgewichts der<br />

Kräfte im Organismus ist, die immer die Begleiterscheinung eines auskömmlichen Lebens<br />

bei ständiger, ernster, aber nicht übermäßiger Arbeit sind. Ganz anders steht es mit der schönen<br />

Dame: schon mehrere Generationen ihrer Vorfahren haben nicht von ihrer eignen Hände<br />

Arbeit gelebt; bei untätigem Leben fließt weniger Blut in die Glieder, mit jeder Generation<br />

werden die Muskeln an Händen und Füßen schlaffer und die Knochen feiner; die notwendige<br />

Folge hiervon sind kleine Händchen und Füßchen – sie sind das Kennzeichen eines Lebens,<br />

das den höheren Gesellschaftsklassen allein als Leben erscheint: des Lebens ohne physische<br />

Arbeit; wenn die Dame große Hände und Füße hat, so ist das ein Anzeichen entweder dafür,<br />

daß sie schlecht gebaut ist, oder dafür, daß sie nicht aus einer alten, guten Familie stammt.<br />

Aus demselben Grunde muß die schöne Dame kleine Öhrchen haben. Die Migräne ist bekanntlich<br />

eine interessante Krankheit – und nicht ohne Grund: infolge mangelnder Tätigkeit<br />

bleibt das Blut in den inneren Organen, fließt zum Gehirn; [371] das Nervensystem ist infolge<br />

der allgemeinen Schwäche des Organismus schon ohnehin leicht reizbar; die unvermeidliche<br />

Folge hiervon sind anhaltende Kopfschmerzen und allerlei Nervenstörungen; was hilft’s<br />

auch eine Krankheit ist interessant, ja sogar fast erstrebenswert, wenn sie die Folge der Lebensart<br />

ist, die uns gefällt. Gewiß kann die Gesundheit in den Augen des Menschen niemals<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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