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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 16<br />

begründen diese Annahme folgendermaßen: der Hund ist klug und listig, er weiß, daß Worte<br />

oft Unheil anrichten, deswegen schweigt er, weil er meint, schweigen sei sicherer als reden. Sie<br />

lächeln über eine so umständliche Erklärung und sehen die Dinge einfacher: Sie kennen Fälle,<br />

in denen ein Hund unbedingt hätte sprechen müssen, wenn er die Fähigkeit dazu gehabt hätte;<br />

man schlägt zum Beispiel einen Hund tot; er heult, so laut er kann, er kann es offensichtlich<br />

nicht unterlassen, seinen Gedanken zum Ausdruck zu bringen, daß es ihm weh tut, daß man ihn<br />

grausam behandelt. Er sucht nach allen möglichen Mitteln, um das auszudrücken, und findet<br />

nur das eine: das Geheul – Worte dagegen findet er nicht; das bedeutet, daß ihm die Gabe der<br />

Rede fehlt; besäße er sie, so würde er anders handeln. Gegeben ist eine Situation, bei der das<br />

Vorhandensein eines bestimmten Elements in einem bestimmten Gegenstand unbedingt ein<br />

bestimmtes Resultat haben müßte; dieses Resultat tritt nicht ein, folglich ist auch dieses Element<br />

nicht vorhanden. Nehmen wir noch einen anderen Fall. Woher wissen Sie zum Beispiel,<br />

daß Herr Hume, der vor zwei Jahren bei uns in Petersburg mit seinen Zauberkunststücken so<br />

viel von sich reden gemacht hat, wirklich nur ein Zauberkünstler ist und nicht tatsächlich die<br />

Zukunft voraus wissen, ihm nicht anvertraute Geheim-[92]nisse kennen und Bücher oder Zettel<br />

lesen kann, die er nicht vor Augen hat Sie wissen das aus folgenden Gründen: wenn er die<br />

Zukunft voraus wissen könnte, würde man ihn zum diplomatischen Berater an irgendeinem<br />

Hof ernennen, wo er dem Ministerium des Hofs alles erzählen würde, was sich gegebenenfalls<br />

ereignen wird: so hätte er zum Beispiel im vergangenen März Rechberg gesagt, daß die Österreicher,<br />

wenn sie einen Krieg anfingen, bei Palestro, Magenta und Solferino geschlagen werden<br />

und die Lombardei verlieren würden. 6 Daraufhin hätten die Österreicher den Krieg nicht angefangen,<br />

und es wäre nichts von dem eingetreten, was sich im vergangenen Jahr in Italien,<br />

Frankreich und Österreich abgespielt hat, vielmehr wären ganz andere Dinge geschehen. Wäre<br />

er wirklich imstande, Bücher zu lesen, die er nicht vor Augen hat, so würden die Regierungen<br />

und die gelehrten Gesellschaften nicht Gelehrte in den Orient entsenden, um alte Handschriften<br />

ausfindig zu machen, sondern würden sich an ihn wenden, und er würde dann aus Paris irgendeinen<br />

uns bisher unbekannten griechischen Schriftsteller lesen und diktieren, von dem in irgendeinem<br />

fernen Winkel Syriens eine Abschrift erhalten geblieben ist. Das alles ist nicht der<br />

Fall – Herr Hume und seine Zauberkollegen haben weder den Diplomaten noch den Gelehrten<br />

irgend etwas Nennenswertes entdeckt; und sie hätten ihnen zweifellos wichtige Dinge offenbart,<br />

wenn sie es vermocht hätten, denn das wäre für sie nicht nur unvergleichlich einträglicher,<br />

sondern auch wesentlich ehrenvoller als ihre Zauberkunststücke; mithin haben sie auch nicht<br />

jene Fähigkeiten, die leichtgläubige Leute ihnen zuschreiben. In allen derartigen Fällen genügt<br />

es nicht zu sagen: wir wissen nicht, ob das bestimmte Element vorhanden ist; nein, der Verstand<br />

zwingt uns, direkt zu sagen: wir wissen, daß dieses Element nicht vorhanden ist; wäre es<br />

vorhanden, so würde etwas anderes geschehen, als das, was geschieht.<br />

Wir sehen jedoch beim Menschen, bei aller Einheit seiner Natur, zwei verschiedene Reihen<br />

von Erscheinungen: Erscheinungen der sogenannten materiellen Ordnung (der Mensch ißt,<br />

geht usw.) und Erscheinungen der sogenannten moralischen Ordnung (der Mensch denkt,<br />

fühlt, wünscht). [93] In welcher Beziehung stehen diese beiden Erscheinungsreihen zueinander<br />

Widerspricht ihre Verschiedenheit nicht der Einheit der menschlichen Natur, wie sie die<br />

Naturwissenschaften aufzeigen Die Naturwissenschaften antworten wiederum, daß wir keinen<br />

Grund zu einer solchen Annahme besitzen, da es keinen Gegenstand gibt, der nur eine<br />

einzige Qualität besäße, im Gegenteil, jeder Gegenstand offenbart eine unendliche Menge<br />

verschiedener Erscheinungen, die wir, um bequemer über den Gegenstand urteilen zu können,<br />

unter verschiedene Kategorien einordnen, wobei wir jeder Kategorie den Namen einer<br />

6 Gemeint ist der von Napoleon III. im April 1859 provozierte Krieg Osterreichs gegen die französischsardinische<br />

Armee (der auf italienischem Boden stattfand). Rechberg war damals Außenminister der österreichischen<br />

Regierung.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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