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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 158 ruhigt hatte; an den brennenden Baum herantretend, spürte er die Wärme, die ihm angesichts der durch das Gewitter herabgesetzten Temperatur angenehm erschien; bei näherem Zusehen bemerkte er, daß die in der Nähe des bis zur Erde heruntergebrannten Feuers liegenden Reisigzweige in Brand gerieten usw. In dieser Art erzählt man gewöhnlich die Geschichte der Reihe von Beobachtungen, die in der Entdeckung des Verfahrens endet, mit dessen Hilfe man die Glut unter der Asche bewahren und sie später zu neuem Feuer entfachen kann. Diese Erzählung hat keinen unbedingten Wahrheitswert, die Dinge konnten sich auch ganz anders abspielen; man kann sie aber ziemlich wahrscheinlich nennen. Gut, überlegen wir jetzt einmal, in welchem Lande mehr Aussicht bestand [360] diese Reihe von Beobachtungen durchzuführen. Am Äquator verbringt der Wilde das ganze Jahr unter freiem Himmel; in einem Lande, wo er einen bedeutenden Teil des Jahres über unter starker Kälte zu leiden hat, bemüht er sich, diese Zeit in einem windgeschützten Schlupfwinkel zu verbringen; dieser Teil des Jahres fällt also für die Beobachtungen aus, die in der äußerst wahrscheinlichen Erzählung von dem vermutlichen Vorgang bei der Entdeckung des Feuermachens angenommen werden; entsprechend der sinkenden Zahl der für diese Beobachtungen geeigneten Tage verringern sich die Chancen für die Entdeckung der Kunst der Feuerverwendung, richten sich gegen die Annahme, daß diese Entdeckung weit vom Äquator gemacht wurde, und sprechen vielmehr zugunsten des Gedankens, daß die Kunst der Erhaltung und Entzündung des Feuers von Menschen entdeckt wurde, die in einer Zone mit ständig hoher Temperatur lebten. Man sagt mit Recht, daß die Zähmung von Tieren eine sehr wichtige Verbesserung des menschlichen Lebens darstellte. Überlegen wir jetzt einmal, unter welchen Umständen die bestimmten Einzelfaktoren dieses Vorgangs zustande kommen konnten. Beginnen wir unsere Überlegungen mit der Zähmung jenes Tiers, dessen Nachkommen wir heute unsere europäischen Haushunde nennen. Wer die Vorfahren dieser Hunde waren, ist eine Frage, die, scheint’s, noch nicht völlig sicher aufgeklärt ist, es unterliegt aber keinem Zweifel, daß es sich um eine Tierart handelt, die unserem heutigen Wolf, Schakal oder Dingo glich. Es fragt sich jetzt, welche Charaktereigenschaften wir bei dieser Raubtierrasse annehmen sollen: verhielt sie sich dem Menschen gegenüber feindlicher oder weniger feindlich als der besonders feindselige Wolf Jedermann wird sagen, daß diese Tierrasse sich um so leichter an Fütterung und freundliche Behandlung gewöhnen ließ und daß um so mehr Aussicht auf ihre Zähmung bestand, je weniger sie dem Menschen feindlich war. Wir sind also alle damit einverstanden, daß bei dem Tiere, welches fähig sein sollte, dem Menschen beim Fang der Beute, bei der Verteidigung gegen andere Raubtiere und beim Schutz des erworbenen Besitzes gegen andere Men-[361]schen behilflich zu sein, ein relativ milder Charakter jener Umstand war, der diesen für die Verbesserung des menschlichen Lebens so wichtigen Schritt erleichterte. Gehen wir zum Landbau über. In welcher Gegend begann er: in einer solchen, wo es Pflanzen gab, die im wilden Zustand ein für die menschliche Ernährung geeignetes Korn hervorbrachten, oder in einer solchen, wo diese Pflanzen fehlten Und welche Art Boden nahmen sich die ersten Ackerbauern zur Bearbeitung vor, um diese Pflanzen künstlich zu vermehren – einen Boden, der ihnen fruchtbar erschien oder einen unfruchtbaren Wir alle halten es für wahrscheinlich, daß der Landbau in einem Lande begann, wo viele der Getreidepflanzen, die heute, durch Zucht veredelt, zu Weizen, Gerste oder Roggen geworden sind, wildwachsend vorkamen, und daß für die ersten Versuche ihrer Aussaat Landstücke gewählt wurden, die denen glichen, auf denen sie im wilden Zustand gut gediehen; so wurden also, nach unser aller Meinung, die günstigen Voraussetzungen für die ersten Versuche der künstlichen Vermehrung der Getreidepflanzen zu den Umständen, die die Menschen aus dem niederen Nomadenleben zu dem höheren, seßhaften Leben von Ackersleuten brachten. Die von uns vorgebrachten Überlegungen werden wahrscheinlich niemandem als inhaltlich besonders neu erscheinen; wahrscheinlich wird jeder Leser sagen, daß er sie längst kennt und OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.11.2013
N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 159 sie immer schon für richtig gehalten hat, seit er das Alter erreichte, in dem man sich für die Fragen des Lebens interessiert und ernsthafte Bücher liest. Wir haben diese allgemein anerkannten Antworten auf die Fragen nach dem Beginn der Verwendung des Feuers, der Zähmung der Haustiere und der Bodenbearbeitung eben zu dem Zweck dargelegt, um daran zu erinnern, wie alle Welt über die Umstände denkt, die den Fortschritt bewirken. Wenn wir sie nach den Regeln des gesunden Menschenverstandes und auf Grund der Schlußfolgerungen unserer Lebenserfahrungen beurteilen, finden wir alle, daß die Erfolge der Zivilisation das Produkt von Vorgängen und Tatsachen sind, die das menschliche Leben günstig beeinflussen Das lehren uns Verstand und Lebenserfahrung. [362] OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.11.2013
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