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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 156<br />
Auf irgendeinem Wege erwarben aber die Vorfahren der Menschen unter dem Einfluß irgendwelcher<br />
günstiger Lebensumstände jene hochentwickelten geistigen Fähigkeiten, die sie<br />
zum Menschen machten. Erst damit beginnt jener Abschnitt der Geschichte ihres Lebens, der<br />
Fragen aufkommen läßt, die nicht nur einen allgemeinen physiologischen Inhalt, sondern<br />
speziellen Bezug auf das menschliche Leben haben.<br />
Diese Lebewesen übertrafen an Verstand bei weitem alle jene Säugetierarten, die dank ihrer<br />
physischen Kraft gleich ihnen ziemlich gut gegen ihre Feinde gesichert waren. Der gesamte<br />
weitere Fortschritt des Menschenlebens erklärt sich recht eigentlich aus der geistigen Überlegenheit.<br />
Selbstverständlich konnten Lebewesen, die unvergleichlich viel klüger Waren als<br />
Büffel oder Kamel, sehr viel leichter der Schwierigkeiten Herr werden, die der Verbesserung<br />
ihres Lebens im Wege standen. Der Büffel hat nicht die Fähigkeit, [356] sich auszudenken,<br />
wie er seinen Schlaf gegen die großen Raubtiere oder die Giftschlangen sichern könnte; die<br />
Wilden, die auf der allertiefsten uns real bekannten Stufe der Entwicklung stehen, kennen<br />
Mittel, die ihnen ruhigen Schlaf sichern, und wir sehen, daß die einfachsten dieser Mittel unschwer<br />
von Menschen gefunden werden konnten, die in geistiger Hinsicht weniger entwickelt<br />
waren als die tiefststehenden der heutigen Wilden. Man sagt, und es ist aller Wahrscheinlichkeit<br />
nach richtig, daß die Fähigkeit, einen Stein oder einen dicken Knüppel in die Hand zu<br />
nehmen und mit dieser Waffe auf den Feind einzuschlagen, die Sicherheit der Menschen erhöht<br />
und sie instand gesetzt hat, ihr materielles Leben zu verbessern und dank seiner Verbesserung<br />
zu einer höheren Entwicklung ihrer geistigen Fähigkeiten zu gelangen. Wir sehen, daß<br />
die klügsten anderen Säugetiere es nicht zu der Kunst gebracht haben, sich dieser Methode<br />
der Verteidigung gegen starke Feinde geschickt zu bedienen. Man sagt, daß Orang-Utan und<br />
Gorilla gut mit Steinen oder Knüppeln zu kämpfen verstehen; bei der Bewertung ihrer Kunst<br />
wird die Bezeichnung „gut“ jedoch nicht im Vergleich zur Geschicklichkeit des Menschen<br />
bei dieser Verteidigungsform gebraucht, sondern nur im Vergleich etwa mit dem sehr mangelhaften<br />
Geschick des Bären, Erdklumpen gegen seinen Feind zu schleudern. Wenn die<br />
Orang-Utans oder Gorillas mit Knüppeln zwar nicht mit der gleichen Kunst wie die Wilden,<br />
aber doch nicht grade viel schlechter als sie zu kämpfen verständen, würden sie die Menschen<br />
aus den Ländern vertrieben haben, in denen sie leben können, und es würde heute weder<br />
in den Zonen Afrikas, wo Gorillas leben, noch auf Borneo auch nur einen einzigen Menschen<br />
geben. Die Vertreibung der Menschen würde die unweigerliche Folge des Bestrebens<br />
der Affen sein, sich die Produkte der landwirtschaftlichen Tätigkeit anzueignen.<br />
Davon, auf welchen Wegen sich die Menschen, die auf einer tieferen Entwicklungsstufe standen<br />
als die rohesten der heute lebenden Wilden, eigentlich zu ihrer relativ hohen geistigen Entwicklung<br />
aufgeschwungen haben; besitzen wir wiederum keine positiven Kenntnisse: Alle ernsten<br />
Gelehrten [357] anerkennen als Grundregel der wissenschaftlichen Erklärung jenes Gesetz der<br />
Logik, welches besagt, daß wir, sobald eine Tatsache, von deren Ursprung wir keine direkte<br />
Kenntnis haben, durch die Wirkung von Kräften zu erklären ist, die vor unseren Augen gleichartige<br />
Tatsachen hervorbringen, nicht das Recht haben, ihren Ursprung irgendwelchen anderen<br />
Kräften zuzuschreiben, sondern sie für das Resultat jener Kräfte ansehen müssen, die heutzutage<br />
gleichartige Tatsachen hervorbringen. Wir wissen positiv, daß die Verbesserung des menschlichen<br />
Organismus das Produkt günstiger Lebensumstände ist, daß sich mit der verbesserten Organisation<br />
des Gehirns auch die geistigen Kräfte des Menschen verbessern, daß der moralische<br />
und materielle Fortschritt das Resultat der Verbesserung der geistigen und moralischen Kräfte<br />
ist; dieses gesicherte Wissen vom Verlauf des Fortschritts in unserer Zeit und in früheren, uns<br />
wohlbekannten Epochen, genügt vollkommen, um den Fortschritt im Menschenleben auch für<br />
jene Epochen zu erklären, über deren Geschichte wir keine direkten Angaben besitzen.<br />
Nehmen wir zum Beispiel drei gewaltige Verbesserungen des menschlichen Lebens: die Erwerbung<br />
der Kunst, sich des Feuers zu bedienen und es zu unterhalten oder anzuzünden, die<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013