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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 152<br />
Von den Menschen unserer Zeit wissen wir genau, daß sie unter Gewaltanwendung schlechter<br />
werden, während milde, wohlwollende Behandlung ihre moralischen Eigenschaften verbessert.<br />
War das auch in früheren Zeiten so Die Naturwissenschaft antwortet, daß das nicht nur<br />
im Leben der Menschen, sondern auch vorher, im Leben ihrer Vorfahren, stets so war. Jener<br />
Zweig der Zoologie, der sich mit der Erforschung des geistigen und moralischen Lebens der<br />
mit warmem Blut ausgestatteten Lebewesen beschäftigt, hat den Beweis erbracht, daß ausnahmslos<br />
alle Klassen, Familien und Arten dieser Tiere gereizt und moralisch ver-[348]dorben<br />
werden, wenn man Gewalt gegen sie anwendet, und bessere moralische Eigenschaften annehmen,<br />
wenn man sie wohlwollend, vorsorglich und milde behandelt. Wir brauchen nicht über<br />
den Kreis der Warmblüter hinauszugehen, wo es sich um die Erforschung der Gesetze des<br />
Menschenlebens handelt; auch besitzen wir, scheint’s, noch nicht genügend Material zur Erklärung<br />
der Formen und Gesetze des moralischen Lebens einiger Wirbeltiere mit kaltem Blut<br />
und der Mehrheit der wirbellosen Tiere. Für die Warmblüter aber hat die Naturwissenschaft<br />
einwandfrei festgestellt, daß sich ihr moralisches Leben nach einem allgemeinen Gesetz stets<br />
verschlechtert, wenn sie Grausamkeiten oder irgendeiner Art von Gewaltanwendung ausgesetzt<br />
sind, während diese Eigenschaften ich verbessern, wenn man sie gut behandelt.<br />
Was soll man da aber von der Zuverlässigkeit der zahlreichen geschichtlichen Zeugnisse halten,<br />
die behaupten, Gewaltanwendung verbessere die Sitten der durch zivilisierte Nationen<br />
unterworfenen Wilden Das Gleiche, was man von der Zuverlässigkeit aller anderen Berichte<br />
oder Überlegungen hält, die dem Naturgesetz widersprechen. Für den Historiker, der die Gesetze<br />
der menschlichen Natur kennt, kann es keinen Zweifel daran geben, daß alle Erzählungen<br />
dieser Art reine Erfindungen und Märchen sind; er hat ihnen gegenüber die Aufgabe,<br />
klarzumachen, wie sie entstanden sind, und die Fehlerquellen oder die Motive absichtlicher<br />
Verdrehung aufzufinden, denen sie ihre Entstehung verdanken.<br />
***<br />
Es gilt heute als feststehende Tatsache, daß alle Lebewesen, die die Fähigkeit haben, von Gegenständen<br />
der Außenwelt ausgehende Eindrücke wahrzunehmen und an ihrem Organismus<br />
Schmerz oder Lust zu empfinden, bestrebt sind, ihre Lebensumstände ihren Bedürfnissen anzupassen,<br />
sich eine möglichst angenehme Situation zu verschaffen, und deshalb darauf ausgehen,<br />
die Umwelt möglichst gut kennenzulernen. Von allen Lebewesen, deren Hör- und Sehorgane<br />
ihrem Bau nach den unseren mehr oder weniger ähneln, [349] d. h., nebenbei gesagt, von allen<br />
Säugetieren, wissen wir heute, daß sie außer dem Wunsch, ihre Lebensumwelt mit dem praktischen<br />
Ziel der besseren Befriedigung ihrer Bedürfnisse kennenzulernen, auch theoretische Wißbegier<br />
besitzen: sie blicken gern bestimmte Gegenstände an, hören gern bestimmte Laute. Sie<br />
neigen recht eigentlich deshalb dazu, bestimmte Dinge anzusehen oder anzuhören, weil es ihnen<br />
Lust bereitet, unabhängig von jedem Vorteil im materiellen Sinn des Wortes. Nachdem die Zoologie<br />
diese Tatsache bei allen Säugetieren festgestellt hat, kann man dem Menschen nicht ein<br />
angeborenes Streben nach Verbesserung seines Lebens und eine angeborene Wißbegier absprechen.<br />
Diese Eigenschaften, die der Mensch nicht verlieren kann, solange sein Nervensystem<br />
ungestört arbeitet, sind die ersten zwei der Grundkräfte, die den Fortschritt bewirken.<br />
Es gibt Lebewesen, die sich ihresgleichen gegenüber feindlich verhalten. So sagt man von<br />
den Spinnen. Aber bei den Lebewesen, die nach der zoologischen Klassifikation zu den höheren<br />
Gruppen der Säugetierklasse gerechnet werden, gibt es keine Art, die der Kategorie miteinander<br />
in Feindschaft stehender Lebewesen zugerechnet werden könnte. Sie zeigen im Gegenteil<br />
eine ausgesprochene Zuneigung zu Lebewesen der gleichen Art. Einige von ihnen<br />
führen ein einsames Leben, wie zum Beispiel die Wölfe; das ist jedoch nur eine Notwendigkeit,<br />
die ihnen die Schwierigkeit der Nahrungssuche aufzwingt; genau so gehen Jäger in Gegenden,<br />
wo es wenig Wild gibt, weit voneinander entfernt auf die Jagd; jedermann weiß, daß<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013