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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 150<br />

wendung gegen die einfachen Leute oder irgendeine andere Klasse der Nation ist hier am Platze,<br />

sondern Beihilfe zur Erfüllung dieses allgemeinen Wunsches.<br />

So soll die richtige Einstellung der aufgeklärten Menschen zur Masse ihrer Landsleute beschaffen<br />

sein. Und man muß sagen, daß schon seit ziemlich langer Zeit alle Regierungen der<br />

zivilisierten Staaten dieser vernünftigen Auffassung folgen; die barbarische Methode, Änderungen<br />

im Volksleben mit gewaltsamen Mitteln herbeizuführen, ist von den Regierungen<br />

aller europäischen Staaten, aller ohne [344] Ausnahme, längst verworfen; selbst die türkische<br />

Regierung hat den Versuch aufgegeben, ihrem Volk durch Gewaltanwendung Gutes zu tun;<br />

selbst sie weiß heute, daß Gewaltmaßnahmen das Leben des Volkes, zu dessen nationalem<br />

Bestand sie auch gehört, nicht verbessern, sondern nur verschlechtern.<br />

Die Gelehrten, die wünschen, daß die Regierung irgendeines zivilisierten Landes zur Umgestaltung<br />

des Lebens ihres Volkes Gewaltmaßnahmen anwendet, sind weniger aufgeklärte<br />

Menschen als die Machthaber des türkischen Staates.<br />

Mögen wir Franzosen sein oder Deutsche, Russen oder Spanier, Schweden oder Griechen – wir<br />

haben das Recht, unser eigenes Volk für weniger unwissend zu halten als das türkische;<br />

deshalb haben wir das Recht, von den Gelehrten unserer Nationalität zu verlangen, daß sie ihrem<br />

eigenen Volk nicht die Achtung versagen, die ein türkischer Pascha seinem Volke erweist.<br />

Einige der Gelehrten, die sich schämen, gewaltsame Eingriffe in das Leben des eignen Volkes<br />

zu fordern, scheuen nicht davor zurück zu erklären, die Regierung einer zivilisierten Nation<br />

sei verpflichtet, zu Gewaltmaßnahmen zu greifen, um die Sitten und Gebräuche von<br />

nichtzivilisierten Menschen anderer, seiner Macht unterstellter Stämme zu verbessern.<br />

Die Herrschaft über fremde Länder wird durch bewaffnete Gewalt errungen und aufrechterhalten.<br />

Die Frage, welche Rechte die Regierungen zivilisierter Nationen über unzivilisierte<br />

Stämme haben, geht also auf die Frage zurück, in welchen Fällen Vernunft und Gewissen Eroberungen<br />

rechtfertigen können. Alle diese Fälle gehören zum Begriff der Selbstverteidigung.<br />

Kein einziges seßhaftes Volk besitzt Sitten und Gewohnheiten, die ein anderes Volk dazu<br />

zwingen könnten, zur Eroberung als zu einem Mittel der Selbstverteidigung zu greifen. Jedes<br />

seßhafte Volk lebt friedlich und erwirbt sich seinen Unterhalt mit ehrlicher, ruhiger Arbeit.<br />

Kriegerische Zusammenstöße zwischen seßhaften Völkern haben ihre Ursache nicht in den<br />

Grundregeln des Völkerlebens, sondern nur in Mißverständnissen oder [345] Leidenschaftsausbrüchen.<br />

Wenn ein seßhaftes Volk einem anderen, ebenfalls seßhaften Volk an Kraft so<br />

überlegen ist, daß es dieses unterwerfen kann, so versteht sich ganz von selbst, daß es mehr als<br />

stark genug ist, um einen Überfall jenes anderen Volkes abzuwehren. Die Unterwerfung eines<br />

seßhaften Volkes kann deshalb nie als notwendiger Akt der Selbstverteidigung des Volkes<br />

betrachtet werden, welches die Eroberung vornimmt. Die Interessen eines jeden seßhaften<br />

Volkes verlangen Ruhe. Wenn ein stärkeres Volk seinem weniger starken seßhaften Nachbarn<br />

gegenüber Gerechtigkeit zu üben bestrebt ist, wird es höchst selten von diesem überfallen<br />

werden. Infolge der Überlegenheit des Verteidigers muß die Angriffshandlung des Schwächeren<br />

mit Mißerfolg enden. Wenn der Stärkere nach Abwehr des Angriffs des Schwächeren mit<br />

diesem einen gerechten Frieden abschließt und seinen Sieg nicht mißbraucht, wird der Besiegte<br />

für lange Zeit die Lust verlieren, einen netten Krieg anzufangen. Ein stärkeres Volk hat also<br />

stets die Möglichkeit, seine Beziehungen zu einem weniger starken seßhaften Nachbarn derart<br />

zu gestalten, daß sie vorwiegend friedlichen Charakter tragen. Die Unterwerfung eines seßhaften<br />

Volkes ist stets ein Akt der Ungerechtigkeit; eine Ungerechtigkeit kann aber für den, der<br />

sie erleidet, niemals von Nutzen sein, muß ihm stets Schaden zufügen. Die Unterwerfung eines<br />

seßhaften Volkes kann also, da sie niemals ein Akt notwendiger Selbstverteidigung des<br />

Unterwerfers ist, auch niemals gerechtfertigt werden. Etwas anderes ist das Verhalten seßhafter<br />

Völker zu Nomaden. Hier sind Verhältnisse möglich, wo die Unterwerfung eines benach-<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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