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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 149<br />
hat, Schlägereien unter einfachen Leuten zu unterbinden Es ist klar, daß die Liebhaber des<br />
Vergleichs der einfachen Leute mit Kindern nicht an das Verbot von Schlägereien denken, sondern<br />
an etwas ganz anderes; sie möchten, daß die einfachen Leute so leben, wie sie es sich ausgedacht<br />
haben, sie möchten die Sitten und Gewohnheiten des Volkes nach ihrem Gutdünken<br />
ummodeln. Nehmen wir an, daß alle Züge der Lebensweise der einfachen Leute, die ihnen nicht<br />
gefallen, wirklich schlecht sind, und daß alle [342] Regeln der Lebenshaltung, die sie an Stelle<br />
jener Züge setzen wollen, wirklich an und für sich gut sind. Sie sind dennoch Anhänger der Gewalt<br />
und bleiben deshalb, mögen sie auch die Sprache der zivilisierten Gesellschaft sprechen, im<br />
tiefsten Herzen Menschen aus der Zeit der Barbarei.<br />
In allen zivilisierten Ländern hat die Masse der Bevölkerung noch viele üble Gewohnheiten.<br />
Sie mit Gewalt ausrotten heißt aber, dem Volk noch üblere Verhaltungsweisen beibringen,<br />
heißt, es mit Gewalt an Betrug, Heuchelei, Gewissenlosigkeit gewöhnen. Die Menschen legen<br />
schlechte Gewohnheiten nur dann ab, wenn sie selber den Wunsch dazu haben; sie nehmen<br />
gute Gewohnheiten nur dann an, wenn sie selbst begreifen, daß sie gut sind, und es<br />
selbst für möglich halten, sie anzunehmen. Diese beiden Bedingungen enthalten vollauf den<br />
Kern der Sache: daß der Mensch das Gute erkennt und daß er es für möglich hält, es sich anzueignen;<br />
dieser Wunsch, es sich anzueignen, kann und wird dem Menschen niemals fehlen.<br />
Das Gute nicht zu wollen, liegt nicht in der Natur des Menschen, denn es liegt nicht in der<br />
Natur irgendeines Lebewesens. Es ist auch ohne Worte klar, daß Lebewesen, die wie der<br />
Mensch mit Lungen atmen und ein hochentwickeltes Nervensystem besitzen, sich das Gute<br />
wünschen; sehen wir uns die Bewegungen des Wurms an: selbst er kriecht von dem weg, was<br />
ihm schlecht erscheint, zu dem hin, was ihm gut erscheint. Der Drang nach dem, was gut erscheint,<br />
ist eine Grundeigenschaft der Natur aller Lebewesen.<br />
Wenn wir, die aufgeklärten Menschen irgendeines Volkes, der Masse unserer Stammesgenossen,<br />
die üble, für sie selber schädliche Gewohnheiten hat, Gutes wünschen, besteht unsere<br />
Pflicht darin, diese Masse mit dem Guten bekannt zu machen und dafür zu sorgen, daß sie die<br />
Möglichkeit erhält, sich das Gute anzueignen. Zu Gewalt greifen, ist hier völlig unangebracht.<br />
Wenn der Ersetzung des Schlechten durch das Gute nur die Unkenntnis des Guten im Wege<br />
steht, können wir unseren Wunsch, das Leben unserer Stammesgenossen zu verbessern, leicht<br />
erfüllen; die Wahrheiten, die sie kennenlernen müssen, sind keine verzwickten fachwissenschaftlichen<br />
Theoreme, sondern die Regeln der [343] Lebensweisheit, die jeder Erwachsene,<br />
selbst der ungebildetste, unschwer begreifen kann. Die Schwierigkeit besteht nicht darin, den<br />
einfachen Leuten klarzumachen, daß das Schlechte schädlich und das Gute nützlich ist; die<br />
überwiegende Mehrzahl der einfachen Leute jedes Volkes unserer europäischen Zivilisation<br />
kennt die wichtigsten Wahrheiten dieser Art sehr gut. Sie wünscht selbst, ihre schlechten Gewohnheiten<br />
durch gute zu ersetzen, und setzt diesen ihren Wunsch nur deshalb nicht in die Tat<br />
um, weil sie nicht die Mittel hat, so zu leben, wie sie es für gut und wünschenswert hält. Sie<br />
braucht nicht gute Lehren, sondern die Möglichkeit, die Mittel zur Ersetzung des Schlechten<br />
durch das Gute zu erwerben. Die Minderheit, die nach Regeln leben möchte, die den aufgeklärten<br />
Menschen mit Recht als schlecht erscheinen, ist in jeder der zivilisierten Nationen der<br />
Welt zahlenmäßig verschwindend klein; sie besteht aus Menschen, die sowohl bei der Masse<br />
der einfachen Leute als bei der Masse der gebildeten Gesellschaft als schlechte Menschen gelten.<br />
Mit Ausnahme dieser wenigen moralisch kranken Menschen haben alle übrigen einfachen<br />
Leute ebenso wie alle übrigen gebildeten Menschen den Wunsch, gut zu handeln; und wenn<br />
sie schlecht handeln, so tun sie es nur deshalb, weil ihre schlechten Lebensverhältnisse sie zu<br />
schlechten Handlungen zwingen; sie leiden alle darunter und möchten ihre Lebensverhältnisse<br />
gern so verbessern, daß sie nicht zu schlechten Handlungen getrieben werden. Die Pflicht der<br />
Menschen, die ihrem Volke Gutes tun wollen, besteht darin, die Verwirklichung dieses Wunsches<br />
der überwiegenden Mehrheit der Menschen aller Stände zu fördern. Nicht Gewaltan-<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013