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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 138<br />

nichtarischem Blut gering: das sehen wir an der Ähnlichkeit des dort vorherrschenden physischen<br />

Typus mit den Typen der alten und modernen Griechen. Noch geringer ist der Einschlag<br />

von finnischem Blut bei der Bevölkerung der nördlichen Teile von Norwegen und<br />

Schweden. So stammt also die ganze Masse der Bevölkerung Westeuropas von Menschen ein<br />

und derselben Gruppe der ansehen Familie ab, und man muß annehmen, daß sie die gleichen<br />

geistigen Erbeigenschaften besitzt. Daß diese Eigenschaften bei den verschiedenen Völkern<br />

Westeuropas verschieden sein sollen, ist eine phantastische Annahme, die durch philologische<br />

Forschungen widerlegt wird; wenn daher im gegenwärtigen Zeitpunkt irgendwelche<br />

Ungleichheiten in geistiger Beziehung bei den Völkern des Westens anzutreffen sind, so haben<br />

sie ihnen Ursprung nicht in den Naturanlagen der Stämme, sondern ausschließlich in ihrem<br />

historischen Leben und werden bleiben oder vergehen, je nachdem, wie dieses Leben<br />

sich entwickelt.<br />

Aber wenn von der Verschiedenheit der Völker nach ihren geistigen Fähigkeiten die Rede ist,<br />

urteilt man gewöhnlich nicht eigentlich nach der Kraft des Geistes, sondern nur nach dem<br />

Bildungsgrad des betreffenden Volkes; nun so können jene üblich gewordenen bestimmten<br />

Urteile zustande kommen. Die Untersuchung der Beschaffenheit der geistigen Eigenschaften<br />

eines Volkes an und für sich, unabhängig davon, ob sie je nach dem hohen oder tiefen Bildungsstand<br />

glänzen oder matt wirken, ist eine schwere Aufgabe und kann bei dem heutigen<br />

Stand der Wissenschaft [321] auch dann nicht zu sicheren Schlüssen führen, wenn die Völker<br />

der gelben Rasse mit Völkern der weißen verglichen werden; gewöhnlich dient sie nur als<br />

Vorwand, um sich selbst herauszustreichen und andere zu verleumden, wenn es sich um den<br />

Vergleich verschiedener Völker ein und derselben Gruppe einer Sprachfamilie handelt. Wer<br />

das alte Gerede von den angeborenen Unterschieden der Völker Westeuropas hinsichtlich<br />

ihrer geistigen Eigenschaften wiederholt, der versteht nichts von den Ergebnissen, zu denen<br />

die Sprachwissenschaft bereits vor ziemlich langer Zeit gekommen ist, indem sie nachwies,<br />

daß sie alle Nachkommen ein und desselben Volkes sind.<br />

Sprachunterschiede sind im praktischen Leben von recht großer Bedeutung. Menschen, die<br />

ein und dieselbe Sprache sprechen, sind geneigt, sich für ein nationales Ganzes zu halten;<br />

wenn sie sich daran gewöhnen, in staatlicher Hinsicht ein Ganzes zu bilden, entwickelt sich<br />

bei ihnen ein nationaler Patriotismus, und flößt ihnen mehr oder weniger ablehnende Gefühle<br />

gegenüber den Menschen ein, die andere Sprachen sprechen. In dieser realen Hinsicht bildet<br />

die Sprache wohl das allerwesentlichste Unterscheidungsmerkmal der Völker. Sehr oft jedoch<br />

mißt man der Sprache theoretische Bedeutung bei und bildet sich ein, man könne aus<br />

den Besonderheiten der Grammatik die Besonderheit der geistigen Fähigkeiten eines Volkes<br />

ableiten. Das ist reine Phantasie. Von den Regeln der Syntax losgelöst, haben die etymologischen<br />

Formen nicht die geringste Bedeutung; die Regeln der Syntax dagegen bestimmen in<br />

allen Sprachen zureichend die logischen Beziehungen zwischen den Worten, gleichgültig ob<br />

mit oder ohne Hilfe etymologischer Formen. Wesentlich unterscheiden die Sprachen sich nur<br />

durch den Reichtum oder die Armut ihres Wortschatzes, der Wortschatz aber entspricht den<br />

Kenntnissen des Volkes und kann nur als Zeugnis für diese Kenntnisse, für den Grad seiner<br />

Bildung, für seine Alltagsbeschäftigungen und seine Lebensweise und teilweise für seine<br />

Beziehungen zu anderen Völkern angesehen werden.<br />

Hinsichtlich der Lebensweise unterscheiden sich die Menschen sehr stark voneinander; aber<br />

in Westeuropa sind alle [322] wesentlichen Unterschiede dieser Art nicht nationale, sondern<br />

Standes- oder Berufsunterschiede. Der Landmann lebt anders als der Handwerker, der in einem<br />

geschlossenen Raum arbeitet. In Westeuropa gibt es jedoch nicht ein einziges Volk, in<br />

dem es keine Landleute oder Handwerker gäbe. Die Lebensweise des Adelsstandes ist nicht<br />

die gleiche wie die des Handwerkers oder Landmannes; aber alle europäischen Völker besitzen<br />

wiederum einen Adelsstand; auch bei denen, wo, wie bei den Norwegern, die Adelstitel<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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