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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 135<br />

zufriedenstellende häusliche Verhältnisse nötig sind. Von hundert gesunden zweijährigen<br />

Kindern gelangen achtzig oder neunzig wohlbehalten bis zum Alter von zwanzig Jahren,<br />

wenn die genannten Voraussetzungen vorhanden sind. Wenn dagegen ihre Familien etwa zu<br />

der Zeit, wo die Kinder das Alter von zwei Jahren erreichen, verarmen und die Kinder nunmehr<br />

in feuchten, dumpfigen Räumen bei schlechter und ungenügender Nahrung aufwachsen,<br />

so werden viele von ihnen sterben, ohne volljährig zu werden, und viele von den Überlebenden<br />

werden irgendwelche Krankheiten mitbekommen, die der schlechten Ernährung und<br />

feuchten Wohnung zuzuschreiben sind.<br />

Die physischen Eigenschaften eines zweijährigen Kindes sind unvergleichlich stabiler als<br />

seine moralischen Eigenschaften oder, richtiger gesagt, noch nicht Eigenschaften, sondern<br />

nur Anlagen zu Eigenschaften. Beim zweijährigen Kind sind bereits deutlich alle jene physischen<br />

Besonderheiten ausgeprägt, die es, wenn es gesund bleibt, bei seiner Volljährigkeit<br />

haben wird. Über die Begabung eines zweijährigen Kindes jedoch können wir uns noch keine<br />

begründete Meinung bilden; und wenn wir Kinder dieses Alters begabt oder unbegabt nennen,<br />

so phantasieren wir nur auf Grund unserer Sympathien oder Antipathien. Nicht nur von<br />

zweijährigen, sondern selbst von achtjährigen Kindern läßt [315] sich schwer sagen, ob einmal<br />

begabte oder stumpfsinnige Menschen aus ihnen werden. Und die moralischen Eigenschaften<br />

sind noch weniger stabil als die geistigen.<br />

Es ist heute bewiesen, daß ein Kind schwindsüchtiger Eltern bei der Geburt nicht Schwindsucht<br />

hat, gewöhnlich geschieht es jedoch, daß schwindsüchtige Eltern blutarm sind und einen<br />

schwachentwickelten Brustkorb haben und diese Eigenschaften des Organismus dann an<br />

ihre Kinder vererben. Wenn jedoch blutarme und schwachbrüstige kleine Kinder kräftigende<br />

Erziehung erhalten, vermindert sich oder verschwindet bei ihnen die Anlage zu den Krankheitserscheinungen,<br />

die die Schwindsucht hervorrufen. Die Kinder erben von ihren Eltern<br />

also nur die Veranlagung zur Schwindsucht, das Leben aber entscheidet, ob diese Veranlagung<br />

sich entwickelt, vermindert oder verschwindet. Kinder von Eltern mit guter Gesundheit<br />

werden im allgemeinen gesund und kräftig geboren, können dieses Erbe jedoch unter ungünstigen<br />

Lebensverhältnissen sehr leicht wieder verlieren.<br />

Für die moralischen Eigenschaften muß man annehmen, daß die Eltern jene Anlagen erblich<br />

übertragen, die direkt durch das sogenannte Temperament bedingt sind (in den Fällen, wo das<br />

Temperament vererbt wird). Aber auch dieser wahrscheinlich richtige Gedanke verlangt eine<br />

Einschränkung, um richtig bleiben zu können – wenn er überhaupt richtig ist. Der Einfachheit<br />

halber wollen wir alle Arten des Temperaments in zwei Typen teilen: das sanguinische und<br />

das phlegmatische. Nehmen wir an, daß wenn Väter und Mutter das gleiche Temperament<br />

haben, dies auch für die Kinder gilt. Hieraus folgt noch nichts über die Vererbung guter oder<br />

schlechter moralischer Eigenschaften. Vom Temperament bestimmt ist nur der Schnelligkeitsgrad<br />

der Bewegungen und wahrscheinlich des Stimmungswechsels. Man muß annehmen,<br />

daß ein Mensch, der einen schnellen Gang hat, zum schnelleren Stimmungswechsel<br />

neigt, als ein Mensch, dessen Bewegungen langsam sind. Dieser Unterschied jedoch bestimmt<br />

noch nicht, wer von ihnen arbeitsamer, und noch weniger, wer ehrlicher oder freundlicher<br />

ist als der andere; auch der Grad der Besonnenheit [316] wird nicht hiervon bestimmt.<br />

Übereiltes Handeln oder Unentschlossenheit sind nicht Temperamenteigenschaften, sondern<br />

das Resultat von Gewohnheiten oder das Ergebnis schwieriger Umstände. Hastig, unbesonnen<br />

und übereilt handeln auch Menschen mit schwerem langsamem Gang. Unentschlossen<br />

sind auch Menschen mit schnellem Gang. Das weiß jeder, der die Menschen gut zu beobachten<br />

weiß. Besondere Aufmerksamkeit verdient aber der Umstand, daß Schnelligkeit in Bewegung<br />

und Rede, heftige Gestikulationen und andere Eigenschaften, die als Merkmale einer<br />

natürlichen Anlage, des sogenannten sanguinischen Temperaments gelten, sowie die entgegengesetzten<br />

Eigenschaften, in denen man Merkmale des phlegmatischen Temperaments<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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