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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 134<br />

sehen bekommen haben, außer etwa bei Eisenbahnfahrten. Mehr ist uns von ihnen nicht bekannt.<br />

Wir wissen nicht, welchem Stand sie angehören und wie sie in der Hauptstadt leben;<br />

uns ist nur gesagt, daß sie ehrlich sind. Sowie sie die Nachricht vom Tode ihrer Verwandten<br />

und deren Mannes erhalten und erfahren, daß ein hinterbliebenes Waisenkind vorhanden ist,<br />

beschließen sie, das Kleine zu sich zu nehmen und zu adoptieren. Neunundzwanzig Jahre sind<br />

vergangen. Das adoptierte Waisenkind ist ein Mann von dreißig Jahren, seine Pflegeeltern<br />

leben noch; sie lieben das Kind wie den eigenen Sohn; auch er liebt sie wie seine leiblichen<br />

Eltern. Gleich ihnen ist er arbeitsam. Seit seiner Adoption ist in seinem Leben nichts Ungewöhnliches<br />

vorgefallen. Mehr wissen wir nicht von ihm. Es fragt sich nun, welche Gewohnheiten<br />

und Eigenschaften er außer der Arbeitsliebe hat und was seine Beschäftigung ist Auf<br />

einen Teil dieser Fragen kann man Antworten geben, die einen ziemlich hohen Grad von<br />

Wahrscheinlichkeit haben. So ist es zum Beispiel sehr wahrscheinlich, daß dieser Mann nun<br />

der Nationalität angehört, die die Masse der Einwohner der Hauptstadt besitzt. Diese Antwort<br />

ergibt sich aus den Angaben, daß die Familie, die die Waise adoptierte, die Muttersprache des<br />

Adoptivkinds nicht kannte und die Sprache der Hauptstadt sprach, in der sie aufgewachsen<br />

war. Sehr wahrscheinlich ist auch, daß er [313] ein Städter ist und kein Landwirt. Auch diese<br />

Meinung stützt sich auf unsere Kenntnisse von den Verwandten, die ihn adoptierten. Ist er<br />

Landwirt Schwerlich; die wohlhabenden Städter Westeuropas halten den Beruf des Landmanns<br />

für unvorteilhaft und pflegen ihre jüngeren Söhne nicht für ihn auszubilden. Aller<br />

Wahrscheinlichkeit nach ist er Städter. Welchen städtischen Beruf hat er ist er Handwerker,<br />

Schullehrer, Advokat oder Arzt Auf diese Frage können wir keinerlei vernünftige Antwort<br />

geben, weil wir nicht wissen, welchen städtischen Beruf sein Pflegevater hatte und was dieser<br />

und seine Frau über diesen Beruf dachten; ob sie meinten, daß ihr Pflegesohn gut daran täte,<br />

den gleichen Beruf zu wählen, oder daß er sich besser einen anderen suchte.<br />

Wir können jetzt leicht den wahren Charakter unserer Meinung darüber erkennen, ob bei der<br />

Ausbildung moralischer Eigenschaften der überwiegende Einfluß dem Herkommen oder dem<br />

Leben zuzuschreiben sei. Wir hielten es für wahrscheinlich, daß das Waisenkind ein ehrlicher<br />

Mensch wurde. Der Knabe ist in einer ehrlichen Familie aufgewachsen; durch den Wohlstand<br />

und die Liebe der Pflegeeltern vor Elend geschützt, konnte er unschwer die Gewohnheit erwerben,<br />

Diebstahl und andere Arten unehrlicher Handlungen zu verabscheuen. Um zu prüfen,<br />

ob wir die Entwicklung dieser Eigenschaften wirklich dem Einfluß des Lebens und nicht dem<br />

Einfluß der Herkunft zuschreiben, wollen wir die Bedingung der Hypothese ändern und annehmen,<br />

daß die Menschen, die den Waisenknaben adoptierten, von Schurkenstreichen lebten<br />

und es für dumm hielten, fremde Menschen ehrlich zu behandeln. Ist die Wahrscheinlichkeit<br />

groß, daß aus dem von ihnen erzogenen Waisenknaben ein ehrlicher Mensch wurde Wir<br />

sehen, daß wir die moralischen Eigenschaften seiner Eltern überhaupt nicht berücksichtigen,<br />

weil er zur Waise wurde, bevor er etwas Schlechtes oder Gutes von ihnen lernen konnte.<br />

Gehen wir jetzt zur Darlegung der Auffassung von der Charakterentwicklung des Einzelmenschen<br />

über, wie sie dem heutigen Stand unserer theoretischen Kenntnisse und den Schlüssen<br />

aus unseren Alltagsbeobachtungen entsprechen. [314] Um uns die Sache zu vereinfachen,<br />

werden wir ausschließlich von der westeuropäischen Gruppe der arischen Familie reden.<br />

Wenn sich die Menschen der fortgeschrittenen Nationen daran gewöhnt haben werden, einander<br />

gerecht zu beurteilen, werden sie imstande sein, gerechter, als sie es heute tun, auch<br />

über Menschen anderer Sprach- oder Rassegruppen zu urteilen.<br />

Nehmen wir ein zweijähriges Kind. Die gefährlichste Zeit der physischen Entwicklung hat es<br />

bereits hinter sich. Es ist gesund und kräftig geblieben. Schalten wir alle Annahmen irgendwelcher<br />

besonderen Unglücksfälle für die folgenden Jahre seiner physischen Entwicklung aus<br />

und fragen wir uns, ob es irgendwelcher günstiger Lebensumstände bedarf, damit das Kind<br />

gesund heranwächst Wir wissen, daß hierzu unter anderem ausreichende Ernährung und<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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