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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 133<br />

geraten, einen ziemlich sanften Charakter annehmen, sobald der Mensch sich Mühe gibt, die<br />

freundlichen Seiten in ihnen zu entwickeln. Wenn die Rede hierauf kommt, erwähnt man gewöhnlich<br />

den Hund. Viel bemerkenswerter jedoch ist die Entwicklung der Sanftmut bei der<br />

Katze. Ihrer natürlichen Neigung nach ist die Katze ein sehr viel grausameres Geschöpf als der<br />

Wolf. Wir alle wissen jedoch, daß die Katze leicht daran zu gewöhnen ist, sich dem Geflügel<br />

gegenüber friedlich zu verhalten. Es gibt viele Erzählungen von Katzen, die mit größter Sanftmut<br />

alle möglichen Quälereien von seiten kleiner Kinder, die mit ihnen spielen, erdulden.<br />

Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen den Säugetieren hinsichtlich ihrer moralischen<br />

Eigenschaften hat seine Ursache in der Anlage ihrer Mägen, der einige ihrer Familien sich<br />

ausschließlich von pflanzlichen, andere ausschließlich von tierischen Stoffen nähren läßt.<br />

Jedermann weiß, daß der Hund, ein Verwandter des Wolfs und des Schakals, die ausschließlich<br />

von Tierfleisch leben, sich leicht daran gewöhnt, Brot und alle anderen Sorten der pflanzlichen<br />

Speise zu fressen, von der sich der Mensch nährt. Er kann sich nur nicht von Heu nähren,<br />

das aber auch der Mensch nicht [311] zu sich nimmt. Es sind kaum irgendwelche genaue<br />

Beobachtungen darüber angestellt worden, ob der Hund gänzlich der Fleischnahrung entwöhnt<br />

werden kann. Jedermann weiß jedoch, daß einige Arten von Jagdhunden sich dazu<br />

abrichten lassen, Abscheu vor dem Verzehren jener Tiere zu empfinden, zu deren Jagd sie<br />

verwendet werden. Ein solcher Hund kann sogenanntes Wildfleisch auch dann nicht fressen,<br />

wenn ihn Hunger quält. Umgekehrt können Pferd und Kuh oder Ochse leicht daran gewöhnt<br />

werden, Fleischbrühe zu fressen. Es sind Fälle beobachtet worden, wo Gemsen oder Steppenantilopen<br />

in der Gefangenschaft Speck zu fressen lernten. Wenn wir uns derartige starke Veränderungen<br />

von Eigenschaften vor Augen halten, die unmittelbar von der Anlage des Magens<br />

abhängen, so müssen die Zweifel daran, ob weniger stabile Eigenschaften als die von der<br />

Anlage des Magens abhängigen Besonderheiten sich unter besonderen Umständen stark verändern<br />

können, für uns jeden Sinn verlieren.<br />

Die geistigen und die moralischen Eigenschaften sind weniger stabil als die physischen, und<br />

man muß deshalb annehmen, daß auch ihre Erblichkeit weniger stabil ist. Wie weit sie vererblich<br />

sind, ist durch wissenschaftliche Forschungen noch nicht in dem Maße festgestellt, das<br />

zur Beantwortung der Frage erforderlich ist, wie die geistigen und moralischen Ähnlichkeiten<br />

und Unterschiede bei Menschen vom gleichen physischen Typus zustande kommen. Eine<br />

Meinung hierüber können wir uns nur auf Grund der zufälligen und lückenhaften Kenntnisse<br />

bilden, die wir durch Alltagsbeobachtungen über die Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit von Kindern<br />

mit ihren Eltern oder von Brüdern und Schwestern untereinander gewinnen.<br />

Um festzustellen, zu welcher Meinung verständige Menschen auf Grund der alltäglichen Beobachtung<br />

dieser Ähnlichkeiten und Unterschiede im wesentlichen gekommen sind, wollen<br />

wir die Methode der Lösung genau bestimmter Hypothesen anwenden, deren sich die Naturforscher<br />

zur Erhellung von Fragen bedienen, die sich durch Analyse konkreter Tatsachen<br />

schwer entscheiden lassen.<br />

Stellen wir uns die folgende Aufgabe: In einem der Län-[312]der Westeuropas leben in einem<br />

weltabgeschiedenen Dorf ein Mann und eine Frau, zwei Menschen von gleichem physischem<br />

Typus und von gleichem Charakter. Alle Männer in diesem Dorf sind Landwirte, und die<br />

Frauen helfen den Männern bei den Feldarbeiten. Unser Paar führt das gleiche Leben; sie sind<br />

arbeitsam, ehrlich und gut. Sie haben einen Sohn. Ein Jahr nach seiner Geburt sterben die Eltern.<br />

Der nächste Verwandte des Waisenkindes, ein Vetter seiner Mutter, ist verheiratet, hat<br />

aber keine Kinder. Von ihm und seiner Frau wissen wir nur, daß sie ehrliche, gute und arbeitsliebende<br />

Menschen und dabei nicht arm sind, daß sie in der Landeshauptstadt eines anderen<br />

Volkes leben, daß sie dort geboren sind und ihr ganzes Leben verbracht haben, die Sprache<br />

jener Hauptstadt sprechen, keine andere Sprache kennen und vom Acker niemals etwas zu<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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