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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 131<br />
aus, zerfällt aber ebenfalls in mehrere Gebiete, in deren jedem, nach den Charakteristiken zu<br />
urteilen, die die Ethnographen geben, ein Stamm wohnt, der nach seinen geistigen und moralischen<br />
Eigenschaften den anderen Gruppen des englischen Volkes überhaupt nicht ähnlich ist.<br />
Führen wir ein Beispiel an. Nach der übereinstimmenden Meinung englischer und schottischer<br />
Ethnographen unterscheidet sich die Bevölkerung von Südschottland durch ihre moralischen<br />
Eigenschaften sehr scharf von der Masse der Engländer. Diese Schotten übertreffen, nach englischer<br />
Meinung, die Engländer bei weitem an Hinterlist und Habgier (nach ihrem eignen<br />
Ausdruck an Besonnenheit). Die Einwohner des nördlichen Teils von England sprechen jedoch<br />
dieselbe Mundart und haben die gleichen Gewohnheiten wie diese Schotten, und unterscheiden<br />
sich von ihnen lediglich dadurch, daß sie sich Engländer nennen und nicht Schotten.<br />
– Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß die Schwaben nach den ethnographischen Charakteristiken<br />
nicht die geringste Ähnlichkeit mit den Westfalen haben; das mag für [307] Westdeutschland,<br />
dessen Bevölkerung keinen fremdstämmigen Einschlag besitzt, genügen.<br />
Gewiß, die landläufigen Charakteristiken des französischen, englischen und deutschen Volkes<br />
sind phantastisch, so daß die Franzosen sich wundern und, je nach Stimmung, lachen<br />
oder ärgerlich werden, wenn sie das dumme Zeug lesen, das bei Ausländern als Charakteristik<br />
des französischen Volkes ernst genommen wird; den gleichen Eindruck macht auf Deutsche<br />
die bei Ausländern übliche Charakteristik der deutschen Nation und auf Engländer die<br />
auf dem Kontinent übliche Charakteristik der Engländer, dabei gibt es wirklich gewisse Unterschiede<br />
in den Sitten und Gewohnheiten dieser Völker. Töricht sind auch jene landläufigen<br />
Charakteristiken, nach denen die einzelnen Gruppen der Bevölkerung Frankreichs, Englands<br />
und Westdeutschlands den anderen Stämmen ihrer Nation überhaupt nicht ähnlich sind; es<br />
gibt jedoch wirklich auch gebietsweise Unterschiede in den Gewohnheiten. Wie sind diese<br />
Gebiets- und Nationalunterschiede zwischen Menschen, die von Vorfahren mit den gleichen<br />
Eigenschaften und Gewohnheiten, von Menschen der gleichen Gruppe, der gleichen Sprachfamilie<br />
abstammen, zustande gekommen<br />
Das Volk ist eine Gruppe von Menschen, die Eigenschaften des Volkes sind die Summe der<br />
individuellen Eigenschaften der Menschen, die diese Gruppe bilden; deshalb wandeln sich<br />
die Eigenschaften eines Volkes mit den Veränderungen der Eigenschaften der Einzelmenschen,<br />
und die Ursachen für die Veränderungen sind in beiden Fällen die gleichen. Wie<br />
kommt es zum Beispiel, daß ein Volk, das bisher die eine Sprache gesprochen hat, anfängt,<br />
eine andere zu sprechen Einzelne Personen halten es für angebracht, eine fremde Sprache zu<br />
erlernen; wenn dieses Bedürfnis gleichermaßen alle erwachsenen Familienmitglieder erfaßt,<br />
Werden sich ihre Kinder bereits in der Familie daran gewöhnen, eine Sprache zu sprechen,<br />
die ihr früher fremd war; sobald diese Änderung in der Mehrzahl der Familien vor sich geht,<br />
wird die alte Sprache bei der Masse des Volkes bald in Vergessenheit geraten, und die neue<br />
wird zu ihrer „Muttersprache“ werden. Der Wechsel der Sprache [308] unterscheidet sich<br />
beim Einzelmenschen und beim Volk nur durch die Zeitdauer, die jeweils dazu nötig ist.<br />
Genau das gleiche gilt für die Erwerbung oder den Verlust aller möglichen Kenntnisse und<br />
Gewohnheiten. Mit Änderungen in den Kenntnissen und Gewohnheiten ändert sich der sogenannte<br />
Charakter der Menschen.<br />
Aus welchen Gründen erwirbt ein Mensch irgendwelche Kenntnisse Teils aus der Neigung<br />
jedes denkenden Wesens heraus, die Gegenstände kennenzulernen und über sie nachzudenken,<br />
teils weil diese oder jene Kenntnisse im praktischen Leben gebraucht werden.<br />
Die Wißbegier, die Neigung zu beobachten und nachzudenken, sind natürliche Eigenschaften<br />
nicht nur des Menschen, sondern aller mit Bewußtsein begabter Wesen. Es gibt heute kaum<br />
noch einen Naturforscher, der nicht anerkennt, daß alle mit einem Nervensystem und Augen<br />
ausgestatteten Wesen denkende Wesen sind, daß sie ihre Umweltverhältnisse studieren und<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013