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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 127<br />

genug Kraft hatte, sich fest auf den Beinen zu halten, und noch verständig genug war, die<br />

Kampfreihen zu schließen. War das der Fall, so trug die gut disziplinierte und gut bewaffnete<br />

Truppe den Sieg davon über die ungeordnete Menschenmenge, in [299] deren Reihen es wenig<br />

erfahrene Soldaten gab. Wenn dagegen die Deutschen so betrunken waren, daß sie nicht<br />

mehr kämpfen konnten, so vertrieb sie das Volk aus Rom. In diesem Falle überlegt sich der<br />

Historiker, ob er eine schwungvolle Rede einschalten soll oder nicht, eine Rede, in der es<br />

heißt, daß die Römer sich als würdige Nachkommen ihrer ruhmbedeckten Vorfahren erwiesen<br />

haben. Wenn er findet, daß seine früheren Phrasen über ihre Feigheit von der Seite, die er<br />

gerade schreibt, nur durch eine Anzahl von Seiten getrennt ist, die zur Wiedergeburt der Römer<br />

nicht ausreicht, so werden die Römer diesmal nicht wiedergeboren. Aber fünf oder sieben<br />

Jahre später zieht der deutsche König – jetzt bereits römischer Kaiser – wieder gegen<br />

Rom. Diesmal gab es bei den Römern keine Fehden, oder die siegreiche Partei war imstande<br />

gewesen, eine starke Macht aufzurichten, und die Besiegten hatten sich im Gefühl ihrer<br />

Ohnmacht mit den Siegern ausgesöhnt; es gibt keinen Verrat, die Regierung verfügt über<br />

große Proviantvorräte. Die Stadt hält eine lang dauernde Belagerung aus; die Deutschen werden<br />

bei einem glücklichen Ausfall vernichtend geschlagen oder gehen in der Mehrheit durch<br />

Kämpfe oder Krankheiten zugrunde; der Rest zieht ab, die Römer verfolgen sie. Hier empfindet<br />

der Historiker das dringende Bedürfnis, den Römern eine Wiedergeburt zuteil werden<br />

zu lassen, und findet, daß dem nichts im Wege steht, weil seine letzte schwungvolle Rede<br />

über ihre Feigheit nicht weniger als zehn Seiten von dem Blatt entfernt ist, an dem er gerade<br />

schreibt; unter seiner Feder werden die Römer wiedergeboren. Wenn Sie mit einer menschenliebenden<br />

Denkweise ausgestattet sind, dürfen Sie sich nicht zu früh freuen: nach einer genügenden<br />

Anzahl von Seiten werden die Römer schon wieder entarten; aber Sie können im voraus<br />

sicher sein, daß Sie nicht gar zu sehr zu trauern brauchen: einige Seiten weiter werden sie<br />

zum Zwanzigsten oder einundzwanzigsten Mal wiedergeboren werden.<br />

In den langen Jahren der Zerstückelung ihres Landes haben die Italiener viele Heldentaten<br />

vollbracht. Aber gleich nach der Eroberung des Königreichs der Langobarden durch Karl den<br />

Großen 8 waren sie bis in die allerjüngste Zeit nicht [300] imstande, die zahlreichen, mächtigen<br />

Feinde abzuwehren: jeder ihrer Nachbarn ging, sobald er ein großes Heer zusammenkriegen<br />

konnte, zu Fuß oder zu Schiff los, um das reiche, zerstückelte Italien auszuplündern;<br />

wenn es den Italienern gelungen war, den Angriff abzuwehren, erneuerte der Gegner, nachdem<br />

er sich von seinen Mißerfolgen erholt hatte, den Angriff, wenn er aber längere Zeit hindurch<br />

geschwächt blieb, so zog an seiner Statt ein anderer Nachbar los, um Italien auszurauben;<br />

deshalb kamen die Italiener bei all den erfolgreichen Schlachten, die sie lieferten, niemals<br />

dazu, sich auszuruhen, und ihre Siege blieben nutzlos; kaum hatten sie die Deutschen<br />

zurückgeschlagen, so wurden sie von den Spaniern oder Franzosen überfallen; selbst die Ungarn<br />

zogen mehrmals aus, um Italien zu plündern. Wenn die erschöpften Italiener einen Angriff<br />

abgeschlagen hatten, wurden sie die Opfer wenn nicht des zweiten, so des dritten Überfalls<br />

und erwiesen sich nach der Meinung der Sieger, die bis heute von der Mehrzahl der Historiker<br />

anderer Nationen wiederholt wird, als Feiglinge. Die Historiker neigen im allgemeinen<br />

dazu, die Eroberer zu verherrlichen und die Eroberten zu beschimpfen. Das ist bei ihnen<br />

keine berufsmäßige Schwäche, sondern nur das Resultat der Abhängigkeit ihrer Urteile von<br />

der öffentlichen Meinung der Nation, der sie jeweils angehören.<br />

Man kann jetzt wohl annehmen, daß Italien sich seine Unabhängigkeit bewahren wird. Die<br />

Völker, die lange Zeit bestrebt waren, es auszuplündern und zu unterjochen, beginnen sich,<br />

scheint’s, an den Gedanken zu gewöhnen, daß das italienische Volk sich keiner Fremdherrschaft<br />

fügen wird, ohne heftigen Widerstand zu leisten, und daß der Wunsch, es zu unterwer-<br />

8 Das Königreich der Langobarden wurde im Jahre 773 u. Z. von Karl dem Großen erobert.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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