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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 126<br />

den Verwandten des Königs zum Besitz gegeben hatte, begannen die Aragonier und Franzosen<br />

über Italien herzufallen. So waren die Italiener gezwungen, drei starke Völker von sich<br />

abzuhalten. Spricht es gegen ihre Kühnheit, daß sie dabei besiegt wurden So blieb die Lage<br />

bis in die jüngste Zeit. Wenn wir uns die Kämpfe der kleinen italienischen Staaten gegen die<br />

starken fremdländischen Heere in allen Einzelheiten genauer ansehen, werden wir eine Menge<br />

von Beispielen dafür finden, daß die Italiener sich kühner geschlagen haben als ihre Eroberer.<br />

Die Historiker, die den Italienern Feigheit vorwerfen, vertreten im allgemeinen die Theorie,<br />

daß die Eigenschaften eines Volkes seinen unveränderlichen, erblichen, von den Vorfahren<br />

übernommenen Charakter ausmachen; wir werden später darüber sprechen, wieweit diese<br />

Theorie mit den Tatsachen übereinstimmt. Einstweilen wollen wir bemerken, daß die Gelehrten,<br />

die diese Theorie vertreten, offensichtlich gezwungen sein müßten, die Italiener für ein<br />

sehr kühnes Volk zu halten. Denn wer sind denn, wirklich, die Vorfahren der Italiener die<br />

Römer; oder, wenn man noch die sekundären Elemente hinzunimmt, außer den Römern auch<br />

die Griechen, Langobarden, Normannen und Araber. Alle diese Völker gelten als sehr kühn.<br />

Wie können die Nachkommen so kühner Völker von Menschen, die ständig behaupten, der<br />

Volkscharakter sei unveränderlich und erblich, als Feiglinge bezeichnet werden Das wird<br />

ganz einfach gemacht: die Theorie der Erblichkeit wird auf den Seiten vorgetragen, wo es<br />

dem Autor paßt, auf ihr zu bestehen, auf den dazwischenliegenden Seiten dagegen, wo sie<br />

ihm nicht paßt, tritt irgendeine andere Theorie an ihre Stelle, die dem Autor im Augenblick<br />

seiner Überlegungen mehr in den Kram paßt, gewöhnlich die Theorie der Entartung. Wenn<br />

ein Historiker, der die Theorie der Unveränderlichkeit der nationalen Eigenschaften vertritt,<br />

ausführlich von den Überfällen auf Italien im Mittelalter berichtet, pflegen die Italiener auf<br />

den Seiten seines Buches viele Male zu entarten [298] und wiedergeboren zu werden. Da<br />

nähert sich zum Beispiel ein großes, fremdländisches Heer den Mauern Roms. In Rom fanden<br />

vor dieser Zeit Fehdekämpfe statt; die besiegte Partei stört den verhaßten Gegner bei der<br />

Verteidigung der Stadt oder öffnet den Fremden verräterisch die Stadttore. Hierin liegt absolut<br />

nichts besonders Römisches oder Italienisches: so hat man in allen Ländern, in allen Städten<br />

zu Zeiten von Fehdekämpfen gehandelt. Aber haben sich die alten Römer so benommen,<br />

als Hannibal vor den Toren Roms stand 6 Nein. Sie haben Hannibal nicht nach Rom hereingelassen.<br />

Aber jetzt, in diesem oder jenem Jahr des 11. oder 12. Jahrhunderts, haben die Römer<br />

sich dem deutschen König ergeben. 7 Offensichtlich kann der Bericht hierüber bequem<br />

durch eine schwungvolle Rede in pathetischem Ton und vielen Ausrufungszeichen abgeschlossen<br />

werden: „Ja, die Römer haben sich dieses Mal nicht als würdige Nachkommen jener<br />

Römer gezeigt, die, während Hannibals Truppen vor den Mauern Roms standen, die von<br />

ihnen besetzten Ländereien öffentlich zur Pacht ausboten und dann für diese Landteile die<br />

gleiche hohe Pacht bezahlten wie in Friedenszeiten, weil sie unerschütterlich davon überzeugt<br />

waren, daß sie den gefährlichen Feind bald weit von hinnen jagen würden! Diesmal gab es in<br />

Rom keine echten Römer mehr! Die kläglichen Leute, die sich diesen ruhmreichen Namen<br />

beilegten, waren...“ – und es folgen allerlei Schimpfworte, wie sie ein wohlerzogener Autor<br />

sich eben noch erlauben kann. Der deutsche König ist in Rom eingezogen, der Papst krönt<br />

ihn zum Kaiser. Bei den Krönungsfeierlichkeiten schlugen die deutschen Truppen über die<br />

Stränge; um ihre Geduld gebracht und ohne daran zu denken, daß sie nur geringe Aussichten<br />

auf Erfolg hatten, griffen die Einwohner Roms zu den Waffen und schlugen gegen die Deutschen<br />

los. Der Ausgang des Kampfes hing natürlich davon ab, ob sich alle Deutschen in dieser<br />

Stunde bereits vollgesoffen hatten oder ob ihre Mehrheit trotz aller Besoffenheit noch<br />

6 Hannibal rückte im Jahre 216 v. u. Z., von Norden her über die Alpen kommend, gegen Rom vor und brachte<br />

den römischen Heeren einige schwere Niederlagen bei.<br />

7 Bezieht sich auf den Einzug des deutschen Kaisers Friedrich Barbarossa in Rom im Jahre 1155; Barbarossa<br />

wurde hier vom Papste zum Kaiser gekrönt.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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