15.01.2015 Aufrufe

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 123<br />

Das weiß übrigens aller Wahrscheinlichkeit nach jeder von uns, auch ohne daß er sich die<br />

unnötige Arbeit macht aufzuschreiben, was wir vom Charakter unserer Bekannten denken.<br />

Wenn das richtig ist, so haben wir es erst gar nicht nötig, die Probe zu machen, von der wir<br />

gesprochen haben. Stellen wir die Schlußfolgerungen dar, zu denen uns die Probe geführt<br />

hätte, wenn wir sie angestellt hätten.<br />

Im Bekanntenkreis eines jeden von uns gibt es keine zwei Menschen, deren Charaktere sich<br />

nicht in wichtigen Punkten voneinander unterschieden. Die Kombinationen von Eigenschaften<br />

sind sehr mannigfaltig. Mit Besonnenheit zum Beispiel geht manchmal hoher Verstand<br />

Hand in Hand, manchmal dagegen ein Maß von geistigen Fähigkeiten, das sich nur wenig<br />

von Stumpfsinn unterscheidet. Viele der Menschen, die in geistiger Hinsicht völlig unfähig<br />

gelten, sind sehr besonnen. Da haben wir schon vier Gruppen von Menschen; begabte und<br />

vernünftige, begabte und unvernünftige, unbegabte und vernünftige sowie unbegabte und<br />

unvernünftige. Nehmen wir noch die Bestimmung nach irgendeiner [292] anderen, dritten<br />

Eigenschaft, zum Beispiel der Ehrlichkeit, hinzu, so zerfällt jede Gruppe noch einmal in zwei<br />

Gruppen. Wieviel Gruppen erhalten wir, wenn wir der Einschätzung neun Eigenschaften zugrunde<br />

legen Wenn in Wirklichkeit nicht alle 1024 Gruppen dabei vorkommen, die sich<br />

nach der Formel der Kombinatorik ergeben, so doch sicher Hunderte von Typen.<br />

Der Versuch, den wir vorgeschlagen haben, ergibt Resultate, die wissenschaftlich nicht ernst<br />

zu nehmen sind, da er sich nur unter der Bedingung zu Ende führen läßt, daß wir unsere Gedanken<br />

über die Eigenschaften unserer Bekannten niederschreiben, ohne uns darum zu kümmern,<br />

ob unsere Meinungen der Nachprüfung standhalten. Aber ist jemals wenigstens auch<br />

nur ein solch oberflächlicher Versuch zur Bestimmung des Charakters der Menschen unternommen<br />

worden, die nicht den Kreis unserer persönlichen Bekannten bilden, sondern ein ganzes<br />

Volk Wer hat jemals versucht nachzurechnen, in welchem Verhältnis zur Gesamtzahl der<br />

Menschen irgendeines Volkes zum Beispiel die Zahl der besonnenen oder der unbesonnenen,<br />

der willensstarken oder willensschwachen Menschen usw. steht, oder wie sich die Zahl der<br />

Menschen von diesem oder jenem durch die Kombination verschiedener Eigenschaften gebildeten<br />

Typus zur Gesamtzahl der Menschen des betreffenden Volkes verhält Nichts dergleichen<br />

ist jemals bei irgendeinem Volk versucht worden. Und wir müssen hinzufügen, daß die<br />

Arbeit, die zu einer befriedigenden direkten Erforschung der heutigen geistigen und moralischen<br />

Eigenschaften eines der zivilisierten Völker nötig wäre, mengenmäßig, ihres riesigen<br />

Umfangs wegen weit über die Kräfte des Gelehrtenstandes dieses Volkes hinausginge.<br />

Wir sind deshalb gezwungen, uns mit unseren subjektiven, zufälligen und sehr beschränkten<br />

Beobachtungen über den Charakter der Menschen und mit den Schlußfolgerungen über die<br />

moralischen Eigenschaften zufrieden zu geben, die wir aus unserem Wissen von den Lebensformen<br />

und den großen Ereignissen im Leben der Völker ziehen. Das Gesamtwissen, das uns<br />

diese Quellen liefern, ist kärglich und leidet darunter, daß es mit unsicheren Vermutungen<br />

[293] ist. Aber es wäre gut, wenn wir uns die Mühe gäben, wenigstens mit diesem unbefriedigenden<br />

Material aufmerksam und vorsichtig umzugehen. Wir tun nicht einmal das. Die<br />

landläufigen Begriffe vom Charakter der verschiedenen Völker sind flüchtig aufgestellt oder<br />

vorwiegend von unseren Sympathien oder Antipathien beeinflußt. Als Beispiel hierfür wollen<br />

wir die übliche Definition des Nationalcharakters der alten Griechen anführen. Wem von uns<br />

hat sich nicht die folgende Charakteristik des Volkes der alten Griechen eingeprägt<br />

„Nationale Eigenschaften der Griechen waren Kunstliebe, ästhetisches Feingefühl, Bevorzugung<br />

des Schönen vor dem Prunkvollen, <strong>Zur</strong>ückhaltung im Genuß, Maß beim Weintrinken<br />

und noch mehr beim Essen. Die Gelage der Griechen waren fröhlich, kannten aber weder<br />

Trunkenheit noch Völlerei.“<br />

Beschränken wir uns auf diese, den Griechen zugeschriebenen nationalen Charakterzüge.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!