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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 119<br />

3<br />

VON DER VERSCHIJDENHEIT DER VÖLKER<br />

NACH IHREM NATIONALCHARAKTER<br />

Die Lebensweise und die Vorgänge im Leben der Menschen sind teils durch äußere Faktoren<br />

bestimmt, die von ihren Eigenschaft unabhängig sind, teils durch ihre eigenen Eigenschaften<br />

Die Menschengruppen, mit denen sich die Geschichte beschäftigt, sind Völker, Volksteile<br />

und Verbände von Völkern oder Volksteilen.<br />

Aus diesen unbestreitbar richtigen Gedanken ergibt sich ganz von selbst, daß unsere Kenntnisse<br />

von den Eigenschaften der Völker uns Erklärungen für die Formen der Lebensweise<br />

und der Vorgänge im Leben der historischen Menschengruppen liefern können.<br />

Die Eigenschaften jeder beliebigen Menschengruppe sind die Gesamtheit der Eigenschaften<br />

der Einzelmenschen aus denen die Gruppe besteht. Deshalb ist das Wissen von den Eigenschaften<br />

dieser Gruppe nur die Gesamtheit des Wissens von den individuellen Eigenschaften<br />

der Menschen, die sie bilden. So kann unser Wissen von den Eigenschaften eines Volkes<br />

nichts anderes sein als die Zusammenfassung unseres Wissens von den Eigenschaften der<br />

Einzelmenschen, die dieses Volk bilden.<br />

Wir können die Eigenschaften von Einzelpersonen oft ziemlich gut kennenlernen, auch ohne<br />

daß wir ihre Lebensweise oder sonstige wichtige Tatsachen aus ihrem Leben kennen. Jeder,<br />

der an großen Gesellschaften teilnimmt, hat Bekannte, von denen er nichts anderes kennt als<br />

den Eindruck, den sie bei Begegnungen in der Gesellschaft auf ihn und seine Verwandten<br />

oder Freunde machen; diese Begegnungen können inhaltlich völlig nichtssagend sein, sich<br />

auf den Austausch von Begrüßungen und auf Unterhaltungen über für die Gesprächspartner<br />

gleichgültige Gegenstände beschränken und uns dennoch genügend Material für eine ziemlich<br />

richtige Beurteilung einiger geistiger und moralischen Eigenschaften unseres Bekannten<br />

liefern. Wenn wir uns mit ihm zum Beispiel über die neusten Zeitungsmeldungen [285] und<br />

städtischen Anekdoten unterhalten, kann es sehr leicht sein, daß wir eine gute Vorstellung<br />

von seinen Meinungen über allerlei soziale und moralische Fragen bekommen, und uns auf<br />

Grund dieser seiner Meinungen ein Bild von seinen moralischen Qualitäten machen können.<br />

Nachdem wir so die moralischen Eigenschaften des Menschen kennengelernt haben, von dem<br />

wir nur sein Äußeres, seine Kleidung und diese seine Eigenschaften kennen, können wir<br />

Schlüsse auf seine Lebensweise ziehen; und wenn wir von einer wichtigen Handlung, die er<br />

vollzogen hat, oder von einem anderen Ereignis in seinem Leben erfahren, können wir uns<br />

diese Tatsache in manchen Fällen befriedigend aus seinen moralischen Qualitäten erklären.<br />

Angenommen, zum Beispiel, wir haben uns aus Gesprächen mit ihm davon überzeugt, daß er<br />

verständig ist und über einen starken Willen verfügt. Hieraus können wir die Vermutung ableiten,<br />

daß er sein Alltagsleben möglichst gut organisiert hat, daß er zum Beispiel jeden Tag<br />

eine Mahlzeit zu sich nimmt, deren Qualität seinen Finanzen entspricht, nicht aber für ein<br />

einziges Mittagessen so viel Geld ausgibt, daß er nachher einige Tage hungern muß. Angenommen,<br />

wir haben gehört, daß er sich in Gefahr befunden, aber heil aus ihr hervorgegangen<br />

ist; wir haben dann ein Recht zu der Annahme, daß er sich in dieser Gefahr vernünftig und<br />

mutig benommen hat. Sind solche Vermutungen zuverlässiges Wissen Selbstverständlich<br />

nicht; aber solange wir nichts erfahren, was gegen sie spricht, haben wir vernünftigerweise<br />

das Recht, sie für wahrscheinlich und in einigen Fällen sogar für sehr glaubwürdig zu halten.<br />

Bei einzelnen Menschen können wir also oft bedeutend mehr von ihren Eigenschaften wissen<br />

als von ihrem Alltag und den wichtigen Vorgängen ihres Lebens. In solchen Fällen kann unser<br />

Wissen von ihren Eigenschaften uns dazu dienen, die geringen und ungenügenden Kenntnisse<br />

von ihrer Lebensweise und den wichtigen Ereignissen in ihrem Leben zu klären.<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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