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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 118<br />
ßen derartige Erklärungen stehen, wollen wir einen Blick auf die Verwandtschaft solcher<br />
Säugetiere werfen, die wir alle besonders gut kennen.<br />
Das Pferd ist ein recht gehorsamer Diener des Menschen; der Esel, sein naher Verwandter, dient<br />
uns ebenfalls; es gibt jedoch einige Arten von Säugetieren, die dem Pferde noch näherstehen als<br />
der Esel, die sich jedoch vom Menschen nicht unterwerfen lassen. Von den nächsten Verwandten<br />
des Rindes haben sich einige mehr oder weniger dem Menschen unterworfen, wie zum Beispiel<br />
der Büffel und der Jak, der amerikanische Bison dagegen ist bis heute ungebändigt geblieben.<br />
Wir haben die Katze zum Haustier gemacht, und der Hund ist seit langem einer der treusten<br />
Freunde des Menschen; auch der Gepard, der seinem Äußeren nach teils der Katze, teils dem<br />
Hunde ähnelt, dient dem Menschen. Der Wolf dagegen, der viel näher mit dem Hunde verwandt<br />
ist als der Gepard, ist ungebändigt geblieben. Mit einem Wort: wir können jedes von den Säugetieren<br />
nehmen, die zu unseren Dienern geworden sind, und werden stets nahe Verwandte finden,<br />
die nicht Lust gehabt haben, uns zu dienen oder sich ihrem Charakter nach für unsere Dienste als<br />
ungeeignet erwiesen haben. Dagegen besteht die Reihe der wenigen Säugetiere, die uns dienstbar<br />
sind, aus Vertretern von Familien, die einander ihrer Organisation nach sehr fernstehen;<br />
Hund und Katze gehören zu zwei verschiedenen Familien aus der Gruppe der Raubtiere; Pferd<br />
und Esel zur Gruppe der Einhufer; Rind, Schaf und Ziege zu verschiedenen Familien aus der<br />
Gruppe der Wiederkäuer, Elefant und Schwein zu verschiedenen Familien der Dickhäuter.<br />
Wie schwer es uns immer noch fällt, den Zusammenhang zu erkennen, der zwischen den geistigen<br />
Fähigkeiten eines Geschöpfs aus der Säugetiergruppe und seinem Äußeren besteht,<br />
sehen wir, wenn wir uns vor Augen führen, welche Säugetiere (außer dem Affen) als die<br />
klügsten gelten. Es sind der Elefant, das Pferd und der Hund. Es gibt viele Tiere, die ihnen<br />
nach der zoologischen Klassifikation sehr nahestehen, und dennoch nicht als besonders klug<br />
gelten. Eins [283] von beiden: entweder sind wir den Tieren gegenüber, die wir für nicht besonders<br />
klug halten, ungerecht, oder die Klassifikation nach den äußeren Merkmalen gibt uns<br />
nicht genügend Handhaben zur Beurteilung der geistigen Fähigkeiten. In vielen Fällen sind<br />
wir wahrscheinlich ungerecht; so verdient zum Beispiel der Esel aller Wahrscheinlichkeit<br />
nach, als sehr kluges Tier betrachtet zu werden. In vielen Fällen dagegen entsprechen kleine<br />
äußere Verschiedenheiten wahrscheinlich in Wirklichkeit sehr großen Unterschieden in den<br />
geistigen Fähigkeiten, während umgekehrt sehr große Verschiedenheiten des Äußeren keinen<br />
großen Unterschied in den geistigen Kräften hervorbringen.<br />
Solange es so um unser Wissen von den Zusammenhängen zwischen den äußeren Merkmalen<br />
und den Geisteskräften steht, erlaubt die wissenschaftliche Vorsicht uns nicht, die Unterschiede<br />
zwischen der weißen und gelben Rasse zum Prinzip der Erklärung irgendwelcher<br />
Vorgänge und Tatsachen ihrer Geschichte zu erheben. Die alte Gewohnheit, geschichtliche<br />
Unterschiede aus Rassenverschiedenheiten zu erklären, ist noch stark im Schwange; aber<br />
diese Erklärungsmethode ist veraltet und führt zu zwei sehr üblen Resultaten: erstens sind die<br />
auf sie gegründeten Erklärungen gewöhnlich an sich falsch; zweitens vergessen wir, indem<br />
wir uns mit diesem Irrtum zufrieden geben, nach der wahren Erklärung zu suchen.<br />
In vielen Fällen würde die Wahrheit uns ganz von selber klarwerden, wenn sie nicht durch<br />
die phantastische Erklärung der Tatsache vermittels der Rassenunterschiede unseren Blicken<br />
entzogen wäre. So würden wir zum Beispiel die angebliche Unbeweglichkeit der Lebensweise<br />
und der Auffassungen der Chinesen unschwer in seiner wahren Gestalt, nämlich als eine<br />
Reihe von Rückschlägen der Zivilisation unter der Bedrückung durch die Barbaren, erkannt<br />
haben, wenn unsere Aufmerksamkeit nicht durch das unbegründete Gerede über die Unfähigkeit<br />
der gelben Rasse, ein gewisses Niveau der Zivilisation zu überschreiten, von diesen Unglücksfällen<br />
der chinesischen Geschichte abgelenkt würde.<br />
Damit wollen wir einstweilen Schluß machen. [284]<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013