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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 116<br />

sind, wird China kein einheitlicher Staat mehr sein. Heute bilden die verschiedenen Stämme<br />

des chinesischen Volkes nur deshalb noch einen gemeinsamen Staat, weil sie es noch nicht<br />

verstehen, ihre Selbständigkeit gegen die ausländischen Unterdrücker zu verteidigen.<br />

Von nicht phantastischem; sondern realem Interesse dagegen ist das Problem der gelben Rasse<br />

unter einem anderen Gesichtspunkt: ist die Rasse, der die Hälfte des Menschengeschlechts angehört,<br />

fähig oder nicht, es zu sehr hoher geistiger und moralischer Entwicklung zu bringen<br />

Bis vor kurzer Zeit war bei den europäischen Gelehrten der gelben Rasse gegenüber eine verächtliche<br />

Auffassung vorherrschend. Die Neger waren für sie keine Menschen, sondern Tiere;<br />

von der Rasse, die so große Denker besessen und große technische Entdeckungen gemacht hat,<br />

konnte man nicht in gleichem Ton sprechen wie von den Negern; es war unmöglich, die Chinesen<br />

nicht zu den Menschen zu rechnen. Aber sie waren Menschen niederer Rasse. Ihre geistige<br />

und moralische Organisation wies Züge auf, die sich wesentlich von den Eigenschaften unterschieden,<br />

welche den eigentlichen menschlichen Wert der weißen Rasse ausmachen. Zu jenen<br />

Zeiten nahm man an, daß die Phantasie eine spezifisch menschliche Fähigkeit sei; die Tiere<br />

hatten damals keine Phantasie; heute haben sie eine; wir wissen, daß die Phantasie eine der<br />

notwendigen Funktionen des Denkens ist und daß jedes Wesen, welches irgendwelche Vorstellungen<br />

besitzt, darunter auch solche hat, die nicht wirklichen Wahrnehmungen entsprechen,<br />

sondern Kombinationen von Wahrnehmungen, d. h. Vorstellungen, die zum Gebiet der Einbildungen<br />

gehören. Damals wollte man davon nichts wissen; die Gelehrten schrieben auf einer<br />

Seite ihrer Abhandlungen von träumenden Hunden oder Katzen, um es auf der nächsten Seite<br />

zu vergessen und seelenruhig zu erklären, Tiere hätten keine Einbildungskraft; übrigens hatten<br />

damals die Tiere [279] auch nicht die Fähigkeit zu denken. Von den Chinesen ließ sich nicht<br />

gut sagen, daß ihnen die Denkfähigkeit fehle, aber die Einbildungskraft war bei ihnen äußerst<br />

schwach entwickelt. Sie waren nur fähig, sich um materielle Vorteile zu kümmern, und das<br />

machte auch ihr ganzes Denken aus. Wer ausschließlich an seine Alltagsdinge denkt, bei dem<br />

gibt es natürlich wenig Raum für Phantasie. Genau in dieser Lage befanden sich die Chinesen:<br />

entsprechend der ihrer Rasse eigenen Fähigkeit, nur an Alltagsdinge zu denken, bedurften sie<br />

auch gar nicht der Einbildungskraft, und die Natur tat ihnen gar nichts Böses, wenn sie ihnen<br />

die höchste menschliche Fähigkeit vorenthielt. Gewiß hatte die Knausrigkeit der Natur hinsichtlich<br />

der Zuteilung menschlicher Fähigkeiten an die Chinesen sehr ernste Folgen in materieller<br />

Hinsicht; der Phantasie beraubt, konnten die Chinesen natürlich keine Ideale bilden, geschweige<br />

denn nach ihrer Verwirklichung streben; ohne Ideale konnten sie sich nichts Besseres<br />

vorstellen als die Verhältnisse, in denen sie lebten, und nichts Schöneres als die Sitten und Gebräuche,<br />

die sie pflegten. Hieraus ergab sich das Schicksalsgesetz ihres Lebens: die Unbeweglichkeit.<br />

Die Geschichte Chinas bestätigte das vollauf: wenn ein Europäer auch nur zehn Zeilen<br />

schrieb, die auch nur irgendwie etwas mit der Geschichte Chinas zu tun hatten, so enthielten<br />

diese zehn Zeilen unvermeidlich eine Stelle, wo es hieß, die Chinesen leben heute noch genau<br />

so, wie sie zweitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung lebten, die Sitten und Gebräuche der<br />

Chinesen hätten sich seit jener Zeit nicht gewandelt und die Auffassungen der Chinesen von<br />

den Dingen nicht geändert. Alles in allem waren die Chinesen sehr sonderbare Menschen.<br />

Das war übrigens ganz natürlich, da die gelbe Rasse einen eignen, von der weißen Rasse verschiedenen<br />

Ursprung besaß. Menschen von völlig verschiedenem Ursprung mußten natürlich<br />

auch wesentlich verschieden sein.<br />

Aber heutzutage können wir Weißen – leider! – nicht bei dem Gedanken stehenbleiben, daß<br />

die weiße und die gelbe Rasse zwei Gruppen von Lebewesen verschiedenen Ursprungs seien.<br />

Die Chinesen stammen von den gleichen Vorfahren ab wie wir. Sie sind keine besondere<br />

Menschenart, sondern [280] Menschen der gleichen Art wie wir; deshalb müssen sie den<br />

gleichen Lebens- und Denkgesetzen unterliegen wie wir und müssen unter anderem auch<br />

Phantasie haben. Ernsthaft gesprochen, kann man sich bei dem heutigen Stand der Anthropo-<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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