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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 11<br />

ze ist notwendig; jeder Widerstand bleibt nutzlos und kann den Endsieg Cobdens und seiner<br />

Freunde nur vergrößern; aber wozu führt diese unvermeidliche Änderung Bedeutet sie nicht<br />

den Tod der englischen Landwirtschaft Richtet sie nicht unseren Stand zugrunde – das wäre<br />

noch das wenigste: wir würden unser Elend ohne Murren ertragen. Aber richtet sie nicht<br />

auch die Farmer zugrunde, wird sie nicht auch die Millionen von Landarbeitern, die unseren<br />

Farmern die Felder pflügen, hungernd in die Welt hinaustreiben Diese Leute sprachen aus<br />

ehrlicher Überzeugung; die Tatsachen haben bewiesen, wie unbegründet ihre düsteren Zweifel<br />

waren, und für den unbeteiligten Beobachter war es von Anfang an klar, daß derartige<br />

Befürchtungen hinsichtlich der Zukunft bei diesen Leuten nur dem Umstand entsprangen, daß<br />

die Änderung für den Stand, dem sie angehörten, ungünstig war. Den gleichen Ursprung haben<br />

Mills Befürchtungen hinsichtlich der Zukunft Westeuropas: seine Sorgen um das zukünftige<br />

Schicksal der zivilisierten Länder ist nichts anderes als [82] die durch persönliches Gefühl<br />

zur allgemeingültigen Formel erhobene Vorahnung dessen, daß die Weiterentwicklung<br />

der Zivilisation eine Schmälerung der Privilegien mit sich bringen wird, die sein eigner Stand<br />

an sich gerissen hat. Für einen außenstehenden Menschen springt die Unhaltbarkeit des Syllogismus<br />

ins Auge, mit dem hier der Verlust von Privilegien in eine der Gesamtgesellschaft<br />

drohende Gefahr verwandelt wird.<br />

Wir sehen in Mill einen Vertreter der Gefühle, die die anständigen Menschen der reichen<br />

Stände Westeuropas der bevorstehenden Änderung der gesellschaftlichen Beziehungen entgegenbringen.<br />

Nicht weniger interessant sind die Ansichten eines anderen Denkers, der als<br />

Repräsentant der geistigen Situation der einfachen Leute Westeuropas dienen kann. Der Verfasser<br />

des Buches „De la Justice“ war der Sohn eines Dorfböttchers – nicht etwa eines Böttchereiinhabers,<br />

nein, eines einfachen Bauern, der selbst und allein, ohne gedungene Hilfskräfte,<br />

die Fässer der Bauern mit Reifen beschlug und genau so ärmlich lebte wie alle Bauern<br />

seines Dorfes. In seiner Kindheit diente der Denker teils als Hirte, teils half er dem Vater<br />

beim Bereifen der Fässer. Ein paar gute Leute der wohlhabenden Stände entdeckten den Verstand<br />

des Knaben und halfen dem Vater, ihn nach Besançon ins Gymnasium zu schicken. Das<br />

Geld reichte jedoch nicht zur Anschaffung von Büchern, und der Schüler mußte seine Aufgaben<br />

in der Klasse machen, in den wenigen Minuten vor Beginn der Stunde, unter Benutzung<br />

der Bücher seiner Kameraden. Die Armut seiner Familie zwang ihn bald, das Gymnasium<br />

aufzugeben und wieder Arbeiter zu werden; mit neunzehn Jahren gelang es ihm, als Setzer in<br />

einer Druckerei in Besançon unterzukommen; nach ein paar Jahren wurde er Korrektor und<br />

rückte schließlich zur Stellung eines Geschäftsführers auf. So vergingen ganze fünfzehn Jahre;<br />

der junge Setzer las Bücher, dachte viel nach, versuchte selbst das eine oder andere zu<br />

schreiben und erhielt schließlich für eine seiner Arbeiten von der Akademie von Besançon<br />

(der „Gesellschaft der Literaturfreunde“) auf drei Jahre ein Stipendium von 1500 Francs. Das<br />

kam seinen Studien zustatten. Er fuhr, ohne die Arbeit in der Druckerei aufzugeben, [83] mit<br />

Schreiben fort; die Akademie von Besançon wies jedoch seine neuen Arbeiten zurück, als sie<br />

entdeckte, was für ungehörige Gedanken ihr Stipendiat entwickelte, der ihr anfänglich als ein<br />

Mann von höchst konservativen Anschauungen erschienen war. Inzwischen fand der Autor,<br />

der sich als Leiter von Handelsunternehmungen äußerst tüchtig gezeigt hatte, eine Stelle als<br />

Kommissionär (Geschäftsleiter) im Kontor für Schiff- und Wagentransport der Gebrüder<br />

Gautier in Lyon. In diesem Kontor blieb er bis zum Jahre 1848 angestellt; von da ab erhielt er<br />

die Möglichkeit, allein von seinen literarischen Werken zu leben. Als Geschäftsführer des<br />

Kontors der Brüder Gautier war er ein höchst anstelliger und praktischer Geschäftsmann, so<br />

daß er die Firma, in deren Dienst er stand, zu hoher Blüte brachte. Diese äußeren Lebensumstände<br />

des Verfasser des Buches „De la Justice“ können als getreues Abbild der allgemeinen<br />

Haltung der einfachen Leute des Westens in ihrem Arbeitsleben dienen. Der einfache Mann<br />

muß sich aus höchst kümmerlichen Verhältnissen emporarbeiten; den besitzenden Klassen tut<br />

es anfänglich leid, kluge, ehrliche und arbeitsfreudige Menschen in auswegloser Armut und<br />

OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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