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N. G. Tschernyschewski – Ausgewählte philosophische Schriften – 103<br />
entlarven und zeigen müssen, daß sie alle Menschen ohne Ausnahme nur zu Ausschweifungen<br />
und Verbrechen oder genauer gesagt zu sündigem Teufelswerk erzogen. Von diesem Standpunkt<br />
aus hätte er dann die üblen Seiten sowohl im Buddhismus, der den Menschen mit seiner<br />
Demut und angeblichen Sittenreinheit hinters Licht führt, als auch in der Lehre des Sokrates<br />
und sogar selbst in der Philosophie Platos aufgezeigt. Er hätte dann gesehen, daß alle diese<br />
Systeme arglistige Blendwerke des Satans waren, der seine Kinder in Schaffelle kleidete, um<br />
die verführten Geister der Heiden um so besser mit seinen Wolfszähnen zerreißen zu können.<br />
Herr Or. Nowizki hätte diese Betrachtungsweise ganz konsequent durchführen können, und<br />
dann wäre sein Buch logisch geschrieben; aber er hat es für gut befunden, anders zu handeln<br />
und von der Lehre der Heiden in einem Ton zu sprechen, den sein eigner Standpunkt verurteilt,<br />
und sein Buch ist auf diese Weise zu einem [254] für niemanden geeigneten Gemisch<br />
sündiger philosophischer Meinungen und von der Theologie gebilligter Gedanken geworden.<br />
Die eine Hälfte der Zeilen widerspricht in diesem Buch der anderen Hälfte.<br />
Wir wollen noch mehr sagen: hätte Herr Or. Nowizki im Einklang mit seinen Überzeugungen<br />
gehandelt, so hätte er die heidnischen religiösen und philosophischen Lehren überhaupt nicht<br />
zum Gegenstand seines Werkes gemacht. Ein Mensch, der die absolute Wahrheit in der Religion<br />
der übernatürlichen Offenbarung findet, kann sich nicht um eines kühl berechneten wissenschaftlichen<br />
Zweckes willen mit den heidnischen Lehren befassen. Sie sind für ihn allesamt<br />
Früchte der Lüge und der Sünde. Der Lüge und der Sünde gegenüber gibt es nur zweierlei<br />
Verhaltungsweisen: entweder gibt man sich ihnen hin und dient ihnen, oder man bekämpft<br />
sie und widerlegt sie. Aber Herr Or. Nowizki hat bereits die Eitelkeit der Lüge und die seelenverderbende<br />
Macht der Sünde erkannt und kann ihnen also nicht mehr dienen; so bleibt<br />
ihm also nur noch übrig, sie zu entlarven, gegen sie zu polemisieren, sie auszurotten. Aber er<br />
muß erkannt haben, daß das ein in unserer Zeit im zivilisierten Europa, dem auch das russische<br />
Bücher lesende Publikum angehört, völlig unnötiges Werk ist. Die Russen mögen gewisse<br />
geistige und seelische Mängel haben, aber niemand wird sagen wollen, daß der heidnische<br />
Glaube des alten Orients, Griechenlands und Roms den Russen gefährlich werden könnte,<br />
niemand von unseren Stammesgenossen betet weder zu Zeus noch zu Schiwa, Ariman<br />
oder Osiris; uns vor derartigen Irrungen zu warnen, ist völlig überflüssig. Es wäre dasselbe,<br />
als wollte man das russische Publikum vor der Menschenfresserei, vor dem Genuß von Fliegenpilzen<br />
oder von Tonerde oder vor den schlechten Gewohnheiten warnen, die bei den Wilden<br />
von Java, bei Tschuktschen und Buschmännern im Schwange sind: wir stehen glücklicherweise<br />
schon hoch über diesen Gewohnheiten und laufen selbst ohne Warnungen ganz<br />
und gar nicht Gefahr, in sie zurückzufallen. Vom theologischen Standpunkt aus muß man<br />
über das Heidentum nicht mit Russen reden, sondern mit den Tschuwaschen, Burjaten und<br />
Samojeden: ja, sie haben es wirklich nötig, daß man [255] ihnen das Heidentum als falsch<br />
und sündhaft entlarvt. Aber für sie muß man keine Bücher in russischer Sprache schreiben,<br />
weil sie, diese unglücklichen Leute, keine Bücher lesen können, die in russischer, ja selbst in<br />
ihrer eigenen Sprache geschrieben sind. Sie vom Heidentum abbringen kann man nur auf eine<br />
Weise: indem man ihre Sprache erlernt, Missionar wird und sich, von Jurte zu Jurte wandernd,<br />
mit ihnen unterhält. Wenn Herr Or. Nowizki sich das vornähme, wenn er als Missionar<br />
zu den Burjaten und Tungusen ginge, so würde er ein wahrhaft nutzbringendes und lobenswertes<br />
Werk tun, selbstverständlich unter der Bedingung, daß er seine Predigt im Geiste der<br />
Demut vorträgt. Aber Herr Or. Nowizki ist auf den Einfall gekommen, mit Auffassungen, mit<br />
denen man über das Heidentum nur in der Sprache eines demütigen Missionars und nur mit<br />
Samojeden sprechen kann, für das russische Publikum im Ton des Gelehrten ein Buch über<br />
das Heidentum zu schreiben. Wir befürchten, daß seine ganze Arbeit umsonst getan ist. [256]<br />
OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013