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Claude Patrick Siegenthaler - Universität St.Gallen

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Kapitel 2: Zielsetzung und forschungsleitende Fragen 13<br />

Die sei an einem weiteren Beispiel illustriert:<br />

Radioaktive <strong>St</strong>rahlung kann durch die dem Menschen natürlich gegebenen Sinne wie<br />

Geruch, Geschmack, Gehör, etc. nicht wahrgenommen werden. Gleichwohl ist<br />

Radioaktivität seit jeher allgegenwärtig. Die damit zusammenhängenden Risiken<br />

wurden für den Menschen erst wahrnehmbar, nachdem die Wissenschaft eine<br />

entsprechende Theorie und technische Mittel zu deren Nachweis entwickelt hatte. Erst<br />

danach wurde es möglich, hohe <strong>St</strong>rahlendosen mit gesundheitlichen<br />

Beeinträchtigungen in Verbindung zu bringen und schliesslich das Umweltproblem<br />

radioaktiver Risiken zu konstruieren. So erlitt Antoine-Henri Becquerel als Pionier der<br />

Radioaktivitätsforschung selbst den ersten dokumentierten <strong>St</strong>rahlenschaden: eine<br />

Hautverbrennung unter der Westentasche, in der er eine Radiumprobe mit sich führte. 21<br />

Bis zur heutigen Einschätzung der Gefährlichkeit radioaktiver <strong>St</strong>rahlung musste jedoch<br />

ein langwieriger und schmerzlicher Lernprozess durchlaufen werden. Aus dem<br />

Blickwinkel heutigen Allgemeinwissens betrachtet man die Schilderungen von<br />

medizinischen Kuren mit Radongas 22 mit Befremden; die Experimente militärischer<br />

Nuklearforschung der 50er Jahre mit Schrecken. Seither steuern Grenzwerte und<br />

Geigerzähler als kulturelle Produkte die Erkennung und Beurteilung des<br />

Umweltproblems Radioaktive (Ver-)<strong>St</strong>rahlung.<br />

„A social problem does not exist for a society unless it is recognized by that society“ 23<br />

Mit der konstruktivistischen Problemtheorie hat die Soziologie einen überzeugenden<br />

Ansatz zur Untersuchung von Umweltproblemen entwickelt: 24 Dabei wird davon<br />

ausgegangen, dass die soziale Wirklichkeit –gesellschaftliche Realität –letztlich ein<br />

Ergebnis sozialer Kommunikationsprozesse ist. 25 Umweltprobleme – und daraus<br />

abgeleitet auch die Inhalte der Adjektive umweltgerecht und umweltbelastend -<br />

entstehen demnach im Kopf, resp. im sozialen Diskurs. Sie sind das Ergebnis<br />

ökologischer Kommunikation.<br />

Die entscheidende Frage lautet deshalb:<br />

21<br />

Weber, R.: Kernenergie, Webers Taschenlexikon, 2.Auflage, Aarau, 1986, S. 29.<br />

22<br />

Siehe Radon –vom Heilmittel zum Schadstoff, in: Neue Zürcher Zeitung, Mittwoch, 4. Februar 2004,<br />

Nr. 28, S. 61.<br />

23<br />

Siehe Blumer, H.: Social Problems as Collective Behaviour, Social Problems, 18/3, 1971, S. 298 – 306.<br />

24<br />

Siehe Eisen, M., et.al.: Risikodiskurse, Die Dynamik öffentlicher Debatten über Umwelt- und<br />

Risikoprobleme in der Schweiz, Reihe Gesellschaft Schweiz, SPP Zukunft Schweiz, Zürich, 2003 oder<br />

Schetsche, M.: Die Karriere sozialer Probleme: Soziologische Einführung, München, 1996, sowie<br />

Hannigan, J.A.: Environmental Sociology; A Social Constructionist Perspective, London, 1995.<br />

25<br />

Eisen, 2003, S. 19.

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