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Der singende Knochen - Stavros Niarchos Foundation

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musik.<br />

Sapphos Stimme . Die Sangerin and Harfenistin Arianna Savall mit einem von<br />

Paul J . Reichlin nach antikem Vorbild erbauten Barbitos-Instrument .<br />

<strong>Der</strong> <strong>singende</strong> <strong>Knochen</strong><br />

Wie klang die griechische Antike Ein epochales Projekt der Schola Cantorum Basel<br />

SIGFRIED SCHIBLI<br />

" Altgriechische Dichtung and<br />

Philosophie sind einigermassen<br />

bekannt. Wile die Musik jener Zeit<br />

klang, kann man erahnen - dank<br />

Conrad Steinmann and Paul J.<br />

Reichlin and einer neuen CD .<br />

Wenn von der Kultur der griechischen<br />

Antike die Rede ist, fallen<br />

rasch einmal Namen wie Aristophanes,<br />

Sappho oder Pindar . Von Musik<br />

and von Musikem ist da in aller<br />

Regel nicht die Rede. Doch class in<br />

den Jahrhunderten vor unserer<br />

Zeitrechnung in Griechenland auch<br />

musiziert wurde, ist prinzipiell<br />

bekannt ; zahlreiche Abbildungen<br />

auf Vasen and andere bildliche<br />

Darstellungen legen Zeugnis ab von<br />

Sangern, Floten- and Harfenspielern<br />

jener Zeit .<br />

Nicht zufallig geht clas Wort Lyrik<br />

auf die griechische Lyra, die Leier,<br />

zuruck. Und eine der grossen Inno<br />

vationen der abendlandischen<br />

Musikkultur, die Oper, hat ihren<br />

Ursprung in der mutmasslichen Art<br />

and Weise, wie die « alten Griechen»<br />

ihre Dramen auffiihrten .<br />

FORSCHERDRANG. Wie aber klang<br />

die Musik der Kultur tragenden<br />

Schichten im alten Griechenland<br />

Daruber geben keine Notenfunde<br />

and keine Tonaufzeichnungen Kunde<br />

. Allein die archaologischen Funde<br />

von Musikinstrumenten, Abbildungen<br />

and schriftlich fiberlieferte Berichte<br />

lassen Rfickschliisse zu .<br />

Vor bald zwanzig Jahren begannen<br />

der an der Basler Musik-Akademie<br />

lehrende Blockflotist Conrad<br />

Steinmann and der in Samstagern<br />

am Ziirichsee wirkencle Instrumentenbauer<br />

Paul J. Reichlin ihre spannencle<br />

Expedition ins griechische<br />

Altertum, die jetzt einen vorlaufigen<br />

Abschluss gefunden hat. Heute kann<br />

man Aulos-Floten, harfenartige Bar-


itos-Instrumente and holzerne<br />

Krotala-Klappern nicht nur sehen,<br />

sondern auch horen . Dies dank der<br />

Schola Cantorum Basiliensis, dem<br />

Schweizerischen Nationalfonds and,<br />

der grossziigig unterstiitzenden<br />

<strong>Stavros</strong> S . <strong>Niarchos</strong> Stiftung.<br />

TIERKORPER . Paul J. Reichlin ist es<br />

nicht gewohnt, im Rampenlicht zu<br />

stehen . Am Mittwoch tat er es dennoch<br />

im Basler Antikenmuseum, wo<br />

ausfiihrlich iffier das bahnbrechende<br />

Basler Projekt berichtet wurde . olch<br />

bin von Haus aus Geigenbauer>>, sagt<br />

Reichlin bescheiden . Doch scheint es<br />

ihn eines Tages nicht mehr befriedigt<br />

zu haben, die Geigen vom Schulorchester<br />

zu reparieren . « Ich ffihlte<br />

mich schon lange dazu hingezogen,<br />

die hinter den Instrumenten stecken-<br />

Angewandte Forschung . Initianten and Musiker: Conrad Steinmann mit Doppelflote (Zweiter von links) and der<br />

Instrumentenbauer Paul J . Reichlin (sitzend) mit dem Ensemble «Melpomen» im Antikenmuseum . FotosMargritM011er<br />

den Ideen zu erforschen .>> Zuerst tat scheidung, die der Musikerin erlaubt,<br />

ihre Spezialitat - das simul-<br />

er dies mit Renaissance-Instrumenten,<br />

bevor er sich, angespornt durch tane Spielen and Singer-in authentischem<br />

Zusammenhang zu pflegen .<br />

Conrad Steinmann, an die Antike<br />

wagte .<br />

Wie aber kommt es nun zu diesem<br />

Instrument Das lasst man sich<br />

Reichlins and Steinmanns Jahre<br />

nach der «Initialziindung>> miissen am besten vom Instrumentenbauer<br />

ebenso spannend wie miihevoll Reichlin personlich erlautern. Zuerst<br />

gewesen sein . Denn der Weg von ist da ein Fund, den man im Museum<br />

einem <strong>Knochen</strong>fund bis zum klingenden<br />

Instrument istweft . Hiersind Er gibt einem die Vision, die Idee,<br />

entdeckt . Ein sogenanntes Artefakt .<br />

die «Ideen>>, von denen Reichlin das Modell . Dann kommt besagter<br />

spricht, noch ganz erg mit den Schildkrotenpanzer . An der Stelle,<br />

archaologischen Funden verkniipft ; wo die Fiisschen herausragten, werden<br />

zwei Bogen aus Nussbaumholz<br />

Geist and Materie fallen sozusagen<br />

in eins . Im Riickblick konnen die beiden<br />

Musikarchaologen lustige Anek-<br />

zusammengehalten werden . <strong>Der</strong><br />

geklemmt, die oben durch ein Joch<br />

doten erzahlen, wie sie herauszufinden<br />

versuchten, das Tierfell bespannt, damit er eine<br />

Resonanzkorper aus Horn wird mit<br />

einer altgriechischen Flote zu finder : vollere Resonanz gibt .<br />

War es ein Hirsch oder ein Reh Vorder-<br />

oder Hinterbein, oder gar ein KLANGKORPER.. Zum klingenden<br />

langer Zeh<br />

Musikinstrument wird das Ganze<br />

Es miissen unzahlbar viele Versuche<br />

unternommen werden sein, darfiber gespannt werden . «Das<br />

erst durch diesieben Darmsaiten, die<br />

bis aus einem F1oten-Bruchstuck von Geniale an der Konstruktion>>, sagt<br />

500 v. Chr . ein spielbares Aulos von Reichlin, «ist, dass daran gar nichts<br />

heute wurde oder bis ein Schildkrotenpanzer<br />

seinen von der Natur ja zusammengesteckt .>> Am Ende wird<br />

geleimt ist . Alles ist nur mit Zapfen<br />

keineswegs vorgesehenen Weg zum das Holz bemalt, mit reinen Naturfarben.<br />

«Kasein-Tempera,,, doziert<br />

Resonanzkorper eines griechischen<br />

Zupfinstruments fand . Wir werden Reichlin. Gespielt wird das Instrument,<br />

das auf den Namen Barbitos<br />

an dieser Stelle nicht die ethisch<br />

durchaus relevante Frage auf, ob die hurt, mit einem holzernen Plektron .<br />

Schildkrote ihr lebenserhaltendes Es klingt irgendwie harfenartig,<br />

Dach freiwillig hergegeben hat, wenn auch satter, trockener als eine<br />

damit Herr Reichlin vom Ziirichsee moderne Harfe.<br />

daraus ein Musikinstrument bauen Warum sieben and nicht sechs<br />

karm, sondern halten uns zunachst oder fiinf Saiten Und wie sind these<br />

mal an die sinnliche Erscheinung des gestimmt Dariiber weiss der Musiker<br />

Steinmann Bescheid. Er, der<br />

Schonen .<br />

Diese tritt uns in Gestalt der bekannte Blockflotist, darf hier einmal<br />

die erste Geige spielen . jungen Arianna Savall entgegen, die<br />

Denn<br />

eines dieser wundersamen Instrumente<br />

im Arm halt and strahlt . ,Ich<br />

habe schon als Kind Harfe gespielt,<br />

sadter darn dazu auch gesungen .<br />

Seit drei Jahren spiele ich Barbitos>>,<br />

erzahlt sie . Eire folgenreiche Ent-<br />

sein Instrument, die Flote (Aulos),<br />

gibt im Ensemble das Mass aller<br />

Stimmungsdinge ab . Aufgrund von<br />

Flotenfunden kennt man das altgriechische<br />

Tonsystem. Es ist erg mitden<br />

besser vertrauten Kirchentonarten<br />

des Mittelalters verwandt and klingt<br />

fur das ungeiibte Ohr latent nach<br />

permanentem Moll . Sieben Saiten<br />

sind es, weil das auf den ikonografischen<br />

Fundstucken so ist .<br />

TONTRAGER. Das alles klingt reichlich<br />

abstrakt and theoretisch. Ist es<br />

aber nicht, seitdem Steinmann and<br />

Reichlin in gemeinsamer Verantwortung<br />

eine CD eingespielt haben, die<br />

am Mittwoch im Antikenmuseum<br />

prasentiert wurde . Zu horen war da<br />

- neben vielen, allzu vielen Grussworten<br />

- Steinmanns Doppelfloten-<br />

Spiel (mal virtuos and mit schriller<br />

Hohe, mal in Richtung Dudelsack) .<br />

Arianna Savalls anmutiger Barbitos-<br />

Gesang mit seinem mittelmeerischvolkstiimlichen<br />

Einschlag (hohe<br />

Jauchzer) . Dann der sanfte Altus-<br />

Gesang von Luiz Alves da Silva and<br />

natiirlich das ganze, in seiner Art<br />

durchaus hock virtuos zu nennende<br />

Ensemble, das sich «Melpomen»<br />

nennt and bereits kurz nach Erscheinen<br />

der CD einen franzosischen<br />

><br />

. Neben vielen instrumental<br />

reizvollen Stucken findet sich auf<br />

der CD die A-cappella-Vertonung<br />

eines Gedichts des Archilochus iiber<br />

die historisch verbiirgte Sonnenfinsternis<br />

vom 8 . April 648 v. Chr .<br />

> oMelpomeno. Altgriechische Musk<br />

Harmonia mundi/Musikvertrieb .

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