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Protokoll zum - Kompetenzzentrum Steuerrecht

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<strong>Protokoll</strong> <strong>zum</strong><br />

121. Bochumer Steuerseminar für Praktiker und Doktoranden<br />

Vom 21.06.2013 *<br />

Dipl.-Finw., Dipl.-Jur. Diana Klesen<br />

(Doktorandin am Lehrstuhl für <strong>Steuerrecht</strong>, Ruhr-Universität Bochum)<br />

Marion Stiastny, Msc.<br />

(Assistentin am Institut für Österreichisches und Internationales <strong>Steuerrecht</strong>,<br />

WU Wien)<br />

„Die zeitnahe Betriebsprüfung - Kooperation zwischen<br />

Finanzbehörden und Unternehmen<br />

(enhanced relationship)“<br />

* Dipl.-Jur. Dirk Schäfers, Doktorand am Lehrstuhl für <strong>Steuerrecht</strong>, Bochum.


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 2<br />

Einleitung ....................................................................................................................................... 2<br />

A. Die zeitnahe Betriebsprüfung aus deutscher Sicht (Klesen) .................................................. 2<br />

I. Begriffsbestimmung ........................................................................................................ 3<br />

II. Anstoß für das Beschleunigungsstreben .......................................................................... 4<br />

1. Praktikabilitätserwägungen .......................................................................................... 5<br />

2. Verfassungsrechtlicher Rahmen der Außenprüfung .................................................... 6<br />

3. Internationaler Einfluss ................................................................................................ 7<br />

III. Entwicklung der „zeitnahen Betriebsprüfung“ in Deutschland ....................................... 8<br />

1. Das Bielefelder Modell ................................................................................................ 8<br />

2. Das Osnabrücker Modell ............................................................................................. 9<br />

3. Der nordrhein-westfälische Ländererlass vom 11.6.2008 ........................................... 9<br />

IV. Die Neuregelung des § 4a BpO auf dem Prüfstand – Möglichkeiten und Grenzen<br />

„zeitnaher Betriebsprüfung“ in Deutschland ........................................................................... 10<br />

V. Fazit ............................................................................................................................... 12<br />

B. Horizontal Monitoring in Österreich (Stiastny) ................................................................... 13<br />

C. Diskussion ......................................................................................................................... 18<br />

Einleitung<br />

Einleitend begrüßt Prof. Seer die Teilnehmer des Bochumer Steuerseminars und stellt die beiden<br />

Referentinnen vor. Sie würden heute zu dem Oberthema „enhanced relationship“ aus zwei national<br />

verschiedenen Perspektiven vortragen. Kooperatives Verwaltungshandeln sei nicht etwa in<br />

Deutschland erfunden worden, sondern finde viele Vorbilder im Ausland vor. Zu denken sei vor<br />

allem an das sog. „real-time-auditing“ in den USA, das „Horizontal Monitoring“ in Österreich<br />

oder auch die Annäherungen („approach“) der OECD an eine verbesserte Beziehung („enhanced<br />

relationship“) zwischen Steuerpflichtigen und den Finanzbehörden. Die Entwicklung in<br />

Deutschland hin zu einer zeitnahen Betriebsprüfung beschreibt Prof. Seer, als „zögerlich“. In<br />

Modellversuchen sei im Rahmen einer Experimentierphase aus den einzelnen Finanzverwaltungen<br />

heraus „von unten“ verschiedene Systeme eruiert worden, die im bundeseinheitlichen § 4a<br />

der BpO seine vorerst endgültige Form gefunden hätten.<br />

A. Die zeitnahe Betriebsprüfung aus deutscher Sicht (Klesen)<br />

Frau Klesen begrüßt die Teilnehmer und stellt den Ablauf Ihres Vortrags vor, wobei sie vor<br />

allem einen Überblick über die sog. „zeitnahe Betriebsprüfung“ in Deutschland geben werde.


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 3<br />

Der Vortrag gebe den derzeitigen Zwischenstand ihrer noch nicht fertiggestellten Dissertation zu<br />

diesem Thema wider.<br />

Erforderlich sei zunächst eine Begriffsbestimmung, bei der geklärt werde was die „zeitnahe Betriebsprüfung“<br />

überhaupt bedeute. Der Vortrag solle klären, welche Hintergründe dazu geführt<br />

hätten, dass die zeitnahe Betriebsprüfung in den Fokus der wissenschaftlichen Diskussion gerückt<br />

sei. Sie werde darauf eingehen, wie sich die zeitnahe Betriebsprüfung in den Pilotprojekten<br />

der einzelnen Bundesländer entwickelt habe. Vor allem werde abschließend die Neuregelung<br />

des § 4a BpO beleuchtet und auf einzelne Problempunkte gesondert eingegangen. Sie freue sich<br />

darauf, Anregungen und Praxiserfahrungen in der anschließenden Diskussion zu erhalten.<br />

I. Begriffsbestimmung<br />

Zur Begriffsbestimmung weist Frau Klesen zunächst darauf hin, dass der Begriff der „zeitnahen<br />

Betriebsprüfung“ kein Gesetzbegriff der Abgabenordnung (AO) sei. § 193 AO verwende den<br />

Begriff der „Außenprüfung“ als eine besondere Ermittlungsmaßnahme des Steuervollzugs. Daneben<br />

sei in der Praxis der Begriff der „Betriebsprüfung“ gebräuchlich für die Fallgruppe des<br />

§ 193 Abs. 1 AO. Danach sei eine Außenprüfung bei Steuerpflichtigen zulässig, die einen gewerblichen<br />

oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhalten, die freiberuflich tätig seien<br />

und bei Steuerpflichtigen im Sinne des § 147a AO.<br />

Den Begriff der „zeitnahen Betriebsprüfung“ habe nun bundeseinheitlich die BpO in § 4a 2 aufgenommen<br />

und erstmals definiert. Die Neuregelung sei <strong>zum</strong> 30.7.2011 mit Wirkung <strong>zum</strong><br />

1.1.2012 eingeführt worden. Die BpO stelle eine untergesetzliche, das Ermessen im Sinne der<br />

§§ 193, 194 AO lenkende und beschränkende Verwaltungsvorschrift dar, die sich insbesondere<br />

auf oben genannte Betriebsprüfungen beziehe.<br />

2 § 4a BpO:<br />

(1) Die Finanzbehörde kann Steuerpflichtige unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 für eine zeitnahe Betriebsprüfung<br />

auswählen. Eine Betriebsprüfung ist zeitnah, wenn der Prüfungszeitraum einen oder mehrere gegenwartsnahe<br />

Besteuerungszeiträume umfasst.<br />

(2) Grundlage zeitnaher Betriebsprüfungen sind die Steuererklärungen im Sinne des § 150 der Abgabenordnung der<br />

zu prüfenden Besteuerungszeiträume (Absatz 1 Satz 2). Zur Sicherstellung der Mitwirkungsrechte des Bundeszentralamtes<br />

für Steuern ist der von der Finanzbehörde ausgewählte Steuerpflichtige dem Bundeszentralamt für Steuern<br />

abweichend von der Frist des § 21 Absatz 1 Satz 1 unverzüglich zu benennen.<br />

(3) Über das Ergebnis der zeitnahen Betriebsprüfung ist ein Prüfungsbericht oder eine Mitteilung über die ergebnislose<br />

Prüfung anzufertigen (§ 202 der Abgabenordnung).


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 4<br />

Der Begriff der zeitnahen Betriebsprüfung sei nach Ansicht von Frau Klesen vor allem von<br />

zwei Elementen geprägt. Zum einen von einem Beschleunigungselement und einem Kooperationselement.<br />

Bezüglich der zeitlichen Komponente definiert der neue § 4a BpO die Zeitnähe damit, dass es<br />

sich um die Prüfung „gegenwartsnaher Besteuerungszeiträume“ handeln müsse und benutze<br />

damit selbst einen unbestimmten Rechtsbegriff. Dieser müsse seine Ausprägung durch die Auslegung<br />

noch erfahren. Auch sehe sie eine Verkürzung der Prüfungsdauer als prägendes Merkmal<br />

des Beschleunigungselements der zeitnahen Betriebsprüfung.<br />

Zum anderen beinhalte das Instrument der zeitnahen Betriebsprüfung aber auch ein Kooperationselement.<br />

Frau Klesen vertritt dabei die These, dass dieses Kooperationselement eine ungeschriebene,<br />

aber notwendige Voraussetzung für das Gelingen einer zeitnahen Betriebsprüfung<br />

darstelle. Das Kooperationsverhältnis basiere auf einer erhöhten Mitwirkungsbereitschaft der<br />

Unternehmen.<br />

In negativer Hinsicht grenzt Frau Klesen die zeitnahe Betriebsprüfung von anderen, oft missverständlich<br />

synonym verwendeten Begriffen ab. Die zeitnahe Betriebsprüfung sei insb. nicht<br />

gleichzusetzen mit der vom üblichen 3-Jahres-Turnus abweichenden „Jahrestaktprüfung“, bei<br />

der der Prüfungszeitraum jeweils nur einen Besteuerungszeitraum umfasse. Auch sei sie nicht<br />

gleichzusetzen mit einer „veranlagungsbegleitenden Betriebsprüfung“. Beide Begriffe seien je<br />

nur eine mögliche Variante des weit zu verstehenden Begriffs der zeitnahen Betriebsprüfung.<br />

II.<br />

Anstoß für das Beschleunigungsstreben<br />

Im Folgenden zeigt Frau Klesen auf, warum und woraus sich die Idee einer zeitnahen Betriebsprüfung<br />

in Deutschland entwickelt habe. Seit Mitte der 1990er Jahre habe sich der Trend zur<br />

zeitnahen und kooperativen Betriebsprüfung mehr und mehr durchgesetzt. Grund dafür seien<br />

mehrere Auslöser.<br />

Die drei Hauptimpulse seien ein Bedürfnis für eine verbesserte Praktikabilität der Außenprüfung,<br />

verfassungsrechtliche Vorgaben sowie ein internationaler Einfluss auf die Prüfungsmodalitäten<br />

in Deutschland.


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 5<br />

1. Praktikabilitätserwägungen<br />

Frau Klesen zeigt zunächst die bisherige Prüfungspraxis bei der Betriebsprüfung auf. Unternehmen<br />

bekämen häufig (Dauer-)Fristverlängerungen zur Abgabe der Steuererklärung gewährt,<br />

was bereits zu einer zeitlichen Verzögerung führe. Bei Einreichung der Steuererklärung durch<br />

die Unternehmen (Deklarationsprinzip) erfolge nach nur überschlägiger Plausibilitätsprüfung<br />

eine „automatische Veranlagung“ unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) entsprechend<br />

den Angaben in der Steuererklärung. Erst lange Zeit später erfolge eine ex-post Verifikation<br />

des deklarierten Sachverhalts. Das Problem liege dabei darin, dass der Rekonstruktionsaufwand<br />

mit dem Schwinden der Informationen im Laufe der Zeit steige.<br />

Das Verhältnis zwischen der Finanzverwaltung und dem Unternehmen sei zudem hoheitlich<br />

geprägt und werde oftmals als „konfrontativ“ empfunden. Die Betriebsprüfung sei eine Maßnahme<br />

der Eingriffsverwaltung. Die Finanzbehörde lege einseitig durch den Verwaltungsakt der<br />

Prüfungsanordnung den Umfang und Zeitpunkt der Maßnahme fest. Die Prüfung werde von den<br />

Unternehmen als Zusatzbelastung <strong>zum</strong> laufenden Geschäftsbetrieb aufgefasst. Das belastete<br />

Verhältnisse lasse sich häufig, jedoch nicht in allen Fällen finden.<br />

Frau Klesen verdeutlicht die Prüfungspraxis grafisch noch einmal anhand eines Zeitstrahls. Zu<br />

beachten sei vor allem die lange hinausgeschobene Festsetzungsverjährung. Sei das Jahr der<br />

Steuerentstehung z.B. das Jahr 01, so könne bis zur Abgabe einer Steuererklärung zunächst die<br />

Anlaufhemmung nach § 170 II Nr. 1 AO bis zu drei Jahre dauern. Die reguläre Festsetzungsfrist<br />

würde sodann grundsätzlich weitere vier Jahre betragen, § 169 II Nr. 2 AO. In der Praxis würde<br />

die Steuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt. Eine später begonnene Betriebsprüfung<br />

würde schließlich die Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist bewirken, wodurch auch<br />

der Vorbehalt der Nachprüfung weiter bestehen bleibe, §§ 171 IV, 164 IV AO. Da keine absolute<br />

Begrenzung der Festsetzungsfrist im Gesetz vorgesehen sei, werde die Finanzverwaltung<br />

nicht zur Eile angetrieben. Die Fälle würden lange „offen“ bleiben und keine materielle Bestandskraft<br />

eintreten. Dies führe vor allem <strong>zum</strong> Problem der Rechtsunsicherheit. Diese Zeitferne<br />

sei zwar wohl in der Praxis nicht der Regelfall, trete aber durchaus auf.<br />

Die sich aus der zeitfernen Prüfungspraxis ergebenden Probleme stellt Frau Klesen im Folgenden<br />

vor:


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 6<br />

Es ergäben sich ein gesteigerter Kosten- und Zeitaufwand durch einen erhöhten Rekonstruktionsaufwand<br />

wegen erschwerter Beschaffung bereits archivierter Daten, der Einarbeitung in zurückliegende<br />

Rechtslagen bei geänderter <strong>Steuerrecht</strong>slage, Verlust von Informationen und Unterlagen<br />

insb. durch Personalfluktuation und damit von historischem Wissen. Des Weiteren bestehe<br />

auch ein höheres Risiko durch Rechtsunsicherheit und mangelnder Planungssicherheit<br />

wegen fehlender materieller Bestandskraft. Dabei sei das Risiko gleichermaßen auf Seiten der<br />

Finanzverwaltung wegen der haushaltsrechtlichen Dimensionen für den Fiskus, als auch auf<br />

Seiten des Unternehmens vorhanden. Es bestehe ein unternehmerisches Dispositionshemmnis.<br />

Auch Fremdinvestoren würden auf Klarheit über steuerliche „Altlasten“ bestehen. Schließlich<br />

bestehe für das Unternehmen die Gefahr von antizyklischer Steuerbelastung durch Steuernachforderungen<br />

und nicht kapitalmarktorientierten Nachzahlungszinsen (§ 233a AO). Bei unzutreffender<br />

steuerlicher Beurteilung durch das Unternehmen könne es zu einer Perpetuierung von<br />

Fehlern über mehrere Veranlagungszeiträume hinweg kommen. Es bestehe Unsicherheit bei der<br />

Ermittlung latenter Steuern (s. § 274 HGB n.F.) und der Aufwand bei der Anpassung der Handels-<br />

und Steuerbilanz nach einem zeitfernem Abschluss der Außenprüfung sei erhöht.<br />

Spiegelbildlich würde sich bei einer zeitnahen Prüfung eine „Win-Win“-Situation für den Fiskus<br />

und die Unternehmen ergeben. Die Sach- und Rechtslage sei noch präsent, es würden Zeit und<br />

Kosten erspart, das Unternehmen würde schnell Rechtssicherheit erhalten, das Nachzahlungsund<br />

Erstattungsrisiko würde verringert und künftige Fehler könnten noch vermieden werden.<br />

Im Einzelfall könne die zeitnahe Betriebsprüfung jedoch auch Nachteile für das Unternehmen<br />

darstellen, da kurze Prüfungszeiträume eine häufigere Prüfung bedeuten können und damit Synergieeffekte<br />

fehlen können, was zu einer stärkeren Belasten führen könne.<br />

2. Verfassungsrechtlicher Rahmen der Außenprüfung<br />

Zum verfassungsrechtlichen Rahmen der Außenprüfung gibt Frau Klesen einen kursorischen<br />

Überblick, den sie in ihrer schriftlichen Arbeit weiter ausführe. Es lasse sich zwar ein verfassungsrechtliches<br />

Prinzip zeitnaher Besteuerung herleiten. Es gebe aber einen weiten gesetzgeberischen<br />

Spielraum. Aus der Verfassung ließe sich aber wohl kein Prinzip zeitnaher Betriebsprüfung<br />

ableiten und keinesfalls konkrete, bezifferbare Angaben in Jahren für den Abschluss des<br />

Besteuerungsverfahrens ziehen lassen. Auch das Prinzip freiheitsschonender Besteuerung ergebe<br />

sich aus der Verfassung. Es würde insbesondere über das Verfahrensermessen der Exekutive<br />

Einfluss in die Praxis finden. Vor diesem Hintergrund seien eine zeitnahe Betriebsprüfung und


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 7<br />

das Kooperationsverhältnis zwar nicht verfassungsrechtlich zwingend, aber sicherlich zu begrüßen.<br />

3. Internationaler Einfluss<br />

Ein weiterer auf die Entwicklung der zeitnahen Betriebsprüfung in Deutschland Einfluss nehmender<br />

Faktor sei die parallelen Entwicklungen im Ausland. Zu nennen seien zunächst die Bestrebungen<br />

der OECD, die zur Entwicklung eines kooperativen Ansatzes zur Verbesserung der<br />

Kommunikation zwischen Steuerpflichtigen und Steuerverwaltungen (sog. „enhanced relationship“)<br />

ermutigen würden. Diese Bemühungen seien von der International Fiscal Association<br />

(IFA) unterstützt worden. Dabei bedeute „enhanced relationship“ ein kooperativer Ansatz des<br />

Steuervollzugs, eine Veränderung der Art und Weise sowie Häufigkeit der Kommunikation zwischen<br />

Steuerpflichtigen und Finanzbehörden hin zur erhöhten „tax compliance“ sowie zu einer<br />

effizienteren Verwaltung, indem beide Seiten offen und partnerschaftlich zusammenarbeiten<br />

würden, um durch offene Diskussionen im gegenseitigem Einvernehmen Lösungen zu finden.<br />

Unabhängig von der OECD-Initiative habe es bereits in anderen Ländern Ansätze <strong>zum</strong> kooperativen<br />

Verwaltungsverfahren gegeben, was das Thema in den Fokus wissenschaftlicher Diskussion<br />

gebracht habe. Neben Ansätzen z.B. in Australien, Großbritannien und den Niederlanden sei<br />

vor allem die kooperativen Instrumente in den USA hervorzuheben. Es sei dort eine Serie von<br />

Initiativen zur Vorverlagerung von Betriebsprüfungen gestartet worden, die auf einer kooperativen<br />

und transparenten Beziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Internal Revenue<br />

Service (IRS), der amerikanischen Finanzverwaltung, basieren würden. Frau Klesen weist dazu<br />

kurz auf die Instrumente der „pre-filing agreements“ (PFA) aus dem Jahr 2001 und den „Limited<br />

Issue Focused Examinations“ (sog. „LIFE-audit“) aus dem Jahr 2002 hin und widmet sich<br />

sodann schwerpunktmäßig dem seit 2005 bestehenden „Compliance-Assurance-Process“ (CAP).<br />

Es gehe inhaltlich dabei um eine Betriebsprüfung noch vor Abgabe einer Steuerklärung, die in<br />

den USA zu einer Selbstveranlagung führe. Dabei habe der Steuerpflichtige alle relevanten Geschäftsvorfälle<br />

offenzulegen. Ein beidseitig bindendes Abkommen („Memorandum of Understanding“)<br />

lege die Prüfungsschwerpunkte fest. Das Verfahren werde sodann durch eine abschließende<br />

Verständigung („Closing Agreement“ in Form des „Issue Resolution Agreement“)<br />

beendet, in dem die geklärten und gelösten Streitpunkte aufgenommen würden. Soweit der<br />

Steuerpflichtige die dort getroffenen Vereinbarungen bei der Selbstveranlagung befolge, entwickle<br />

die Vereinbarung eine Sperrwirkung für spätere Überprüfungen („Post-Filing Examination“)<br />

der Feststellungen.


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 8<br />

Die Veränderung beim CAP von einer konfrontativen zu einem kooperativen Verhältnis von<br />

Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung habe einen wesentlichen Einfluss auf die deutsche<br />

Entwicklung hin zur zeitnahen Betriebsprüfung genommen.<br />

III.<br />

Entwicklung der „zeitnahen Betriebsprüfung“ in Deutschland<br />

Im Folgenden widmet sich Frau Klesen den Entwicklungen in Deutschland und stellt als Ausgangspunkt<br />

kurz den rechtlichen Rahmen der Außenprüfung als Maßnahme des Steuervollzugs<br />

dar. Im Besteuerungsverfahren gelte allgemein § 85 AO, als einfachgesetzliche Ausprägung des<br />

verfassungsrechtlichen Prinzips der Gesetzmäßigkeit (Art. 2 I, 20 III GG) und Gleichmäßigkeit<br />

(Art. 3 I GG) der Besteuerung. Aus § 88 AO ergebe sich die Verfahrensmaxime des Amtsermittlungsgrundsatzes<br />

und des Untersuchungsgrundsatzes. Diese würden im Sinne einer sphärenorientierten<br />

Mitverantwortung ergänzt durch die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen, z.B.<br />

in § 90 AO. Steuerpflichtiger und Finanzbehörde würden eine Verantwortungsgemeinschaft<br />

hinsichtlich der Sachaufklärung in kooperativer Arbeitsteilung bilden. Das Steuerschuldverhältnis<br />

sei geprägt von der Kooperationsmaxime.<br />

Diese allgemeinen Verfahrensvorschriften würden ergänzt durch die speziell für die Außenprüfung<br />

geltenden §§ 193 ff. AO, die den rechtlichen Rahmen für die Außenprüfung abstecken<br />

würden. §§ 193, 194 AO sähen einen Ermessensspielraum hinsichtlich des Prüfungsgegenstandes<br />

und des Verfahrens vor. In ihnen enthalten sei die zeitnahe Betriebsprüfung nicht explizit<br />

vorgesehen, im Rahmen des Ermessens sei eine solche aber durchaus denkbar. In diesen Ermessenspielraum<br />

würden unterhalb des Gesetzes stehende ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften<br />

eingreifen, wie z.B. die Betriebsprüfungsordnung (BpO). Das Prinzip der Anschlussprüfungen<br />

bei Großbetrieb nach § 3 BpO und des regelmäßig dreijährigen Prüfungszeitraums<br />

hätten die zeitferne Prüfungspraxis geprägt. Die AO und die BpO hätten zunächst explizit keine<br />

Regelung zur zeitnahen Betriebsprüfung vorgesehen. Es sei jedoch in den einzelnen Bundesländern<br />

Modelle, z.B. in Form von Erlassen regional mit auf kleinere Verwaltungseinheiten begrenztem<br />

Risiko erprobt worden. Diese Pilotprojekte stellt Frau Klesen im Folgenden vor.<br />

1. Das Bielefelder Modell<br />

Mitte der 1990er Jahre sei das sog. „Bielefelder Modell“ in NRW als Vorreiter der zeitnahen<br />

Betriebsprüfung vorgestellt worden. Es sei dadurch gekennzeichnet, dass eine Betriebsprüfung<br />

auch ohne unterschriebene Steuererklärung auf der Basis vorläufiger Steuererklärung und Bilanzen,<br />

aber nach einer Prüfungsanordnung erfolge. Bei unstreitigen Prüfungsfeststellungen werde<br />

kein formaler BP-Bericht, sondern nur ein tabellarischer Ergebnisvermerk ohne Begründung der


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 9<br />

einzelnen Punkte gefertigt. Beibehalten worden sei in diesem Modell das Prinzip der Anschlussprüfung<br />

und der Jahrestaktprüfung. Schon damals habe das Projekt auf einem freiwilligen Kooperationsverhältnis<br />

basiert, was sich insbesondere in einer Vereinbarung über die Prüfungsmodalitäten<br />

gezeigt habe. Der große Vorteil dieses Modells habe darin bestanden, dass eine unmittelbare<br />

und endgültige Veranlagung durch den Veranlagungsbezirk erfolgen könne.<br />

Wegen Zweifel an der Gesetzmäßigkeit sei das Modell eingestellt worden. Kritik sei an diesem<br />

Modell insbesondere mit Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der Verifikationspflicht der Finanzbehörden<br />

und der Abgrenzbarkeit zur unzulässigen Hilfe in Steuersachen geäußert worden.<br />

2. Das Osnabrücker Modell<br />

Das Osnabrücker Modell sei dem Bielefelder Modell sehr ähnlich. Unterschiede ergäben sich<br />

vor allem beim verwaltungsinternen Ablauf. Die nicht unterschriebene Steuererklärung des<br />

Steuerpflichtigen werde direkt <strong>zum</strong> Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung weitergeleitet,<br />

wodurch die Festsetzungsämter entlastet würden.<br />

3. Der nordrhein-westfälische Ländererlass vom 11.6.2008<br />

Der Erlass des Finanzministeriums von 2008 habe nun von den zwei zuvor genannten Modellen<br />

insoweit abgewichen, als dass die unterschriebene Steuererklärung und ein Steuerbescheid vorliegen<br />

„sollen“. Auf einen formalen BP-Bericht solle nicht verzichtet werden. Die Auswahl der<br />

für die zeitnahe Betriebsprüfung zugelassenen Unternehmen erfolge nicht starr nach Größenklassen,<br />

sondern aufgrund einer Einzelfallentscheidung des Finanzamts für Groß- und Konzernbetriebsprüfung.<br />

Zugelassen würden jedoch insb. „steuerloyale“ Unternehmen, insb. solche, die<br />

keine fragwürdigen Steuergestaltungsmodelle nutzen würden. Dies halte Frau Klesen für diskussionswürdig<br />

und stellt dieses Auswahlkriterium im Anschluss an die Vorträge zur Diskussion.<br />

Gemeinsam hätten alle drei Modelle, dass sie auf einem der zeitnahen Betriebsprüfung immanenten<br />

Kooperationsverhältnis beruhen würden. Es würden Verfahrensverständigungen getroffen,<br />

die das Ziel hätten, Rahmenbedingungen für eine gute und effiziente Zusammenarbeit zwischen<br />

Prüfern und Unternehmen zu gewährleisten. Sie würden insb. den Ablauf, den zeitlichen<br />

Rahmen und Ansprechpartner festlegen sowie Modalitäten des Datenzugriffs regeln. Teilweise<br />

würden solche Absprachen zusätzlich eine Klausel enthalten, bei der sich das Unternehmen zu<br />

einer „steuerlichen Selbstauskunft“ verpflichte. Dabei solle das Unternehmen selbst, ohne gesonderte<br />

Aufforderung Informationen über bedeutende Änderungen offenlegen und aus Unter-


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 10<br />

nehmenssicht wesentliche prüfungsrelevante Sachverhalte benennen. Die Steuerliche Selbstauskunft<br />

werde zur Grundlage für die Prüfungsschwerpunkteauswahl. Während sich der Verifikationsaufwand<br />

der Finanzbehörde damit verringere, verschiebe sich die Deklarationspflicht des<br />

Unternehmens ggf. über das gesetzlich geforderte Maß der §§ 90 ff. AO hinaus. Dies hält Frau<br />

Klesen für bedenklich und stellt dies anschließend zur Diskussion.<br />

Die dargestellten Modelle würden Gemeinsamkeiten aufzeigen, aber auch Unterschiede. Nicht<br />

alle Modelle seien ohne Kritik geblieben. Einerseits bestehe ein Vorteil im regional isolierten<br />

Erproben der besten Vollzugsstrategie mit begrenztem Risiko. Aber im Spannungsfeld dazu<br />

stehe das Bedürfnis eines bundeseinheitlichen, gleichheitsgerechten Vollzugs, bei dem ein Mindestmaß<br />

an Homogenität gewährleistet werde. Nunmehr lege die bundeseinheitliche Neuregelung<br />

des § 4a BpO für nach dem 1.1.2012 angeordnete Außenprüfungen bundeseinheitliche<br />

Standards fest, nach denen eine zeitnahe Betriebsprüfung erfolgen könne. Allerdings gebe die<br />

ermessenslenkende Vorschrift nur einen Rahmen vor, wobei eine weitergehende Konkretisierung<br />

durch Erlasse, OFD-Verfügungen etc. auf Länderebene weiterhin möglich sei. Indem § 4a<br />

BpO u.a. das Vorliegen einer vollständigen und unterschriebenen Steuererklärung und die Erstellung<br />

eines Prüfungsberichts verlange, sei dem Osnabrücker Modell in Form des dargestellten<br />

Pilotprojekts eine Absage erteilt worden. Frau Klesen weist noch beispielhaft auf einen neuen<br />

Ländererlass Nordrhein-Westfalens vom 10.9.2012 hin, der insb. Konkretisierungen des neuen<br />

§ 4a BpO vornehme. Zudem stellt sie kurz das Modell einer „kooperativ ausgerichteten Konzernbetriebsprüfung“<br />

der OFD Niedersachsen vor, das seit dem Jahr 2012 erprobt werde. Diskussionswürdig<br />

sei hier insb. das im zugehörigen Merkblatt 3 verlangte Erfordernis einer „über<br />

das gesetzliche Maß hinausgehenden Mitwirkung des Konzerns“ (Merkblatt S.2).<br />

IV. Die Neuregelung des § 4a BpO auf dem Prüfstand – Möglichkeiten und<br />

Grenzen „zeitnaher Betriebsprüfung“ in Deutschland<br />

Die Pilotphase der bisher regionalen Modelle habe durch die Einführung des § 4a BpO geendet.<br />

§ 4a BpO als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift gebe nun den Rahmen für eine zeitnahe<br />

Betriebsprüfung vor. Eine solche sei zulässig zur Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse<br />

(§ 194 I 1 AO) und umfasse ein oder mehrere Besteuerungszeiträume. Damit sei eine Jahrestaktprüfung<br />

zwar grundsätzlich zulässig. Die Prüfung müsse jedoch verhältnismäßig bleiben,<br />

3<br />

www.ofd.niedersachsen.de/download/63788/Merkblatt_fuer_die_kooperativ_ausgerichtete<br />

_Konzernbetriebspruefung.pdf.


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 11<br />

was in einem Fall vor dem FG Köln 4 verneint worden sei. Die zeitnahe Betriebsprüfung umfasse<br />

„gegenwartsnahe Besteuerungszeiträume“. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff sei für das Land<br />

Nordrhein-Westfalen durch den Erlass des Finanzministeriums NRW v. 10.9.2012 5 konkretisiert<br />

worden:<br />

„Dabei sind nur die Besteuerungszeiträume als gegenwartsnah anzusehen, bei denen <strong>zum</strong> Zeitpunkt<br />

des vorgesehenen Prüfungsbeginns das letzte Jahr des angeordneten Prüfungszeitraums<br />

nicht länger als zwei Jahre zurückliegt und der Prüfungszeitraum zudem nicht mehr als zwei<br />

Veranlagungszeiträume umfasst.“<br />

Aus dem eingeräumten Entschließungsermessen in § 4a BpO ergebe sich für den Steuerpflichtigen<br />

kein subjektiver Anspruch auf eine zeitnahe Betriebsprüfung (vgl. § 2 III 2 BpO), das Verfahrensermessen<br />

ermögliche einen kooperativen Steuervollzug auch durch Verfahrensvereinbarung.<br />

In verfahrensrechtlicher Hinsicht sei ein formaler BP-Bericht nach der Neuregelung zwingend.<br />

Kritisch hinterfragt Frau Klesen das Ermessensauswahlkriterium eines „steuerloyalen“ Unternehmens,<br />

wie es im Ländererlass NRW v. 10.9.2012 u.a. gefordert werde. Zwar halte sie die<br />

Steuervita grundsätzlich als zulässiges Auswahlkriterium im Rahmen eines Risikomanagements.<br />

Jedoch sei insb. der Passus diskussionswürdig, dass „keine fragwürdigen Steuergestaltungsmodelle“<br />

genutzt werden dürften. Insgesamt seien nur solche Ermessensauswahlkriterien zulässig,<br />

die vom Zweck der Ermächtigungsgrundlage getragen würden.<br />

Im Hinblick auf die Frage, ob eine veranlagungsvorgreifende Betriebsprüfung zulässig sei, erklärt<br />

Frau Klesen, dass § 4a II BpO eine Steuererklärung fordere, dies aber nach dem Wortlaut<br />

der AO nicht vorausgesetzt sei. So sei nach bisheriger Rechtsprechung eine Betriebsprüfung<br />

auch zulässig auf der Basis von Schätzungsbescheiden, wenn keine Steuererklärung abgegeben<br />

worden sei. Da § 4a BpO keine Veranlagung verlange, sondern nur eine Steuererklärung, sei<br />

eine veranlagungsvorgreifende Betriebsprüfung möglich.<br />

Ein Hauptproblem in der Praxis bestehe darin, die Übergangsphase von einer zeitfernen hin zu<br />

einer zeitnahen Betriebsprüfung zu bewältigen, auch wenn nicht die Masse der Fälle von extremer<br />

Zeitferne betroffen sei. Es würden bei gleichbleibendem Personalbestand an Prüfern dabei<br />

4 FG Köln, Beschluss vom 7.7.2009 – Az. 13 V 1232/09, EFG 2009, 1802.<br />

5 Az. S 0401–10–V A 5.


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 12<br />

grundsätzlich zwei Ansätze diskutiert. Zum einen sei es möglich, weiterhin alle noch ausstehenden<br />

Jahre zu prüfen, jedoch die Prüfungsintensität zu reduzieren. Andererseits könne man auch<br />

einige Jahre von der Prüfung auslassen, die übrigen aber weiterhin intensiv prüfen. Beide Ansätze<br />

hält Frau Klesen für vertretbar. Das Prinzip der Anschlussprüfung bei Großbetrieben sei zudem<br />

nicht zwingend nach den §§ 193, 194 AO vorgegeben. Wie auch der NRW-Erlass vom<br />

10.9.2012 spricht sich Frau Klesen für eine risikoorientierte Fallauswahl zur Prüfung aus, also<br />

gegebenenfalls eine Kombination von Schwerpunktbildung und qualifiziertem Absetzen vom<br />

Prüfungsplan einiger Besteuerungszeiträume mit geringerem Risiko.<br />

Sodann geht Frau Klesen auf rechtliche Probleme im Zusammenhang mit der Verfahrensverständigung<br />

und dem Kooperationsverhältnis ein. Es würden sich dabei insb. folgende Fragen<br />

stellen, die sie zur anschließenden Diskussion freigebe. Umstritten sei, ob die Verfahrensvereinbarung<br />

eine zulässige Handlungsform der Verwaltung darstelle. Sie tendiere dazu, dies zu bejahen,<br />

da der Verwaltung insoweit Verfahrensermessen eingeräumt sei. Auch die rechtliche Qualität<br />

einer Verfahrensverständigung sei zu erörtern, insbesondere, inwieweit ihr Bindungswirkung<br />

zukomme und inwieweit das Vereinbarte (zwangsweise) durchsetzbar sowie gerichtlich überprüfbar<br />

sei. Auch seien gleichheitsrechtliche Bedenken gegenüber einer „zeitnahen und kooperativen<br />

Betriebsprüfung“ als privilegierendes Incentive für „steuerloyale“ Unternehmen zu untersuchen.<br />

Ein großes Problem sehe sie zudem in der oftmals verlangten „Steuerlichen Selbstauskunft“,<br />

sofern eine Verpflichtung zur überobligatorischen Mitwirkung verlangt werde, also<br />

die Grenzen der §§ 90 ff. AO überschritten würden. Dies sei etwa der Fall, wenn eine Pflicht zur<br />

Benennung prüfungsrelevanter Sachverhalte begründet und das Risikomanagement auf das Unternehmen<br />

ausgelagert werde. Weitere rechtlich-praktische Probleme seien, dass Grundvoraussetzung<br />

die Kooperationsbereitschaft des Unternehmens sei. Allerdings sei Kooperation personalintensiv<br />

und Personal kostenintensiv, weshalb eine Kooperationsbereitschaft nicht selbstverständlich<br />

sei. Der Kooperationswille müsse jedoch sowohl auf unternehmerischer Seite bei allen<br />

Betrieben im Konzern, als auch bei allen Landesfinanzbehörden, die von bundeslandübergreifenden<br />

Konzernstrukturen betroffen seien, gegeben sein. Zudem sei trotz der Möglichkeit,<br />

Zwangsmittel einzusetzen, eine freiwillige, vertrauensvolle Kooperation (faktisch) nicht erzwingbar.<br />

Das „gute Klima“ dürfe durch Rechtsbehelfsverfahren nicht belastet werden, da das<br />

Unternehmen sonst ggf. in einen faktischen Rechtsmittelverzicht gedrängt werde.<br />

V. Fazit<br />

Abschließend hält Frau Klesen fest, dass die zeitnahe Betriebsprüfung für die Finanzverwaltung<br />

und die Steuerpflichtigen eine Win-Win-Situation sei. Die bundeseinheitliche Beschleunigung


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 13<br />

der Betriebsprüfung sei zu begrüßen. Zu bedenken sei jedoch immer, dass ein Kooperationsverhältnis<br />

nicht erzwingbar sei und deswegen nicht für jeden Fall tauglich sei. Ihrer Ansicht nach<br />

solle das Beschleunigungsstreben durch verfahrensrechtliche Rahmenbedingungen für beschleunigte<br />

und kooperative Betriebsprüfungen flankiert werden, indem z.B. die Festsetzungsund<br />

Aufbewahrungsfristen verkürzt werden.<br />

B. Horizontal Monitoring in Österreich (Stiastny)<br />

Frau Stiastny leitet ihren Vortrag mit einem Zitat von Jeffrey Owens aus dem Jahr 2012 ein:<br />

„Today, we stand on the threshold of a change in the relationship between tax administration,<br />

taxpayers – especially large MNCs which account for the bulk of corporate revenues – and tax<br />

advisors. The question is, can we pass over this threshold to move towards a relationship which<br />

is more open and one characterized by trust and understanding” Dieses stelle den Zweck von<br />

Horizontal Monitoring sehr gut dar.<br />

Der Grundgedanke hinter dem Horizontal Monitoring in Österreich gehe zurück auf OECD-<br />

Studien zu den Themen „Tax Compliance“ und „Enhanced Relationsship“. Sich compliant zu<br />

verhalten, bedeute auf Seiten des Steuerpflichtigen, steuerliche Angaben zu machen und diese<br />

müssten auch richtig sein.<br />

Zur Umsetzung dieser Studien seien grundsätzlich drei verschiedene Handlungsformen möglich:<br />

Die Festlegung einer Charta zwischen Behörden und Steuerpflichtigen, formelle und informelle<br />

Vereinbarungen oder einseitig von der Behörde angeordnete Maßnahmen. In Österreich habe<br />

man sich dafür entschieden, die proaktive Kooperation zwischen der Finanzverwaltung und<br />

Großbetrieben in Form einer begleitenden Kontrolle auf partnerschaftlicher Basis mit Hilfe von<br />

formellen und informellen Vereinbarungen zu erreichen. Es sei dazu ein Handbuch geschaffen<br />

worden, das als lebendes Arbeitspapier aufzufassen sei. Dies beruhe auf den Grundprinzipien<br />

des gegenseitigen Vertrauens, der Offenheit und der Transparenz. Für die Verwaltung in Österreich<br />

bedeute Horizontal Monitoring einen großen Paradigmenwechsel von einer ex-post-<br />

Verifikation durch eine Außenprüfung hin zu einem kooperativen Ansatz.<br />

Frau Stiastny stellt im Folgenden die Umsetzungen und Modelle in verschiedenen Ländern zur<br />

Erreichung einer „enhanced relationship“ vor. Dabei ließen sich die Modellversuche nach den<br />

Handlungsformen der Behörde kategorisieren.


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 14<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

So würden vor allem die Niederlande, USA, Slowenien, Neuseeland und Südkorea einen<br />

Ansatz über Vereinbarungen zwischen Steuerbehörden und Steuerpflichtigen wählen, dem<br />

auch Österreich gefolgt sei.<br />

In Irland hingegen finde sich das Modell einer einseitigen Erklärung durch die Steuerbehörde,<br />

zu der der Steuerpflichtige aber zustimmen müsse.<br />

In Großbritannien und Australien hingegen erfolge ein Risikomanagementprozess. Die Prüfungsintensität<br />

hänge hier vom Compliance-Verhalten des Steuerpflichtigen ab. Ähnliche risikoorientierte<br />

Modelle würden sich auch Finnland, Norwegen und Schweden finden.<br />

Spanien und die Schweiz hätten demgegenüber den Weg eines Verhaltenskodex zwischen<br />

Steuerpflichtigen und der Verwaltung eingeschlagen.<br />

Die Ziele des Horizontal Monitorings beschreibt Frau Stiastny in der Förderung der Tax Compliance<br />

und der Gewährung einer zeitnahen und rechtsrichtigen Abgabenerhebung. Zudem sei<br />

eine mittelfristigen Ressourcenverlagerung der Finanzverwaltung zu Risikobereichen in den<br />

Unternehmen bezweckt, die noch nicht am Horizontal Monitoring teilnähmen. Zudem werde<br />

eine Rechts- und Planungssicherheit angestrebt. Dies werde durch eine zeitnahe Abklärung<br />

steuerlicher Fragen, also durch die rasche Sachverhaltsklärung, Vorarbeiten und zeitnaher Erledigung<br />

erreicht. Weitere Mittel seien die förmlichen und verbindlichen Auskunftsbescheide<br />

nach §§ 118, 118a BAO sowie die sog. Treu- und Glauben-Auskünfte. Schließlich sei ein Ziel<br />

des Horizontal Monitorings die Reduktion der Compliance-Costs.<br />

Die vom Horizontal Monitoring umfassten Abgaben seien sehr umfassend. Sie beträfen Körperschaftsteuer<br />

(incl. Prämien), Umsatzsteuer, Kapitalertragsteuer und andere Abzugssteuern,<br />

Energieabgaben, KFZ-Steuer, Werbeabgabe, Kammerumlage I, Kapitalverkehrsteuern (GesSt),<br />

Rechtsgeschäftsgebühren.<br />

Sodann erläutert Frau Stiastny den Verfahrensablauf des Horizontal Monitorings. Es beginne<br />

mit einer Interessensbekundung seitens des Unternehmens. Voraussetzung für die Teilnahme am<br />

Pilotprojekt sei unter anderem, dass die Zuständigkeit für die Großbetriebsprüfung und die<br />

Pflicht zur Abschlussprüfung nach § 236 des Unternehmensgesetzbuchs bestehe. Zudem müsse<br />

das Unternehmen über ein Steuerkontrollsystem verfügen. Das Steuerkontrollsystem bestehe aus<br />

einer umfassenden Risikoanalyse und solle eine kooperative Weiterentwicklung im Rahmen des<br />

laufenden Horizontal Monitoring Prozesses erfahren.


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 15<br />

Im weiteren Verlauf erfolge eine Abstimmung mit der Projektleitung beim Horizontal Monitoring<br />

und eine finanzinterne Abstimmung. Wenn diese einen positiven Abschluss finden würden,<br />

so komme es zu einem Erstgespräch, bei dem eine Eingangsprüfung vereinbart werde. Bei der<br />

Eingangsprüfung würden nur die noch niemals geprüften Zeiträume geprüft. Bereits vorgenommene<br />

Prüfungen (z.B. WP-Prüfungen, Berichte der internen Revision) würden nicht erneut geprüft.<br />

Auffälligkeiten würden nur schwerpunktmäßig geprüft. Den rechtlichen Rahmen des Horizontal<br />

Monitorings bilde der Abschluss einer Erklärung. Trotz der Bezeichnung „Erklärung“<br />

stelle diese jedoch eine Zweiparteienvereinbarung zwischen dem Steuerpflichtigen und dem<br />

Finanzamt dar. Sie werde auf unbestimmte Zeit geschlossen, aber regelmäßig evaluiert. Eine<br />

Beendigung sei jedem Beteiligten mit sofortiger Wirkung möglich. Erfolge sie nicht im Konsens,<br />

so seien die Parteien jedoch verpflichtet, in einer schriftlichen Mitteilung die Gründe anzugeben.<br />

Die Erklärung sei lediglich eine Absichtserklärung. Eine Verankerung im Gesetz sei<br />

zunächst noch abzuwarten. Sie löse keine Rechte und Pflichten aus. Somit seien auch Zusagen,<br />

die ein Abgabeverpflichteter in einer „Erklärung“ abgebe, nicht verpflichtend und könnten auch<br />

nicht eingeklagt werden.<br />

Nehme ein Unternehmen einmal am Horizontal Monitoring Prozess teil, so durchlaufe es einen<br />

Qualifizierungsworkshop. Dabei müsse das Unternehmen umfassende Unterlagen bereitstellen.<br />

Insbesondere müsste es der Finanzverwaltung einen Einblick in ihre EDV in Form einer Leseberechtigung<br />

gewähren. Ebenso seien Aufsichtsratsprotokolle vorzulegen. Daneben habe das Unternehmen<br />

die Berichte der internen und externen Revision zur Prüfung von Steuersachverhalten,<br />

die Managementletter des Wirtschaftsprüfers oder Bewertungsgutachten sowie Vereinbarungen<br />

mit ausländischen Finanzverwaltungen offenzulegen. In regelmäßigen Sitzungen (quartalsweisen<br />

Besprechungen) würden die Ergebnisse besprochen und <strong>Protokoll</strong>e angefertigt werden,<br />

die beide Seiten unterzeichnen würden.<br />

Die Großbetriebsprüfung kläre die steuerlichen Fragen somit zeitnah ab. Sie bearbeite die Anträge<br />

auf Erteilung von Auskunftsbescheiden nach §§ 118, 118a BAO zügig. Sie lege die Vorgangsweisen<br />

mit Auswirkung auf Folgeperioden fest, an die sie nur im Rahmen von Treu und<br />

Glauben gebunden sei. Das Unternehmen habe auf der anderen Seite das Steuer-IKS fortzuführen.<br />

Frau Stiastny widmet sich nun ausgewählten Problembereichen aus dem Horizontal Monitoring.<br />

Es bestünde bei der „Erklärung“ das Problem, inwieweit durch die Offenlegung wichtiger Informationen<br />

das Steuergeheimnis gewahrt bleibe. Zu beachten seien das österreichische Daten-


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 16<br />

schutzgesetz, die Geheimhaltungspflichten sowie der Grundsatz der Amtsverschwiegenheit.<br />

Auch sei noch nicht abschließend geklärt, wie mit Informationen nach einer Kündigung der<br />

Vereinbarung zu verfahren sei. Problematisch sei, ob die gewonnenen Informationen im weiteren<br />

Verfahren desselben Steuerpflichtigen verwendet, oder ob gar Informationen über Dritte von<br />

der Finanzverwaltung genutzt werden dürften. Dies sei noch zu klären.<br />

Ein weiteres Problemfeld bestehe beim Zugang <strong>zum</strong> Horizontal Monitoring. Die Teilnahme<br />

stehe im Ermessen der Behörde. Frau Stiastny fordere jedoch, dass es klare Grundlagen geben<br />

solle, auf denen die Entscheidung der Projektleitung des Horizontal Monitoring beruhe. Zudem<br />

seien im Pilotprojekt nur Großbetriebe erfasst. Aus gleichheitsrechtlicher Sicht sei die Erweiterung<br />

auch auf andere Größenklassen zu diskutieren. Auch bei Joint Ventures gebe es Probleme,<br />

wenn ein Partner am Horizontal Monitoring teilnehme, der andere jedoch nicht. Es sei zu erörtern,<br />

ob Informationen auch über den nichtteilnehmenden Partner gewonnen und verwertet werden<br />

dürften.<br />

Frau Stiastny erörtert im Zusammenhang mit dem Horizontal Monitoring die Arten von Auskünften,<br />

die die österreichischen Finanzbehörden geben könnten. Allgemein sei darauf hinzuweisen,<br />

dass die Auskünfte keine Willens-, sondern nur bloße Wissenserklärungen seien.<br />

Gleichwohl seien in vielen Gesetzen Verpflichtungen der Behörden zur Abgabe von Auskünften<br />

vorgesehen. Zu nennen seien vor allem Art. 12 ZK, § 90 öEStG (Lohnsteuerauskunft), § 113<br />

BAO und § 57 (3) FinStRG, § 118 BAO/ § 118a BAO. Eine allgemeine Auskunftsverpflichtung<br />

für die gesamte österreichische Verwaltung ergebe sich auch aus § 1 des Auskunftspflichtgesetz<br />

für Behörden. Dabei bestünde aber kein Rechtsanspruch auf Beurteilung eines noch zu verwirklichenden<br />

Sachverhalts.<br />

Speziell für das <strong>Steuerrecht</strong> sei daneben das Instrument des Auskunftsbescheids nach § 118<br />

BAO vorgesehen. Es handele sich hierbei um eine bescheidförmliche Auskunft, die sich nur auf<br />

die abgabenrechtliche Beurteilung eines im Zeitpunkt des Antrags noch nicht verwirklichten<br />

Sachverhalts beziehe. Vornehmlich würden Umgründungen, Unternehmensgruppen und Verrechnungspreise<br />

Inhalt eines solchen Auskunftsbescheides. Es würde ein Verwaltungsbeitrag in<br />

Höhe von 1.500 bis 20.000 € erhoben in Abhängigkeit vom Umsatzerlös.<br />

Es sei den Finanzbehörden aber auch möglich, sog. Treu und Glauben Auskünfte zu erteilen.<br />

Dies seien formlose Auskünfte, die sich aus der Rechtsprechung des VwGH entwickelt hätten.<br />

Das Legalitätsprinzip könne jedoch den Grundsatz von Treu und Glauben überwinden. Der


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 17<br />

Grundsatz von Treu und Glauben bringe nur einen Vertrauensschutz für den Steuerpflichtigen<br />

im österreichischen Recht. Eine Bindungswirkung hätten wegen der Geschlossenheit des<br />

Rechtsquellensystems im österreichischen Recht nur die bescheidförmigen Auskünfte. Nach<br />

Einwürfen aus dem Publikum erläutert Frau Stiastny, dass aus dem Treu und Glauben-Schutz<br />

ein Schadensersatzanspruch des Steuerpflichtigen in Höhe des Vertrauensschadens erwachse,<br />

wenn entgegen der Auskunft entschieden werde.<br />

Beim Horizontal Monitoring gehe es immer um den Zwiespalt zwischen Offenlegung von Informationen<br />

und der Rechtssicherheit. Das Handbuch <strong>zum</strong> Horizontal Monitoring gehe davon<br />

aus, dass Horizontal Monitoring sachverhaltstechnisch klärende Vorarbeit liefern könne, den<br />

kostenpflichtigen Auskunftsbescheid aber nicht ersetzen könne.<br />

Des Weiteren beschreibt Frau Stiastny das Problem, wie zu verfahren sei, wenn der Steuerbescheid<br />

vom im Horizontal Monitoring abgeklärten und in der Vereinbarung fixierten Sachverhalt<br />

abweiche. Es sei strittig, ob das Finanzamt an die Entscheidung im Horizontal Monitoring<br />

Prozess gebunden sei.<br />

Für die Zukunft stünden diskussionswürdige Änderungen des Horizontal Monitorings an. Es<br />

bedürfe einer Änderung der rechtlichen Grundlage. Auch die Definition von Aufnahmebestimmungen<br />

müsse klarer strukturiert werden. Schließlich sei eine Erweiterung auch auf SME (small<br />

and medium-sized enterprises) zu überdenken.<br />

Eine stufenförmige Rechtserzeugung, also die Schaffung von Gesetzen und Verordnungen <strong>zum</strong><br />

Horizontal Monitoring, sei erforderlich. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des österreichischen<br />

VwGH <strong>zum</strong> öffentlich-rechtlichen Vertrag sei das Horizontal Monitoring und die darin<br />

enthaltenen Vereinbarungen als individuelle Rechtsquellen im Rechtsquellensystem zu akzeptieren.<br />

Daneben spricht sich Frau Stiastny dafür aus, die Vereinbarung in die BAO aufzunehmen<br />

und sie somit auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Damit würde sie zu den generellen<br />

Rechtsquellen gehören.<br />

Für die Erweiterung des Horizontal Monitorings auch auf SMEs erwägt Frau Stiastny eine Orientierung<br />

an den Regelungen aus den Niederlanden. Dort würden Steuererklärungen, die durch<br />

Anbieter von Steuerdienstleistungen angefertigt worden seien, weniger intensiv geprüft.


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 18<br />

Frau Stiastny fasst abschließend zusammen, dass es sich beim Horizontal Monitoring um ein<br />

Pilotprojekt handele, und dass es auf einer Kooperation zwischen großen Unternehmen und der<br />

Finanzverwaltung basiere. Es gebe auch vergleichbare Konzepte in anderen Ländern. Die Einordnung<br />

in juristische Strukturen sei noch nicht hinreichend geklärt. Jedes Unternehmen müsse<br />

selbst abwägen, ob die Reduktion der Compliance Costs und die Rechts- und Planungssicherheit<br />

schwerer wiegen als die Bereitstellung umfänglicher Unterlagen. Frau Stiastny begrüßt es, dass<br />

Österreich sich zu diesem Pilotprojekt entschlossen habe.<br />

C. Diskussion<br />

Prof. Seer bedankt sich bei den beiden Referentinnen und möchte einzelne Problempunkte herausgreifen<br />

und mit dem Publikum diskutieren. Vor allem interessiere ihn, wie die Regelung des<br />

§ 4a BpO in der Praxis gelebt werde. Er fragt, nach welchen Kriterien beispielsweise die Auswahl<br />

der Unternehmen erfolge.<br />

Herr Wilkesmann schildert seine Eindrücke aus der Praxis. Es würden mit allen Unternehmen<br />

Gespräche darüber geführt, ob ein Interesse an einer zeitnahen Betriebsprüfung bestehe. Die<br />

Motivation auf beiden Seiten entstehe aus einem Pragmatismus heraus. Die Betriebsprüfung<br />

effizient, pragmatisch und zeitnah durchzuführen, sei kein Widerspruch. Zwar gebe es naturgemäß<br />

auch Unternehmen, die an der zeitnahen Betriebsprüfung kein Interesse hätten. Die Unternehmen<br />

jedoch, zu denen schon gute Kontakte bestünden und mit denen die besten Ergebnisse<br />

erzielt würden, würden auch ohne eine schriftliche Vereinbarung schon kooperativ handeln. In<br />

Prüfungsrichtlinien und Angeboten seitens der Verwaltung, z.B. Prüfungsschwerpunkte zu vereinbaren,<br />

würde der Wunsch nach Zeitnähe schon jetzt berücksichtigt. Die „richtige“ zeitnahe<br />

Betriebsprüfung werde bis jetzt nur mit einigen Unternehmen durchgeführt.<br />

Prof. Seer stimmt zu, dass der Kontakt zwischen Großbetrieben und der Finanzverwaltung wegen<br />

des Prinzips der Anschlussprüfungen ohnehin sehr gut sei. Er fragt, ob es Unternehmen gebe,<br />

die besonders kooperativ seien, oder ob auch alle anderen Unternehmen eine zeitnahe Betriebsprüfung<br />

angeboten werde.<br />

Nach Einschätzung von Herrn Wilkesmann würde jedes Unternehmen grundsätzlich nach seinem<br />

Interesse an einer zeitnahen Betriebsprüfung gefragt. Herr Loermann räumt ein, dass die<br />

G1-Betriebe in den Schlussbesprechungen regelmäßig auf eine zeitnahe Betriebsprüfung angesprochen<br />

würden. Das Interesse sei groß. Es bestehe jedoch ein logistisches Problem auf Seiten<br />

der Verwaltung, dem Interesse flächendeckend nachzukommen. Bei kleineren Betrieben finde


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 19<br />

fast keine zeitnahe Betriebsprüfung statt, weil es keine Anschlussprüfungen gebe. Man beschränke<br />

sich dort auf eine risikoorientierte Fallauswahl.<br />

Prof. Seer sehe eine Möglichkeit darin, dass man auch bei den Großbetrieben vom Prinzip der<br />

Anschlussprüfung Abstand nehme und sich auf eine Risikoauswahl beschränke. Herr Loermann<br />

weist insoweit darauf hin, dass man ohne Absetzungen vom Prüfungsplan in zeitlicher Hinsicht<br />

nicht eine zeitnahe Betriebsprüfung erreichen könne. Prof. Seer beschreibt die Situation bei G1-<br />

Betrieben als eine „Dauerkooperation“ und fragt, wie hingegen die Situation bei kleineren Betrieben<br />

aussehe, nach welchen Risikokriterien eine Absetzung erfolgen könne, damit aber rechtzeitig<br />

und zeitnah die Steuer festgesetzt werde und gleichwohl schnelle Sanktionen möglich<br />

seien.<br />

Herr Loermann skizziert einen Fall aus der Praxis, in dem die Steuerfahndung bereits ermittelt<br />

habe. Das Mittel der zeitnahen Betriebsprüfung biete sich hier an, um im Folgejahr den Sachverhalt<br />

zeitnah und intensiv zu prüfen, um zu evaluieren, ob der Steuerpflichtige sich nun steuerehrlich<br />

verhalten habe. Frau Klesen fragt, inwieweit nach den Praxiserfahrungen solche Unternehmen<br />

trotz vorheriger Steuerfahndungsprüfung kooperativ an der anschließend zeitnahen<br />

Betriebsprüfung mitwirken würden oder ob sie dann in ihrer Informationsbeschaffung „mauern“<br />

würden. Nach Herrn Loermann sei die Betriebsprüfung befugt, im Rahmen ihres Ermessens frei<br />

über den Prüfungszeitraum und die Zeit der Prüfung zu entscheiden. Die Betriebsprüfung sei für<br />

den Steuerpflichtigen immerhin das weniger eingriffsintensive Mittel gegenüber der Steuerfahndung,<br />

weswegen gegebenenfalls eine vergleichsweise höhere Kooperationsbereitschaft gegeben<br />

sei.<br />

Frau Kramer berichtet von einem Fall aus der Praxis, in dem sich ein mittelständisches Unternehmen<br />

um eine zeitnahe Betriebsprüfung bemüht habe, der Antrag jedoch abgelehnt worden<br />

sei. Das Gros der Steuerpflichtigen, die weder zu den G1-Betrieben gehörten noch steuerstrafrechtlich<br />

auffällig geworden seien, würden somit faktisch von der zeitnahen Betriebsprüfung<br />

ausgeschlossen. Prof. Seer geht noch weiter und fragt, ob nicht sogar ein Anspruch der Steuerpflichtigen<br />

bestehe. Es müsse belastbare Ermessenskriterien geben.<br />

Herr Loermann erwidert, dass es zunächst eines funktionierenden Risikomanagements bedürfe,<br />

um rund 3.500 Fälle in drei Jahren zu erledigen. Die Kapazität für eine zeitnahe Betriebsprüfung<br />

müsse also zuerst geschaffen werden. Aus dem Publikum wird angemerkt, dass selbst bei breiter<br />

Absetzung von Fällen, es nicht möglich sei, jedem Steuerpflichtigen eine zeitnahe Betriebsprü-


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 20<br />

fung zukommen zu lassen. Herr Loermann weist darauf hin, dass die Kapazität natürlich sehr<br />

stark von der Absetzungsquote abhängig sei.<br />

Die bis jetzt aufgestellten Ermessenskriterien kritisiert Herr Dr. Peus. Besonders kritisiert er das<br />

Merkmal der „fragwürdigen Steuergestaltung“. Er frage sich, ob darunter auch legale Steuergestaltungen<br />

fallen, bei denen die Gewinne in Niedrigsteuerländer transferiert würden. Prof. Seer<br />

halte diesen Begriff zwar nicht für subsumierbar. Er gebe jedoch zu bedenken, dass es sich nicht<br />

um Tatbestandsmerkmale handele. Eventuell sei im Rahmen eines Risikomanagements auch<br />

eine unschärfere Trennung im Sinne von einzelnen Faktoren möglich.<br />

Prof. Seer geht im Weiteren auf die Frage ein, ob eine zeitnahe Betriebsprüfung auch schon vor<br />

Abgabe einer Steuererklärung beginnen könne. Er sehe darin kein Widerspruch zu den gesetzlichen<br />

Regelungen der AO und würde dies auch begrüßen. De lege ferenda könne sich Prof. Seer<br />

vorstellen, dass die zeitnahe Betriebsprüfung zu einer Nachschau im Ertragsteuerrecht führen<br />

könne. Eine solche gebe es <strong>zum</strong>indest bereits im Bereich der Umsatzsteuer und auch wohl zukünftig<br />

bei der Lohnsteuer.<br />

Der Aspekt der Belohnung des Steuerpflichtigen bei der zeitnahen Betriebsprüfung sei nach<br />

Herrn Loermann in der Diskussion zu stark bewertet. Zwar könne sich eine Win-Win-Situation<br />

bei Vorteilen auf beiden Seiten ergeben. Das Mittel der zeitnahen Betriebsprüfung gebe der Finanzverwaltung<br />

aber auch die Möglichkeit, schnell auf Veränderungen beim Steuerpflichtigen<br />

zu reagieren, auch wenn dieser kein Interesse an einer jetzigen Kooperation habe. Prof. Seer<br />

entgegnet, dass die internationalen Vorbilder die Sichtweise eines Kooperationsverhältnisses<br />

geprägt hätten. Dies sei auch nicht falsch, stelle aber eben nur eine Seite dar.<br />

Zur Kapazitätsproblematik merkt Herr Dr. Weckerle an, dass es nicht nur die Möglichkeit der<br />

Absetzung gebe, sondern dass auch die Prüfung an sich gestrafft werden müsse, was selbst bei<br />

der zeitnahen Betriebsprüfung nicht immer gelinge. Er schlägt eine Konzentration der Prüfung<br />

vor. Aus dem Publikum wird angemerkt, dass dies in der Praxis bereits geschehe. So werde insbesondere<br />

auf die abgekürzte Außenprüfung nach § 203 AO verwiesen. Prof. Seer halte diesen<br />

Aspekt für interessant, denn § 203 AO habe bis jetzt eher ein „Schattendasein“ geführt. Die abgekürzte<br />

Außenprüfung könne ein Mittel zur Erreichung der zeitlichen Nähe der Betriebsprüfung<br />

sein. Aus dem Publikum wird § 203 AO eher als eine „mentale Selbstbeschränkung“ der<br />

Prüfer charakterisiert. Eine Schwerpunktsetzung gebe es schließlich auch in jeder „normalen“


Die zeitnahe Betriebsprüfung – Kooperation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen 21<br />

Außenprüfung. Prof. Seer stimmt zu, dass die von § 193 AO ideologisch vorgesehene umfassende<br />

Intensivprüfung nicht zu bewältigen sei.<br />

Herr Wilkesmann beschreibt das Ziel der GKBp, innerhalb von drei Jahren alle Fälle im Bestand<br />

einmal durchzuarbeiten. Die zeitnahe Betriebsprüfung gehöre dabei zu den Elementen der ökonomischen<br />

Organisation der Verwaltung. Dazu wird aus dem Publikum weiter angemerkt, dass<br />

Absetzung nicht bloßes Nichtstun bedeute, sondern eine bewusste Abwägung anhand von Risikoelementen<br />

darstelle, weshalb auch von qualifizierter Absetzung gesprochen werde.<br />

Im Publikum wird die Anwendbarkeit einer zeitnahen Betriebsprüfung auch auf Einkommensmillionäre<br />

diskutiert. Herr Loermann relativiert dies als Problem der zeitnahen Betriebsprüfung,<br />

da dort kein flächendeckendes Problem der Zeitferne existiere.<br />

Prof. Seer spricht sich dafür aus, dass die zeitnahe Betriebsprüfung kein reines Instrument für<br />

die Groß- und Konzernbetriebsprüfung sein solle. Das Prinzip der Anschlussprüfung halte er für<br />

den falschen Weg. Er frage sich, ob vielleicht in einigen Jahren die E-Bilanz ein Vehikel sein<br />

könne, die Prüfungen sowie die Prüfungsvorbereitung und Fallauswahl zu beschleunigen. Hingegen<br />

halte er die Anlage EÜR für eine misslungene Neuerung mit sinnlosem Bürokratieaufwand.<br />

Im Hinblick auf das Verfahren fragt Frau Kramer nach der Einbeziehung des Bundeszentralamts<br />

für Steuern. Aus ihrer Erfahrung sei die Beteiligung in der Praxis eher hinderlich. Herr<br />

Loermann gibt zu, dass die Beteiligung anderer Behörden immer mit der Verschiedenheit der<br />

zeitlichen Planungen zu kämpfen habe. Der sehr enge Zeitplan der zeitnahen Betriebsprüfung<br />

könne dabei Kollisionen hervorrufen.<br />

Prof. Seer fragt, ob von Seiten der Finanzverwaltungen der Länder nicht doch Sympathien für<br />

die Einrichtung einer Bundes-GKBp bestünden. Aus dem Publikum wird dieser Ansatz als diskussionswürdig<br />

begrüßt. Prof. Seer gibt jedoch zu bedenken, dass die Chance auf eine solche<br />

Einrichtung im Zuge der Wiedervereinigung 1990 nicht genutzt worden sei und seither auf Widerstand<br />

der Länder stoße.<br />

Prof. Seer schließt die Diskussion und bedankt sich für die rege Beteiligung. Er halte auch in<br />

Bezug auf die zeitnahe Betriebsprüfung den Austausch zwischen Verwaltung, Beraterschaft und<br />

Wissenschaft für wichtig.

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