Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de
Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de
Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Regeln <strong>und</strong> Best<strong>im</strong>mungen in <strong>de</strong>r Gruppe<br />
Weinberg (1973) hat <strong>de</strong>n Umgang mit sexueller Schamhaftigkeit in FKK-Lagern untersucht.<br />
Schamhaftigkeit <strong>und</strong> Nacktheit - so gängige Vorstellungen - passen nicht zusammen: „Die<br />
Vorstellung, daß diese Kleidungsschranke plötzlich nicht mehr existiert, lässt sofort Bil<strong>de</strong>r<br />
<strong>von</strong> zügellosen sexuellen Wünschen, Promiskuität, Verlegenheit, Eifersucht <strong>und</strong> Schamgefühl<br />
entstehen“ (ebd., S. 244). Dieser Einschätzung ist Weinberg empirisch nachgegangen. Er hat<br />
festgestellt, dass FKK-Anhänger Nacktheit neu <strong>de</strong>finieren. Nacktheit hat keinen Bezug zur<br />
Sexualität, <strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>n Lagern gibt es einen strengen Regelkanon, <strong>de</strong>r die Situation entsexua-<br />
lisiert: Witze mit sexuellem Inhalt, Gespräche über Sex, Körperhaltungen, die als sexuelles<br />
Signal interpretiert wer<strong>de</strong>n können, etwa das Spreizen <strong>de</strong>r Beine bei Frauen o<strong>de</strong>r auch das<br />
Anstarren <strong>von</strong> Personen wer<strong>de</strong>n nicht gedul<strong>de</strong>t. 55 Alle Anwesen<strong>de</strong>n überwachen die Einhal-<br />
tung dieser Regeln <strong>und</strong> obwohl sich in einem FKK-Lager nur nackte Menschen begegnen,<br />
benehmen sie sich so, als seien sie beklei<strong>de</strong>t. Bei <strong>de</strong>r SM-Gruppenveranstaltung han<strong>de</strong>lt es<br />
sich per se um eine sexuell orientierte Situation. Aber auch hier bil<strong>de</strong>n sich verschie<strong>de</strong>ne Re-<br />
geln heraus.<br />
1) Um Neulingen <strong>de</strong>n Zugang zu <strong>de</strong>n Gruppenevents zu erleichtern, gibt es <strong>im</strong> weitesten Sin-<br />
ne Initiationsregeln: Das ist natürlich alles neu, ist doch ganz klar. Da guckst du erstmal.<br />
Mir war auch nicht danach, irgendwas zu machen. Aber das Angenehme in dieser Gruppe<br />
ist, die machen dir <strong>de</strong>n Einstieg eben sehr einfach. Die kriegen das auch schon mit <strong>und</strong><br />
lassen dich erstmal da sitzen <strong>und</strong> gucken. (...) Wenn sich <strong>de</strong>r erste Eindruck gesetzt hat,<br />
helfen die einem schon weiter. Wenn sich die Novizen für <strong>de</strong>n Verbleib in Gruppe ent-<br />
schie<strong>de</strong>n haben, wer<strong>de</strong>n sie in die Regeln <strong>und</strong> Gepflogenheiten eingewiesen. Sie wer<strong>de</strong>n<br />
gleichsam in das Gruppenleben hineinsozialisiert. Erst dann sind sie akzeptierte Mitglie<strong>de</strong>r.<br />
2) Für <strong>de</strong>n Umgang innerhalb <strong>de</strong>r Gruppe ist die Freiwilligkeit die wichtigste Regel. Niemand<br />
darf zu etwas gezwungen wer<strong>de</strong>n: Wichtig ist, dass alles freiwillig ist. Ich meine, wenn ich<br />
da zu etwas gezwungen wer<strong>de</strong>, dann wür<strong>de</strong> ich ausrasten. Aber ich kann mich nicht entsin-<br />
nen, dass das schon einmal vorgekommen ist. Gera<strong>de</strong> <strong>im</strong> Bereich <strong>de</strong>r Gruppenveranstal-<br />
tungen ist Einhaltung <strong>de</strong>r Freiwilligkeitsbest<strong>im</strong>mungen unverzichtbar <strong>und</strong> wer gegen die-<br />
sen Gr<strong>und</strong>satz verstößt, wird normalerweise sofort ausgeschlossen.<br />
3) Eng mit <strong>de</strong>r vorhergehen<strong>de</strong>n Regel ist die Best<strong>im</strong>mung verb<strong>und</strong>en, wonach die individuel-<br />
len Geschmacks- <strong>und</strong> Ekelgrenzen akzeptiert wer<strong>de</strong>n müssen: Wenn jemand einer Frau die<br />
55 Weinberg (1973, S. 247) bemerkt, dass scheinbar niemand <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Nacktheit <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Anwesen<strong>de</strong>n Notiz<br />
n<strong>im</strong>mt: "Alle gucken in <strong>de</strong>n H<strong>im</strong>mel, nicht einer guckt nach unten."<br />
92