Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de
Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de
lich der Einfachheit des Zugangs differenziert werden. In den letzten Jahren hat die SM-Szene aus verschiedenen anderen Szenen Zulauf bekommen, so etwa aus links-alternativen oder aus Yuppie-Kreisen. Diese Newcomer inszenieren ihren Sadomasochismus zu Beginn der neun- ziger Jahre als bislang nicht da gewesenes, halböffentliches Experimentierfeld und Happening mit Flugblättern, Hobby-Zeitschriften, Plakaten, Manifesten, Partys, Selbsterfahrungsgruppen und emanzipatorischen Ansprüchen. Mittlerweile hat sich eine neue - oder zumindest andere - Szene etablieren können. Ihre Mitglieder machen, ganz wie die Schwulen in den sechziger und siebziger Jahren, ihre Neigung öffentlich und treten für eine breitere Akzeptanz ein. So konnte ich bei einem Besuch der Reeperbahn im August 2000 mehrere SM-Paare in entspre- chendem Outfit und provokativer Gestik beobachten: Ein Mann (S) beispielsweise führte sei- ne Freundin (M), die ein Lederhalsband trug, an der Leine ‘aus’. Es machte den beiden sicht- lich Spaß, vom ‘Spießbürger’ beobachtet bzw. taxiert zu werden. Ziel ist eine ähnlich ausdifferenzierte sadomasochistische Szene-Infrastruktur, wie sie bei den Schwulen schon zu finden ist. Insbesondere die Hamburger Gruppe ‚Sündikat’, welche die Szenezeitschrift ‚Schlagzeilen - SM aus der Szene für die Szene’ herausgibt, ist in diesem Zu- sammenhang zu nennen. Inzwischen haben sich nach ihrem Vorbild in der Bundesrepublik Deutschland eine Reihe weiterer Gruppen etabliert, die alle miteinander in Verbindung ste- hen. Waren es 1993 noch ca. 25 regionale und überregionale Zusammenschlüsse (vgl. Wetz- stein u.a. 1993), so haben sich Ende der neunziger Jahre bereits ca. 78 regionale und 13 über- regionale Gesprächsgruppen und Arbeitskreise etablieren können (vgl. Grimme 2000), und es dürften mittlerweile schon wieder mehr geworden sein. Schon längst zur Selbstverständlich- keit sind schließlich die vor allem in der Hamburger Szene stattfindenden ‚Newcomer Partys’ geworden, ein ‚SM & Fetisch Café’ oder auch die ‚After Work Flag Party’. Dadurch ergeben sich neue Zugangsmöglichkeiten. Die Szene ist durch die öffentlichen und öffentlichkeits- wirksamen Aktivitäten auch für den Novizen leicht ausfindig zu machen. Er findet in der Re- gel hier ohne Probleme Zugang. Diese alltagskulturelle Verbreitung und Rahmung des Sadomasochismus geht den Personen, die um die Exklusivität ihrer Neigung besorgt sind, zu weit. Sie befürchten, dass der spezifi- sche Reiz von SM, nämlich die von vielen gesuchte Außeralltäglichkeit, verloren gehen könn- te. In ihren Augen setzt durch den Aktivismus der Szene-Neulinge ein Nor- malisierungsprozess in Bezug auf den Sadomasochismus ein, welcher der schwarzen Sexuali- tät das Flair des ‚Perversen’ und ‚Anrüchigen’ entzieht und ihr damit einen wesentlichen Fas- zinationsquell raubt. Sie wenden sich deshalb ebenso gegen das Herantreten an die Öffent- 68
lichkeit, wie gegen das Bemühen um Toleranz und Akzeptanz. Dementsprechend schwierig ist der Zugang zu ihnen. Biographisierung und Selbstthematisierung Wiederum andere Personen können ihre ersten Berührungen mit dem Sadomasochismus nicht an einem spezifischen Ereignis festmachen. Für sie ist ihr spezialisiertes Sexualinteresse in die gesamte lebensgeschichtliche Entwicklung eingebunden. Dies erklärt sicherlich auch die zum Teil sehr langen Ausführungen dieser Befragten, wenn wir sie auf die Entdeckung ihrer Neigung angesprochen haben. 44 Generell ist für biographische Erzählungen vorab zu bemerken, dass sie ein Konstrukt darstel- len: „Denn jedes Konzept kann nur beschreiben, was ihm nach seiner Logik in den Blick kommt; es wählt aus der Totalität des Ereignisstroms ‚Lebenslauf’ aus und fügt die ausge- wählten Momente nach seiner Logik zu einem Bild auch wieder zusammen, so daß der Le- benslauf stets nur als das erscheint, als was er beschrieben wird: Mit anderen Worten, eine ‚Rekonstruktion’ des Lebenslaufs in diesem Sinne erzählt den Lebenslauf, konstruiert ihn als Biographie und identifiziert darin das Subjekt. Kein solches Konzept kann die Totalität des Lebenslaufs insgesamt erfassen. Die paradigmatische Rekonstruktion ist nicht mehr nur Be- schreibung, sondern Darstellung, im genauen Sinn des Wortes ein Bild des beschriebenen Lebens und damit des Individuums“ (Leitner 1982, S. 16). Dies gilt auch für die Sadomaso- chisten. Sie richten den Blick aus ihrer SM-Rolle in die Vergangenheit und erzählen den Werdegang vermutlich nicht so sehr als Ablauf des tatsächlich Erlebten; vielmehr bestimmen „strukturierte Selbstbilder“ (Fischer 1978, S. 319) des Gegenwärtigen das Komposi- tionsprinzip. Im Einzelnen lassen sich drei verschiedene Muster biographischer Rekonstruk- tion beschreiben, die sich hinsichtlich Inhalt und Selektion unterscheiden. Beim ersten Typ ist auffallend, dass sich Kristallisationspunkte mit fallübergreifenden inhalt- lichen Ähnlichkeiten feststellen lassen. Bestimmten Lebensphasen (z.B. Kindheit, Pubertät), Ereignissen oder besonderen Lebensumständen (z.B. das Aufwachsen im Bordell) wird eine zentrale Bedeutung für die Herausbildung von sadomasochistischen Neigungen zugewiesen. SM ist für diese Befragten kein ‚Tatbestand’, sondern Resultat einer Entwicklung: 44 Die Antworten können ohne die Gefahr von Sinnverzerrungen nicht gekürzt werden, so dass sie hier in voller Länge wiedergegeben sind. 69
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lichkeit, wie gegen das Bemühen um Toleranz <strong>und</strong> Akzeptanz. Dementsprechend schwierig<br />
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SM ist für diese Befragten kein ‚Tatbestand’, son<strong>de</strong>rn Resultat einer Entwicklung:<br />
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