Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de
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Mittelalter hindurch bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 18. Jahrh<strong>und</strong>erts religiöser Fanatismus <strong>und</strong> inquisitori-<br />
sche Verfolgung dieses Feld beherrscht. Im Mittelalter, als die christliche Kirche <strong>de</strong>n größten<br />
Einfluss genießt, war <strong>de</strong>r Unterschied zwischen normalem <strong>und</strong> abweichen<strong>de</strong>m Sexualverhal-<br />
ten <strong>de</strong>r zwischen Rechtschaffenheit <strong>und</strong> Sün<strong>de</strong>. Seit <strong>de</strong>m Beginn <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne reduziert sich<br />
<strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r Kirche zugunsten weltlicher Mächte. Der Unterschied zwischen normalem<br />
<strong>und</strong> abweichen<strong>de</strong>m Sexualverhalten ist nun vergleichbar <strong>de</strong>m zwischen Gesetzestreue <strong>und</strong><br />
Verbrechen (vgl. Haeberle 1983). Die moralischen Richtlinien <strong>de</strong>r Kirche <strong>und</strong> die gesetzli-<br />
chen Best<strong>im</strong>mungen <strong>de</strong>r bürgerlichen Gesellschaft wer<strong>de</strong>n aber vom ‘normalen’ Individuum<br />
nicht als ‘Oktroyierung einer sexuellen Zwangsdiktatur’ empf<strong>und</strong>en, son<strong>de</strong>rn gehören mit<br />
zum selbstverständlichen <strong>und</strong> ‘ges<strong>und</strong>en’ Sexualempfin<strong>de</strong>n. Wer ‘es mit Tieren treibt’, wer<br />
die sexuelle Erfüllung durch Schmerz erlangt o<strong>de</strong>r wer sein eigenes Geschlecht liebt, wird<br />
<strong>von</strong> <strong>de</strong>r ‘normalen Mehrheit’ als krank, <strong>de</strong>generiert o<strong>de</strong>r gar als Verbrecher etikettiert.<br />
Gera<strong>de</strong> die aufkommen<strong>de</strong> Sexualwissenschaft <strong>im</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert etabliert die Medikalisie-<br />
rung <strong>de</strong>r Sexualität <strong>im</strong> Allgemeinen <strong>und</strong> die Pathologisierung ihrer Spielarten <strong>im</strong> Beson<strong>de</strong>ren.<br />
Die Justiz tritt eine Vielzahl <strong>von</strong> Fällen ‘abweichen<strong>de</strong>n’ Verhaltens an die Medizin ab. Theo-<br />
logen <strong>und</strong> Juristen wer<strong>de</strong>n durch Psychiater als die neuen Experten für abweichen<strong>de</strong>s Sexual-<br />
verhalten abgelöst. Perverse wer<strong>de</strong>n zu Kranken, die man nicht für ihr Verhalten verantwort-<br />
lich machen kann, <strong>und</strong> die einzig vernünftige Reaktion auf ihr Verhalten ist nicht die morali-<br />
sche Verurteilung o<strong>de</strong>r die gesetzliche Bestrafung, son<strong>de</strong>rn die psychiatrische Therapie. Unter<br />
<strong>de</strong>m wachsen<strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>r Psychiatrie wer<strong>de</strong>n <strong>im</strong>mer mehr Menschen als ‘Psychopathen’<br />
klassifiziert. Mit <strong>de</strong>r Diskursivierung <strong>de</strong>r Sexualität <strong>im</strong> Allgemeinen ‘entstehen’ gleichsam<br />
neue Formen <strong>de</strong>r Perversion. Hierzu schreibt Foucault (1983, S. 50): „Durch eine Unzahl <strong>von</strong><br />
Diskursen hat man die juristischen Verurteilungen <strong>de</strong>r kleinen Perversionen vermehrt, hat<br />
man die sexuelle Abweichung mit <strong>de</strong>r Geisteskrankheit verkettet, hat man eine Norm <strong>de</strong>r se-<br />
xuellen Entwicklung <strong>de</strong>r Kindheit bis ins Alter aufgestellt <strong>und</strong> sorgfältig alle möglichen Ab-<br />
weichungen charakterisiert, hat man pädagogische Kontrollen <strong>und</strong> medizinische Heilverfah-<br />
ren organisiert, <strong>und</strong> um <strong>de</strong>r geringsten Phantasien willen haben die Moralisten, aber auch vor<br />
allem die Mediziner ein empathisches Greuelvokabular aufgewärmt.“<br />
Die Sexualwissenschaftler dieser Zeit (Psychiater) entwickeln <strong>im</strong>mer spezifischere Verzeich-<br />
nisse sexueller Abnormitäten <strong>und</strong> Perversionen. Auffälligkeiten wer<strong>de</strong>n erst einmal katalogi-<br />
siert <strong>und</strong> mit Namen versehen (z.B. Fetischismus, Koprolagnie, Sadismus, Masochismus):<br />
„Der erste Akt <strong>de</strong>r Sexualwissenschaft war also, Ordnung zu schaffen, vergleichbar <strong>de</strong>r Ord-<br />
nung, die die systematische Botanik <strong>im</strong> Pflanzenwirrwar schuf, allerdings folgenreicher“<br />
(Schmidt 1988, S. 12). Die Pathologisierung durch die Wissenschaften hat die ungewöhnli-<br />
che, perverse Sexualität zwar aus <strong>de</strong>r moralischen Betrachtung <strong>und</strong> strafrechtlichen Verfol-<br />
gung herausgelöst, jedoch auch gleichzeitig eine neue Zwangs- <strong>und</strong> Diskr<strong>im</strong>inierungsappara-<br />
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