Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de
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Gera<strong>de</strong> für das Sexualverhalten <strong>im</strong> Abendland lassen sich bei sozio-historischer Betrach-<br />
tungsweise Differenzen zwischen <strong>de</strong>n einzelnen historischen Epochen nachzeichnen. Diese<br />
Perspektive macht <strong>de</strong>utlich, dass die menschlichen Affekte <strong>und</strong> ‘Triebe’ pr<strong>im</strong>är ‘sozio-<br />
genetischen’ <strong>und</strong> nicht ‘bio-genetischen’ Ursprungs sind.<br />
Die Disziplinierung <strong>de</strong>r Sexualität<br />
Dass Sexualität <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Normen nicht schon <strong>im</strong>mer so waren, wie sie heu-<br />
te sind, zeigt nicht zuletzt ein Blick in die Antike. Im alten Griechenland beispielsweise wird<br />
Sexualität als eine elementare Lebenskraft angesehen <strong>und</strong> alle sexuellen Gefühle wer<strong>de</strong>n <strong>von</strong><br />
daher als gr<strong>und</strong>sätzlich gut bewertet. Sexualität ist Bestandteil <strong>de</strong>r Alltagskultur <strong>und</strong> wird in<br />
zahlreichen Schriften thematisiert. Man spricht zwanglos <strong>von</strong> Sexualität <strong>und</strong> die griechische<br />
Vasenmalerei gibt hinreichend Zeugnis für das breite Spektrum sexueller Praktiken (vgl.<br />
Reinsberg 1989). Das gilt z.B. für die Pä<strong>de</strong>rastie. Sie be<strong>de</strong>utete für die Griechen die Liebe<br />
eines Mannes zu einem Knaben, wobei ethische <strong>und</strong> sinnliche Momente nebeneinan<strong>de</strong>r exis-<br />
tierten: Die Unterrichtung <strong>de</strong>s jüngeren durch <strong>de</strong>n älteren Mann spielte ebenso eine Rolle wie<br />
die körperliche Liebe zwischen bei<strong>de</strong>n. Homosexuelle Praktiken sind sowohl bei Männern als<br />
auch bei Frauen anzutreffen. Neben <strong>de</strong>r Homosexualität gibt es aber auch zahlreiche an<strong>de</strong>re<br />
sexuelle Verhaltensvarianten: Begriffe wie Nymphomanie, Pä<strong>de</strong>rastie, androgyn, Zoophilie<br />
etc. sind auf Betätigungen bezogen, die schon bei Homer erwähnt wer<strong>de</strong>n (vgl. Tannahill<br />
1982). Die zwanglose Handhabung <strong>de</strong>r Sexualität stellt die sittliche <strong>und</strong> moralische Kontrolle<br />
in die Zuständigkeit <strong>de</strong>s Individuums. Die Griechen haben in dieser Zeit keinen religiösen<br />
Glauben o<strong>de</strong>r Institutionen, die mit <strong>de</strong>r Autorität ausgestattet sind, sexuelle Verbote auszu-<br />
sprechen <strong>und</strong> <strong>de</strong>ren Befolgung zu erzwingen. Lediglich <strong>de</strong>r Glaube an <strong>de</strong>n jungen Gott Eros,<br />
Sinnbild <strong>de</strong>r Liebe <strong>und</strong> <strong>de</strong>s sexuellen Verlangens, <strong>de</strong>r je nach Laune <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Menschen Besitz<br />
ergreifen konnte, ist <strong>von</strong> Be<strong>de</strong>utung. Sich seinem Lenken zu wi<strong>de</strong>rsetzen, wäre frevelhaft <strong>und</strong><br />
sinnlos. Nahezu alles ist erlaubt, was <strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>r ‘enkrateia’ (maßvoller Genuss) realisiert<br />
wird, wie es Foucault (1989, S. 237) beschreibt: „Der Gegensatz zwischen einem Mann, <strong>de</strong>r<br />
sich zu mäßigen <strong>und</strong> beherrschen weiß, <strong>und</strong> einem, <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>n Lüsten hingibt, war vom Ge-<br />
sichtspunkt <strong>de</strong>r Moral aus viel wichtiger als <strong>de</strong>r zwischen verschie<strong>de</strong>nen Kategorien <strong>von</strong> Lüs-<br />
ten, <strong>de</strong>nen man sich am liebsten widmen mochte.“<br />
Auch in <strong>de</strong>r römischen Gesellschaft ist ein breites Spektrum sexueller Verhaltensmuster er-<br />
laubt <strong>und</strong> toleriert. Im Unterschied zur hellenistischen Sexualität gewinnen in Rom brutale<br />
<strong>und</strong> sadistische Elemente an Be<strong>de</strong>utung (Hy<strong>de</strong> 1964). Die Rute (fasces) als Instrument <strong>de</strong>r<br />
häuslichen Züchtigung <strong>und</strong> als Zeichen <strong>de</strong>r Herrschaft spielt eine wichtige Rolle. Ihr Einsatz<br />
variiert dabei <strong>von</strong> mil<strong>de</strong>n Riemen (scutica), <strong>de</strong>m Rohrstab (ferula) <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gerte (virga) bis<br />
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