Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de
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gengewalt provozieren, han<strong>de</strong>lt es sich bei gewaltaffinen Spezialkulturen um eine Gewalt, die<br />
folgenlos bleibt. Das vorgängig eingeholte Verständnis <strong>de</strong>s Opfers beinhaltet <strong>de</strong>n Verzicht auf<br />
Rache <strong>und</strong> Vergeltung; einer möglichen Eskalation wird auf diese Weise vorgebeugt. R. Gi-<br />
rard weist in seinem Buch ‘Das Heilige <strong>und</strong> die Gewalt’ darauf hin, dass das Opferritual in<br />
pr<strong>im</strong>itiven Gesellschaften die Funktion hat, die Ausbreitung <strong>von</strong> Gewalt in <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />
zu verhin<strong>de</strong>rn, in<strong>de</strong>m es die Gewalt auf ein Objekt lenkt, das sich nicht wehren kann. Die <strong>de</strong>m<br />
Opfer angetane Gewalt bleibt folgenlos. Girard (1992, S. 59) verwen<strong>de</strong>t die Metapher <strong>de</strong>s<br />
unreinen Blutes, um diese Ambivalenz sichtbar zu machen:<br />
„Wir haben bereits <strong>von</strong> versehentlich o<strong>de</strong>r böswillig vergossenem Blut gesprochen;<br />
es ist dieses Blut, das noch am Opfer trocknet, seine Klarheit verliert, trüb<br />
<strong>und</strong> schmutzig wird, Krusten bil<strong>de</strong>t <strong>und</strong> sich schichtenweise ablöst; das Blut, das<br />
an Ort <strong>und</strong> Stelle alt wird, <strong>und</strong> das unreine Blut <strong>von</strong> Gewalt, Krankheit <strong>und</strong> Tod<br />
sind eins. Diesem bösen, schnell verdorbenen Blut stellt sich das frische Blut <strong>de</strong>r<br />
eben dargebrachten Opfer entgegen, das <strong>im</strong>mer flüssig <strong>und</strong> rot bleibt, weil es <strong>im</strong><br />
Ritual erst <strong>im</strong> Augenblick <strong>de</strong>s Vergießens gebraucht wird <strong>und</strong> gleich wie<strong>de</strong>r weggewischt<br />
wird (...).“<br />
Im Opferritual stellt sich kein Vergeltungswunsch ein. Es soll befrie<strong>de</strong>n <strong>und</strong> symbolisiert dies<br />
durch eine finite Gewalthandlung, die keine Anschlüsse zulässt. Eine ähnliche Qualität haben<br />
die Gewaltrituale bei Sadomasochisten, Paintballern <strong>und</strong> Hooligans. Der Peitschenschlag <strong>im</strong><br />
Dominastudio provoziert nicht <strong>de</strong>n Gegenschlag <strong>de</strong>s Sklaven. Die Prügeleien unter Hooligans<br />
provozieren keine <strong>von</strong> Ihnen selbst initiierten strafrechtlichen Konsequenzen, <strong>und</strong> die fiktive<br />
ausgeübte Gewalt <strong>im</strong> Paintballspiel zieht keine aggressiven Handlungen außerhalb <strong>de</strong>s Spiel-<br />
fel<strong>de</strong>s nach sich. Der soziale Charakter <strong>von</strong> Gewalt ist darum <strong>von</strong> an<strong>de</strong>ren Gewaltformen zu-<br />
nächst einmal verschie<strong>de</strong>n. Er <strong>im</strong>pliziert <strong>de</strong>n Verzicht auf Rache <strong>und</strong> Vergeltung, einer mög-<br />
lichen Eskalation wird auf diese Weise vorgebeugt.<br />
Bedingung ist hier jedoch die Freiwilligkeit <strong>de</strong>r Teilnahme <strong>und</strong> die Reversibilität <strong>de</strong>r Folgen.<br />
Begrenzte Aggression wird durch eine vorausgehen<strong>de</strong> Vereinbarung legit<strong>im</strong>iert. Das generelle<br />
Verbot <strong>de</strong>r privaten Gewaltanwendung wird durch Einwilligung <strong>und</strong> einem vereinbarten Ra-<br />
cheverzicht gleichsam ausgetrickst. Basis ist die Etablierung einer Spezialkultur zum Aus-<br />
agieren <strong>de</strong>r Affekte mit eigenen Regeln, Distinktionen <strong>und</strong> Kontrollen.<br />
Abschließend gilt festzuhalten, dass die hier referierten Beispiele die Thesen über <strong>de</strong>n Zivili-<br />
sationsprozess <strong>im</strong> Sinne einer zunehmen<strong>de</strong>m Affektkontrolle keineswegs revidieren. In allen<br />
Szenen wird ein hohes Maß an Selbstkontrolle offensichtlich; bei solchen Gewaltritualen han-<br />
<strong>de</strong>lt es sich um höchst rational herbeigeführte Erlebnistechniken, die soziale Folgenlosigkeit<br />
<strong>und</strong> Abgrenzung vom Alltag sicherstellen (auch wenn dies - das zeigt das Beispiel <strong>de</strong>r Hooli-<br />
gans in Lens - nicht <strong>im</strong>mer gelingt). Für alle gilt, dass reflektiertes Han<strong>de</strong>ln zugr<strong>und</strong>egelegt<br />
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