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Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de

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Erlebens absichtsvoll herbeiführen <strong>und</strong> an best<strong>im</strong>mte Anlässe geb<strong>und</strong>en sind. In <strong>de</strong>r säkulari-<br />

sierten Welt fallen sie zunächst <strong>de</strong>m Diktat <strong>de</strong>r Rationalität zum Opfer <strong>und</strong> verschwin<strong>de</strong>n<br />

ganz aus <strong>de</strong>m Alltag <strong>de</strong>s zivilisierten Individuums 139 o<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n in die Bereiche subversiver<br />

Enklaven abgedrängt. Im Unterschied zur Alltagsbezogenheit <strong>de</strong>r Außeralltäglichkeit trans-<br />

zendiert die Ekstase <strong>de</strong>n Alltag in die ‘Hypertrophie <strong>de</strong>s Präsens’ (vgl. Hahn 1976) <strong>und</strong> die<br />

Referenzlosigkeit <strong>de</strong>s Erlebens. 140 Die Differenz <strong>von</strong> Außeralltäglichkeit <strong>und</strong> <strong>Grenzerfahrung</strong><br />

markiert <strong>de</strong>shalb - bezogen auf <strong>de</strong>n Sadomasochismus - auch unterschiedliche Gra<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Par-<br />

tizipation, <strong>de</strong>nn nicht je<strong>de</strong>r will Grenzen überschreiten, manchen genügt schon die Außerall-<br />

täglichkeit.<br />

Die zentralen Werte <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen westlichen Welt sind Freiheit, Gleichheit <strong>und</strong> Solidarität,<br />

die die Basis für persönliche Selbstbest<strong>im</strong>mung (pursuit of happiness <strong>im</strong> Sinne <strong>de</strong>r amerikani-<br />

schen Unabhängigkeitserklärung) bil<strong>de</strong>n. Zwei <strong>von</strong> ihnen wer<strong>de</strong>n durch die sadomasochisti-<br />

schen Spezialkulturen herausgefor<strong>de</strong>rt. Kann man freiwillig das Spiel <strong>de</strong>r Unfreiheit wählen,<br />

kann unter Gleichen ein Vertrag über Ungleichheit geschlossen wer<strong>de</strong>n? Ist jemand berech-<br />

tigt, auf seine körperliche Unversehrtheit zu verzichten? Vieles in <strong>de</strong>r Beurteilung wird da<strong>von</strong><br />

abhängen, ob Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit, die vor <strong>de</strong>r ‘Klammer’, vor <strong>de</strong>m ‘Spiel’ stehen, nicht<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich aufgegeben wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r herstellbar sind. Vieles in <strong>de</strong>r Beur-<br />

teilung dürfte da<strong>von</strong> abhängen, ob die körperlichen Beeinträchtigungen prinzipiell reversibel<br />

sind.<br />

In zivilisationstheoretischer Perspektive stellt sich hier jedoch noch eine an<strong>de</strong>re Frage. Sadis-<br />

tische <strong>und</strong> masochistische Impulse haben in Religion <strong>und</strong> Erziehung, in Militär <strong>und</strong> Polizei -<br />

das Aufsichnehmen <strong>von</strong> Lei<strong>de</strong>n; das extrem sozialfre<strong>und</strong>liche Motiv <strong>de</strong>s Sich-Aufopferns für ein I<strong>de</strong>al (...)<br />

wur<strong>de</strong> zu einem Hauptinhalt <strong>de</strong>r Überlieferung, <strong>de</strong>r Kunst, <strong>de</strong>r Gebete. Dadurch kam es zu einer beträchtlichen<br />

Verklärung <strong>de</strong>s Themas Grausamkeit."<br />

139 Gelpke (1982, S. 141f) ver<strong>de</strong>utlicht dies am Beispiel <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>von</strong> Rausch <strong>und</strong> Ekstase <strong>im</strong> Orient <strong>und</strong><br />

Okzi<strong>de</strong>nt: "Diese technische Zivilisation ist ihrem ganzen Wesen nach funktionalistisch; <strong>und</strong> das einzige, allgemein<br />

verbindliche Kriterium, an <strong>de</strong>m die mo<strong>de</strong>rne Gesellschaft das Individuum mißt, ist mehr <strong>und</strong> mehr<br />

<strong>de</strong>ssen sozialer Funktionswert. Rausch wie Eros aber sind - ihrem eigentlichen, die Grenzen <strong>de</strong>s bloß Funktionellen<br />

sprengen<strong>de</strong>n Wesen nach - transzen<strong>de</strong>nt. Ihr gemeinsamer Nenner heißt Ekstase. Das aber ist etwas,<br />

was wohl in die orientalischen <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re außereuropäischen Gesellschaften integriert wor<strong>de</strong>n ist, keineswegs<br />

aber in die Zivilisation <strong>de</strong>s Westens. Deren ganzer, so extrem auf Leistung <strong>und</strong> Zweck<strong>de</strong>nken ausgerichteter<br />

Funktionalismus, <strong>de</strong>ren linear <strong>und</strong> ad infinitum in <strong>de</strong>n Zeitablauf projizierte Fortschrittsgläubigkeit,<br />

schließen ein tieferes Verständnis, eine geistige Durchdringung <strong>und</strong> existentielle Bejahung <strong>de</strong>s Phänomens<br />

<strong>de</strong>r Ekstase zwangsläufig aus."<br />

140 Csikszentmihalyi (1987, S. 59) beschreibt diesen Zustand als 'flow' <strong>und</strong> bemerkt dazu: "Im flow-Zustand<br />

folgt Handlung auf Handlung, <strong>und</strong> zwar nach einer inneren Logik, welche kein bewußtes Eingreifen <strong>von</strong> Seiten<br />

<strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n zu erfor<strong>de</strong>rn scheint. Er erlebt <strong>de</strong>n Prozeß als ein einheitliches 'Fließen' <strong>von</strong> einem Augenblick<br />

zum nächsten, wobei er Meister seines Han<strong>de</strong>ln ist <strong>und</strong> kaum eine Trennung zwischen sich <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Umwelt, zwischen St<strong>im</strong>ulus <strong>und</strong> Reaktion, o<strong>de</strong>r zwischen Vergangenheit, Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft verspürt."<br />

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