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Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de

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schung abverlangt. So kann das Ausleben <strong>de</strong>r Affekte als eine Reaktion auf die Verhaltens-<br />

normen <strong>de</strong>s Alltags, die ein beständiges, vernunft- <strong>und</strong> zweckorientiertes Han<strong>de</strong>ln for<strong>de</strong>rn,<br />

verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Die Vergegenwärtigung <strong>de</strong>r zivilisatorischen Transformationen seit <strong>de</strong>m<br />

Beginn <strong>de</strong>r Neuzeit, wie Elias (1976) sie untersucht hat, ver<strong>de</strong>utlichen diese Funktion. Elias<br />

zufolge ist <strong>de</strong>r Affekthaushalt <strong>de</strong>s heutigen Individuums durch best<strong>im</strong>mte soziale <strong>und</strong> kultu-<br />

relle Einflüsse geprägt wor<strong>de</strong>n, was er exemplarisch an <strong>de</strong>r höfischen Gesellschaft darstellt.<br />

Waren unmittelbare <strong>und</strong> spontane Affekte in vormo<strong>de</strong>rner Zeit durchaus übliche <strong>und</strong> akzep-<br />

tierte Verhaltensformen, so sind es heute vor allem das rationale Kalkül <strong>und</strong> die Selbstkon-<br />

trolle, die <strong>de</strong>n Umgang mit an<strong>de</strong>ren Menschen prägen.<br />

Für diese psychogenetischen Verän<strong>de</strong>rungen macht Elias gr<strong>und</strong>legen<strong>de</strong> gesellschaftliche<br />

Umwälzungen verantwortlich. 131 Gesellschaften auf einem höheren Komplexitäts- <strong>und</strong> Inter-<br />

<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nzniveau sind ohne ein stabiles Gewaltmonopol nicht <strong>de</strong>nkbar. Die individuelle Ge-<br />

walthandlung wird zu einer Bedrohung <strong>de</strong>r allgemeinen Befriedung. Deswegen sind Gewalt<br />

<strong>und</strong> Aggression durch ein strenges Normkorsett begrenzt <strong>und</strong> nur <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r seine Affekte<br />

unter Kontrolle hat, braucht keine negative Sanktionen zu befürchten. Dem unkontrollierten<br />

<strong>und</strong> unberechenbaren Individuum droht hingegen Bestrafung <strong>und</strong> Kasernierung. Aber nicht<br />

nur hinsichtlich aggressiver Affektäußerungen wird <strong>de</strong>m einzelnen Menschen ein best<strong>im</strong>mtes<br />

Verhalten abverlangt, son<strong>de</strong>rn auch in bezug auf sein ganzes Verhalten. Es errichtete sich -<br />

um mit Foucault (1977, S. 230) zu sprechen - eine "Mikro-Justiz <strong>de</strong>r Zeit (Verspätungen,<br />

Abwesenheiten, Unterbrechungen), <strong>de</strong>s Körpers (falsche Körperhaltungen <strong>und</strong> Gesten, Un-<br />

sauberkeit), <strong>de</strong>r Sexualität (Unanständigkeit, Schamlosigkeit)." Das zunächst äußere Zwangs-<br />

system verän<strong>de</strong>rt sich evolutionär mehr <strong>und</strong> mehr in einen Selbstzwang <strong>und</strong> funktioniert<br />

gleichsam als internalisierter Automatismus. Das zivilisierte, ‘triebgedämpfte’ Verhalten er-<br />

scheint als natürlich.<br />

Elias (1976, S. 328f) folgert nun weiter, dass das Erleben <strong>von</strong> Affekten abgeschwächt <strong>und</strong><br />

neutralisiert wird: "Wie die Monopolisierung <strong>de</strong>r physischen Gewalt die Angst <strong>und</strong> <strong>de</strong>n<br />

Schrecken verringert, die <strong>de</strong>r Mensch vor <strong>de</strong>m Menschen haben muß, aber zugleich auch die<br />

Möglichkeit, An<strong>de</strong>ren Schrecken, Angst, o<strong>de</strong>r Qual zu bereiten, also die Möglichkeit zu be-<br />

st<strong>im</strong>mten Lust- <strong>und</strong> Affektentladungen, so sucht auch die stetige Selbstkontrolle, an die nun<br />

<strong>de</strong>r Einzelne mehr <strong>und</strong> mehr gewöhnt wird, die Kontraste <strong>und</strong> plötzlichen Umschwünge <strong>im</strong><br />

Verhalten, die Affektgela<strong>de</strong>nheit aller Äußerungen gleichermaßen zu verringern. Wozu <strong>de</strong>r<br />

Einzelne nun gedrängt wird, ist eine Umformung <strong>de</strong>s ganzen Seelenhaushalts <strong>im</strong> Sinne einer<br />

131 Einen allgemeinen Überblick zu <strong>de</strong>n komplexen Transformationen <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne geben auch: Aries/Duby<br />

(1990); Beck (1986); Beck/Beck-Gernshe<strong>im</strong> 1990; Brau<strong>de</strong>l (1985); Hahn (1984); Luhmann (1984); Tenbruck<br />

(1989).<br />

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