Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de
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1991) <strong>und</strong> Winter (1995) beschrieben wer<strong>de</strong>n. Der Sport bzw. Kampfsportarten wie Catchen,<br />
Ringen, Boxen o<strong>de</strong>r Fechten sind weitere Beispiele <strong>de</strong>r Manifestation <strong>von</strong> Gewalt. Schließlich<br />
sehen wir in jugendkulturellen Szenen, dass Gewalt als Selbstzweck inszeniert <strong>und</strong> als Mittel<br />
<strong>de</strong>r Distinktion eingesetzt wird (vgl. Eckert u.a. 2000).<br />
Gewalt ist aber keineswegs ausschließlich ein Phänomen unserer Zeit bzw. unseres westlichen<br />
Kulturkreises. Ihre Verbreitung <strong>und</strong> Kultivierung <strong>im</strong> Alltag, <strong>im</strong> Krieg o<strong>de</strong>r in Opferritualen<br />
wird <strong>von</strong> Anthropologen, Ethnologen <strong>und</strong> Historikern beschrieben. Gay (2000) beschäftigt<br />
sich mit <strong>de</strong>n vielfältigen, individuellen <strong>und</strong> kollektiven, Erscheinungsformen ‘kultivierter’<br />
Gewalt in <strong>de</strong>r bürgerlichen Gesellschaft <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Einen Überblick über <strong>de</strong>n Um-<br />
gang mit Gewalt in unterschiedlichen historischen Epochen <strong>und</strong> geographischen Regionen<br />
liefern Sieferle/Breuninger (1998). 130 In seinem ‘Traktat über die Gewalt’ spricht Sofsky vom<br />
gewaltdisponierten Gattungswesen Mensch. An verschie<strong>de</strong>nen historischen Beispielen erläu-<br />
tert er unterschiedliche Formen <strong>und</strong> Eskalationsmechanismen <strong>de</strong>r Gewalt, die zu einer „ent-<br />
grenzten Freiheit“ wird, sobald nur alle Zwecke <strong>und</strong> Disziplinierungen abgestreift sind. Die<br />
„menschliche Bestialität“ könne we<strong>de</strong>r kulturell durch die jeweiligen Sitten noch individuell<br />
durch psychische Dispositionen <strong>de</strong>r Täter erklärt wer<strong>de</strong>n; Sofsky geht vielmehr <strong>von</strong> Gewalt-<br />
faszination <strong>im</strong> Sinne einer anthropologischen Konstante aus:<br />
„Alle Aspekte menschlichen Han<strong>de</strong>lns können sich in einer Bluttat vereinigen. Da<br />
ist <strong>de</strong>r Genuß <strong>de</strong>r Ausschweifung, das Hohngelächter über das Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Opfer,<br />
die Entgrenzung <strong>de</strong>s Affektes. Da ist die gleichgültige Gewohnheit, das wie<strong>de</strong>rholte<br />
Ritual <strong>de</strong>r Inszenierung, <strong>de</strong>r regelmäßige Ablauf <strong>de</strong>s Schlachtfestes. Da ist<br />
die Kreativität <strong>de</strong>s Exzesses, die Geselligkeit <strong>de</strong>r Mör<strong>de</strong>r, die Zusammenarbeit <strong>de</strong>r<br />
Spießgesellen <strong>und</strong> Zuträger, <strong>und</strong> da ist nicht zuletzt <strong>de</strong>r erfolgreiche Plan, <strong>de</strong>r<br />
Kalkül, die Rationalität <strong>de</strong>r Grausamkeit“ (ebd. S. 49). Die Entgrenzung <strong>de</strong>r Gewalt<br />
wird durch ihre „Ordnung“ reguliert bzw. unterdrückt, doch die „Lei<strong>de</strong>nschaft“<br />
hat weiterhin Bestand: „Auf die alten Triebkräfte mag auch <strong>de</strong>r Staat nicht<br />
verzichten. Er stellt die Affekte in seinen Dienst <strong>und</strong> läßt sie bei Gelegenheit frei.<br />
Dem zuverlässigen Soldaten steht <strong>de</strong>r wil<strong>de</strong> Berserker zur Seite, die organisierte<br />
Razzia wird <strong>von</strong> einer lynchen<strong>de</strong>n Straßenmeute angefeuert, die kühle Grausamkeit<br />
<strong>de</strong>s Vollstreckers gewinnt Elan durch die Hitze <strong>de</strong>s Aktionsexzesses“ (ebd. S.<br />
22).<br />
Mit Eibl/Eibesfeld (1976) ist da<strong>von</strong> auszugehen, dass Aggression <strong>und</strong> Sexualität gleichsam<br />
zur Gr<strong>und</strong>ausstattung eines je<strong>de</strong>n Menschen gehört. Ihre Inszenierung <strong>und</strong> Kontrolle jedoch<br />
steht <strong>im</strong> <strong>Kontext</strong> <strong>de</strong>r Zivilisationsgeschichte, die <strong>de</strong>n Menschen eine <strong>im</strong>mer stärkere Beherr-<br />
130 Vgl. auch: Colpe/Schmidt-Biggemann (1993); Sorel (1981) sowie <strong>de</strong>n historischen Abriss medialer Gewaltdarstellungen,<br />
<strong>de</strong>n Hartwig (1986) in seiner Publikation „Die Grausamkeit <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r“ untern<strong>im</strong>mt. Einen<br />
ausführlichen Überblick über Gewalt in Opferritualen liefert Girard (1992).<br />
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