Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de

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11.11.2012 Aufrufe

3.1 Herkunft und aktuelle Lebenssituation Familie ‘Meine’ Hooligans stammen aus sehr unterschiedlichen Familienverhältnissen. Die sozialen Herkunftslagen reichen von den unteren Schichten bis hin zum Großbürgertum und Unter- nehmerfamilien. Informationen aus Gesprächen mit der Polizei und Straßensozialarbeitern, aber auch meine eigenen Recherchen zeigen, dass dabei das ganze Spektrum von ‘normalen’ bis hin zu sehr problematischen Familiengeschichten vertreten ist. Einer der Befragten, der zum Untersuchungszeitpunkt gerade eine Umschulung im Handwerk machte, ist im Heim aufgewachsen, weil ihn seine Eltern - wie er sagt - ‘nicht erziehen konnten und abgeschoben haben’. So sei er ‘auf die schiefe Bahn geraten’, habe Kontakte in die kriminelle Szene bis hin zur organisierten Kriminalität. Zum Zeitpunkt meines letzten Gespräches erwartete ihn ein Verfahren wegen versuchten Mordes. Er gab an, dass seine reichen Eltern gute Kontakte zum Gericht hätten und „wohl wegen ihres schlechten Gewissens“ eine Kaution für ihn hinterlegt hatten. So müsse er bis zur Verhandlung nicht in Untersuchungshaft. Dies wurde von den anderen Gruppenmitgliedern bestätigt. Typischer scheinen allerdings konventionelle Verhältnisse zu sein, wie das folgende Beispiel stellvertretend zeigt. Es handelt sich um einen jungen Mann, der religiös erzogen wurde, was hier als Hinweis auf traditionell orientierte und ‘geordnete’ Familienverhältnisse interpretiert werden kann. A: Ich bin sehr streng katholisch erzogen worden, also war mal Messdiener. F: Ja. A: Ja, ich musste jeden Sonntag in die Kirche gehen, bis ich 14, 15 war, mit Freunden dann statt zum Gottesdienst zu gehen, in ‘ne Kneipe gegangen bin und geflippert habe und so, und als ich dann nach Hause kam und mein Vater gefragt hat, was der Pfarrer gepredigt hat, und ich mir ja was ausgedacht habe und dann entweder Druck gekriegt habe, weil es nicht stimmte oder, irgendwann haben’s denn mal aufgegeben, dass ich also in die Kirche gehe und Messdiener mache und so weiter und so fort. Gläubig bin ich eigentlich auch, kann man sagen, aber deswegen muss ich nicht jeden Tag in die Kirche rennen. Ich geh eigentlich nur in die Kirche, wenn mal ‘ne Hochzeit ist oder ‘ne Taufe, Konfirmation, Kommunionfeier, ansonsten eigentlich nicht. Hat aber nach meiner Ansicht nichts mit dem Glauben zu tun. Irgendwo glaube ich, dass es so was gibt, aber, ja, warum auch nicht? Beten tu ich eigentlich nicht, brauche ich net (lacht). 256

In der Interviewpassage wird die Akzeptanz des Jugendlichen in Bezug auf gesellschaftliche und religiöse Bräuche (z.B. Taufe, Konfirmation, Hochzeit) und damit auch seine Veranke- rung ins ‘normale Leben’ deutlich. Solche Ereignisse werden nicht in Zweifel gezogen, son- dern als das ‘Fraglose’ (Schütz/Luckmann 1979) hingenommen. Dies weist ebenso auf eine Integration hin wie die Aussagen, die ich (nicht nur von diesem Jugendlichen) über die Zu- kunftsvorstellungen bezüglich des privaten Lebens erhalten habe. Familie gründen, Kinder haben, Haus bauen, Auto besitzen, regelmäßig in Urlaub fahren und seinen Hobbys nachge- hen können - das sind die Eckpunkte der Lebensplanung. Die älteren Hooligans sind teilweise verheiratet, haben Kinder und üben einen Beruf aus. A: Was mach ich? Montags pass’ ich normalerweise auf meine Zwerge auf abends, weil meine Lebensgefährtin ja bis zehn Uhr arbeitet, dienstags geh ich normal zum Training, Fußballtraining, donnerstags auch, freitags zieh ich um die Häuser, bisschen tanzen gehen oder Billard spielen gehen. Oder es passiert ja auch mal, dass freitags dann Fußball ist, geht ja von Freitag bis Sonntag, kommt drauf an. Aber wenn freitags oder sonntags Fußball ist, bin ich samstags zu Hause meist abends, muss ich nicht haben, dass ich weggehe. Ja, und sonntags spiel ich meist selber Fußball oder ich geh dann ins Stadion, es kommt drauf an, was für’n Spiel, also en ganz normales Freizeitverhalten, mal Sauna, Schwimmen. Das Übliche, Normale. Dass hier eine ausgesprochen konventionelle Orientierung vorliegt, wird immer wieder deut- lich. So betonen die Befragten mehrfach, dass es sich bei ihnen in erster Linie nicht um rand- ständige Personen, gescheiterte Existenzen oder ‘Verlierer’ handelt: A: Ehm, wichtig vor allen Dingen zu schreiben wäre, dass Hooligans aus allen Schichten kommen, sogar weniger aus den untersten Schichten, also mehr aus der Normalbürgerschicht und auch obersten Schicht, dass die eigentlich nur sich austoben beim Fußball, das heißt also, im normalen bürgerlichen Leben ganz normale Leute sind, die ihrer Arbeit nachgehen, die auch Familie und Kinder haben, die eigentlich so, ist zwar übertrieben, aber sonst keiner Fliege was zuleide tun. In einem Punkt wird die ‘Normalität’ des bürgerlichen Lebens allerdings aufgebrochen: Das Wochenende und seine ‘Ausbruchsversuche’ (vgl. Cohen & Taylor 1977) in Form des Hooli- ganismus. Dies ist im vorliegenden Interviewbeispiel auch in anderer Sicht interessant. Zu- mindest bei diesem ‘Fußballrowdie’ trifft das typische Austrittsmuster aus Subkulturen, näm- lich über eine feste Partnerschaft, nicht zu. Trotz Ehe und Kindern verbleibt er noch in der Szene. 257

In <strong>de</strong>r Interviewpassage wird die Akzeptanz <strong>de</strong>s Jugendlichen in Bezug auf gesellschaftliche<br />

<strong>und</strong> religiöse Bräuche (z.B. Taufe, Konfirmation, Hochzeit) <strong>und</strong> damit auch seine Veranke-<br />

rung ins ‘normale Leben’ <strong>de</strong>utlich. Solche Ereignisse wer<strong>de</strong>n nicht in Zweifel gezogen, son-<br />

<strong>de</strong>rn als das ‘Fraglose’ (Schütz/Luckmann 1979) hingenommen. Dies weist ebenso auf eine<br />

Integration hin wie die Aussagen, die ich (nicht nur <strong>von</strong> diesem Jugendlichen) über die Zu-<br />

kunftsvorstellungen bezüglich <strong>de</strong>s privaten Lebens erhalten habe. Familie grün<strong>de</strong>n, Kin<strong>de</strong>r<br />

haben, Haus bauen, Auto besitzen, regelmäßig in Urlaub fahren <strong>und</strong> seinen Hobbys nachge-<br />

hen können - das sind die Eckpunkte <strong>de</strong>r Lebensplanung. Die älteren Hooligans sind teilweise<br />

verheiratet, haben Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> üben einen Beruf aus.<br />

A: Was mach ich? Montags pass’ ich normalerweise auf meine Zwerge auf abends,<br />

weil meine Lebensgefährtin ja bis zehn Uhr arbeitet, dienstags geh ich<br />

normal zum Training, Fußballtraining, donnerstags auch, freitags zieh ich um die<br />

Häuser, bisschen tanzen gehen o<strong>de</strong>r Billard spielen gehen. O<strong>de</strong>r es passiert ja auch<br />

mal, dass freitags dann Fußball ist, geht ja <strong>von</strong> Freitag bis Sonntag, kommt drauf<br />

an. Aber wenn freitags o<strong>de</strong>r sonntags Fußball ist, bin ich samstags zu Hause meist<br />

abends, muss ich nicht haben, dass ich weggehe. Ja, <strong>und</strong> sonntags spiel ich meist<br />

selber Fußball o<strong>de</strong>r ich geh dann ins Stadion, es kommt drauf an, was für’n Spiel,<br />

also en ganz normales Freizeitverhalten, mal Sauna, Schw<strong>im</strong>men. Das Übliche,<br />

Normale.<br />

Dass hier eine ausgesprochen konventionelle Orientierung vorliegt, wird <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ut-<br />

lich. So betonen die Befragten mehrfach, dass es sich bei ihnen in erster Linie nicht um rand-<br />

ständige Personen, gescheiterte Existenzen o<strong>de</strong>r ‘Verlierer’ han<strong>de</strong>lt:<br />

A: Ehm, wichtig vor allen Dingen zu schreiben wäre, dass Hooligans aus allen<br />

Schichten kommen, sogar weniger aus <strong>de</strong>n untersten Schichten, also mehr aus <strong>de</strong>r<br />

Normalbürgerschicht <strong>und</strong> auch obersten Schicht, dass die eigentlich nur sich austoben<br />

be<strong>im</strong> Fußball, das heißt also, <strong>im</strong> normalen bürgerlichen Leben ganz normale<br />

Leute sind, die ihrer Arbeit nachgehen, die auch Familie <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>r haben, die<br />

eigentlich so, ist zwar übertrieben, aber sonst keiner Fliege was zulei<strong>de</strong> tun.<br />

In einem Punkt wird die ‘Normalität’ <strong>de</strong>s bürgerlichen Lebens allerdings aufgebrochen: Das<br />

Wochenen<strong>de</strong> <strong>und</strong> seine ‘Ausbruchsversuche’ (vgl. Cohen & Taylor 1977) in Form <strong>de</strong>s Hooli-<br />

ganismus. Dies ist <strong>im</strong> vorliegen<strong>de</strong>n Interviewbeispiel auch in an<strong>de</strong>rer Sicht interessant. Zu-<br />

min<strong>de</strong>st bei diesem ‘Fußballrowdie’ trifft das typische Austrittsmuster aus Subkulturen, näm-<br />

lich über eine feste Partnerschaft, nicht zu. Trotz Ehe <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>rn verbleibt er noch in <strong>de</strong>r<br />

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