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Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de

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Im Hinblick auf diese Art <strong>de</strong>r Argumentation resp. <strong>de</strong>s Vergleichs mit Sportarten wie Boxen<br />

o<strong>de</strong>r Fechten verweist Binhack (1998, S. 120) in seiner ‚sportwissenschaftlichen Analyse’ 121<br />

auf einen seiner Meinung nach <strong>de</strong>utlichen ‘problematischen’ Unterschied, <strong>de</strong>r nämlich in <strong>de</strong>r<br />

wesentlich größeren Kampfdistanz be<strong>im</strong> Paintball/Gotcha bestün<strong>de</strong>: „Diese ist per se schon<br />

abstrakter als die Nähe <strong>de</strong>s ‘Auge in Auge“ mit <strong>de</strong>m Gegner, die ihn in seiner Körperlichkeit<br />

(...), mit einem Wort in seinem ‘Menschsein’ ganz konkret erfahrbar macht. (...) Er [<strong>de</strong>r Geg-<br />

ner; L.S.] wird verstärkt wahrgenommen als austauschbare, schemenhafte Figur, als bewegli-<br />

ches Ziel, das es als ‘ten<strong>de</strong>nzielles Neutrum’ gegen <strong>de</strong>ssen Wi<strong>de</strong>rstand zu ‘neutralisieren’ gilt.<br />

(...) Während an<strong>de</strong>ren Kampfsportarten stets ein struktureller Beziehungscharakter zugr<strong>und</strong>e<br />

liegt, lässt es die Struktur <strong>de</strong>s Gotcha-Spiels zu, daß man gera<strong>de</strong> bei seiner effizientesten Aus-<br />

führung gar keine unmittelbare Kampfbeziehung mehr eingehen muss. Völlig an<strong>de</strong>rs als bei-<br />

spielsweise das klassische Duell, das auch als Pistolenduell stets Ausdruck eines offenen, ak-<br />

tiven, reziprok-antagonistischen Kampfes zur Demonstration <strong>von</strong> Ehrenhaftigkeit war, legt<br />

das Gotcha-Spiel ein sehr effektives, überfallartiges Schießen aus <strong>de</strong>m Hinterhalt nahe (...).“<br />

Mit dieser Art <strong>de</strong>r Interpretation konfrontiert, argumentiert <strong>de</strong>r Teamcaptain <strong>de</strong>r Devils:<br />

A: Ja, sicher - fehlen<strong>de</strong> Distanz. Erstens hab’ ich keinen Feind o<strong>de</strong>r kein Opfer,<br />

son<strong>de</strong>rn einen Wettkampfgegner. Und zweitens: Klasse, be<strong>im</strong> Boxen seh ich <strong>de</strong>n<br />

vor mir, <strong>de</strong>r mir gera<strong>de</strong> das Nasenbein gebrochen hat <strong>und</strong> bekomme einen Hass<br />

auf <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r mir die Fresse poliert. Und außer<strong>de</strong>m: Warum zielt Paintball auf Töten<br />

<strong>und</strong> Fechten nicht? Wo gibt es <strong>de</strong>nn be<strong>im</strong> Fechten die meisten Punkte. Doch<br />

nicht für <strong>de</strong>n dicken Zeh. Das Fechten ist - wenn man <strong>de</strong>nn <strong>von</strong> Nachahmung <strong>de</strong>s<br />

Tötens spricht - doch genauso. Die meisten Punkte gibt es doch für die Brust.<br />

Aus soziologisch-ethnographischer Perspektive scheint ein Vergleich mit <strong>de</strong>m realen Hecken-<br />

schützenwesen, wie Binhack ihn untern<strong>im</strong>mt, <strong>von</strong> (zumin<strong>de</strong>st einem Teil) <strong>de</strong>r Strategie <strong>de</strong>s<br />

Paintballspiels her zulässig (schießen, in Deckung gehen). Aber - <strong>und</strong> das ist ein wesentlicher<br />

Unterschied - <strong>de</strong>r fiktive Charakter, die Einbindung in einen sozialen Rahmen (Das ‘Vorher’<br />

<strong>und</strong> ‘Nachher’) <strong>und</strong> <strong>de</strong>r spielerische Charakter (hier: Organisierte Turniere, Sicherheitsmaß-<br />

nahmen) dürfen in einer objektiven Diskussion nicht außer Acht gelassen wer<strong>de</strong>n. Konse-<br />

quent zu En<strong>de</strong> gedacht vergleicht Binhack die Fiktion <strong>de</strong>s Gotchaspiels mit <strong>de</strong>r Abstraktheit<br />

mo<strong>de</strong>rner Kriegsführung, wonach <strong>de</strong>r Gegner nicht mehr mit eigenen Hän<strong>de</strong>n getötet wer<strong>de</strong>n<br />

muss, son<strong>de</strong>rn aufgr<strong>und</strong> hochtechnisierter Waffensysteme per Knopfdruck <strong>und</strong> aus <strong>de</strong>m Hin-<br />

121 Erwähnen möchte ich an dieser Stelle, dass Binhacks Arbeit mehr einem moralischen Postulat als einer wissenschaftlich<br />

wert-neutral formulierten Analyse gleicht. Er beruft sich zu<strong>de</strong>m (mit Ausnahme <strong>von</strong> zwei persönlichen<br />

Gesprächen mit Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Gotchaszene) ausschließlich auf Kurzberichte in <strong>de</strong>utschen TV-<br />

Kultur- <strong>und</strong> Nachrichtenmagazinen aus <strong>de</strong>n Jahren 1993/1994 sowie die Frankfurter Zeitung vom<br />

05.12.1994. Insgesamt erliegt er oberflächlichen, moralisch-gefälligen Interpretationsangeboten <strong>und</strong> vermag<br />

es nicht, dass Phänomen Paintball in seiner Komplexität zu erfassen.<br />

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