Außeralltäglichkeit und Grenzerfahrung im Kontext von ... - PBportal.de
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Insbesondere in den Arbeiten der Psychoanalytikerinnen Helene Deutsch und Marie Bonapar- te werden diese Thesen fortgeführt. In der Einleitung zu ihrem ersten Band über die Psycho- logie der Frau beschreibt Deutsch (1948, S. 5) „Narzismus, Passivität und Masochismus“ als die „drei wesentlichen Züge der Weiblichkeit.“ Aktivität sieht sie dagegen als Domäne des Mannes. So fährt sie in ihren Ausführungen über die weibliche Sexualität (ebd. S. 199ff) wie folgt fort: „Die Anschauung (...), dass für den psychologischen Begriff ‚Weiblichkeit’ zwei Eigenschaften charakteristisch sind, nämlich: Passivität und Masochismus, hat sich durch jahrelange klinische Erfahrungen sowie durch direkte Beobachtungen an Tieren weiter befes- tigt. (...) Wenn ich also auch ohne Weiteres die Bedeutung äusserer Einflüsse auf die Stellung des Weibes anerkenne, so halte ich doch daran fest, dass in quantitativ wechselnder Vertei- lung und in verschiedenen Äußerungsformen die Grundeinheit: Weiblich-passiv, Männlich- aktiv in allen unserer Beobachtung zugänglichen Kulturen, Nationen und Rassen als individu- elle Eigenschaft der Geschlechter erhalten ist.“ Wenn Deutsch auch ausdrücklich darauf hin- weist, dass der weibliche Masochismus nicht mit der bewussten sexuellen Perversion des Ma- sochisten verwechselt werden darf (ebd. S. 219), so sind ihrer Meinung nach die Erfahrungen der Frau im Geschlechtsverkehr, bei der Geburt und sogar in der Mutter-Kind-Beziehung mit masochistischer Lust verbunden. Ähnlich argumentiert Bonaparte (1935, S. 24) wenn sie be- hauptet, der Masochismus sei eigentlich feminin. Für sie ist „die Frau bezüglich der eigentli- chen Fortpflanzungsfunktionen - Menstruation, Defloration, Schwangerschaft und Entbin- dung - schon biologisch dem Schmerz geweiht. Die Natur scheint ohne Bedenken dem Weibe Schmerz - und zwar in hohen Dosen - aufzuerlegen, da es nur passiv den vorgeschriebenen Ablauf zu erdulden hat.“ Die Annahme einer primär passiven Verhaltensdisposition bei Frauen als gleichsam anthropo- logisches Merkmal ist für Krafft-Ebing und die anderen Vertreter der frühen Sexualwissen- schaft wie auch Freud und die Psychoanalyse charakteristisch. Bezogen auf das Phänomen des Sadomasochismus wird dies an der begrifflichen Einengung auf den Masochismus augen- scheinlich. Die Möglichkeit eines weiblichen Sadismus wird von vornherein ausgeklammert. Einige Vertreter der Psychoanalyse betonen kulturelle Aspekte und kritisieren diese Auffas- sungen. So revidiert Horney (1934, S. 390) als eine der ersten die Annahmen über die natürli- che Passivität und den Masochismus der Frau: „Weibliche Züge sind, obwohl an und für sich nicht masochistischer Natur, geeignet zum Ausdruck masochistischer Züge; diese hingegen kommen von Quellen, die mit Feminität nichts zu tun haben. Die Bereitwilligkeit, mit der der Masochismus sich mit weiblichen Zügen verknüpft, ist zwei Faktoren zuzuschreiben, deren jeder ein eigenes Studium erfordern würde: es sind dies der kulturelle und der biologische Faktor.“ Die kulturellen Aspekte formulierte sie in ihrer späteren Arbeit über die weibliche Psychologie (Horney 1967, S. 232f): “The problem of feminine masochism cannot be related 166
to factors inherent in the anatomical-physiological-psychic chracteristics of woman alone, but must be considered as importantly conditioned by the culture-complex or social organization in which the particular masochistic woman has developed. (...) It is clear, however, that the importance of anatomical-psychological-psychic factors has been greatly overestimated by some writers on this subject.” Ähnlich argumentieren Thompson (1942) und Robertiello (1970) wenn sie darauf hinweisen, dass häufig kulturspezifische Besonderheiten verall- gemeinert wurden, um den Masochismus als normales Verhalten der Frau zu beschreiben. Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass weder Krafft-Ebing noch die verschiedenen Vertreter der Psychoanalyse den Masochismus als bio-psychologisches Schicksal von Frauen haben nachweisen können. Deshalb ist Blum (1981, S. 142) zuzustimmen, wenn er schreibt: „Es gibt keinen Beweis dafür, daß der weibliche Mensch mehr dazu begabt ist, aus Schmerz Lust zu gewinnen (...), es gibt mannigfaltige, wenn nicht zwangsläufig gleiche sadomasochis- tische Tendenzen bei beiden Geschlechtern. (...) Sadomasochismus ist universal in der Menschheit, doch ich würde den Masochismus nicht als ein wesentliches oder organisierendes Attribut der reifen Weiblichkeit ansehen. Hypothesen, die die Weiblichkeit in Ableitung und Funktion als sekundär zur Männlichkeit ansahen, waren mit einem masochistischen Entwick- lungsmodell verbunden. Diese antiquierten Formulierungen beruhten auf beschränkten analy- tischen Daten, Konstruktionen und Entwicklungskenntnissen.“ So ist es nicht verwunderlich, dass auch die Hauptströmung psychoanalytischen Denkens heute die Vorstellung eines weib- lichen Masochismus ablehnt (vgl. Benjamin 1990). Kritik an der Auffassung, wonach Weib- lichkeit, Passivität und Masochismus notwendigerweise zusammengehören, kommt vor allem aus feministischen Denkrichtungen. So schreibt Chodorow (1990, S. 185): „Freud beschrieb nur selten die Entwicklung von Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft. Oft stellte er nur unbegründete Behauptungen auf (...). Die meisten davon sind klinisch absolut unberechtigt. (...) Vielmehr entstanden sie aus unhinterfragten Annahmen einer patriarchalen Kultur, aus Freuds persönlicher Blindheit, seiner Frauenverachtung und seinem Weiberhaß, aus biologi- schen Ableitungen, die durch seine Arbeit nicht gerechtfertigt waren, aus einem patriarchalen Wertsystem und einer Evolutionstheorie, die diese Werte rationalisierte.“ 100 100 Zur ausführlichen Kritik an biologistisch-deterministisch orientierten Erklärungsversuchen weiblicher Passivität/Masochismus seien hier einige Arbeiten genannt: Baker-Miller (1976); Bernard (1981); Burgard/Rommelspacher (1989); Caplan (1986); Hagemann-White (1979); Kaplan (1991); Millet (1974; 1979). 167
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(1970) wenn sie darauf hinweisen, dass häufig kulturspezifische Beson<strong>de</strong>rheiten verall-<br />
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Zusammenfassend muss festgestellt wer<strong>de</strong>n, dass we<strong>de</strong>r Krafft-Ebing noch die verschie<strong>de</strong>nen<br />
Vertreter <strong>de</strong>r Psychoanalyse <strong>de</strong>n Masochismus als bio-psychologisches Schicksal <strong>von</strong> Frauen<br />
haben nachweisen können. Deshalb ist Blum (1981, S. 142) zuzust<strong>im</strong>men, wenn er schreibt:<br />
„Es gibt keinen Beweis dafür, daß <strong>de</strong>r weibliche Mensch mehr dazu begabt ist, aus Schmerz<br />
Lust zu gewinnen (...), es gibt mannigfaltige, wenn nicht zwangsläufig gleiche sadomasochis-<br />
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dass auch die Hauptströmung psychoanalytischen Denkens heute die Vorstellung eines weib-<br />
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aus feministischen Denkrichtungen. So schreibt Chodorow (1990, S. 185): „Freud beschrieb<br />
nur selten die Entwicklung <strong>von</strong> Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft. Oft stellte er nur<br />
unbegrün<strong>de</strong>te Behauptungen auf (...). Die meisten da<strong>von</strong> sind klinisch absolut unberechtigt.<br />
(...) Vielmehr entstan<strong>de</strong>n sie aus unhinterfragten Annahmen einer patriarchalen Kultur, aus<br />
Freuds persönlicher Blindheit, seiner Frauenverachtung <strong>und</strong> seinem Weiberhaß, aus biologi-<br />
schen Ableitungen, die durch seine Arbeit nicht gerechtfertigt waren, aus einem patriarchalen<br />
Wertsystem <strong>und</strong> einer Evolutionstheorie, die diese Werte rationalisierte.“ 100<br />
100 Zur ausführlichen Kritik an biologistisch-<strong>de</strong>terministisch orientierten Erklärungsversuchen weiblicher Passivität/Masochismus<br />
seien hier einige Arbeiten genannt: Baker-Miller (1976); Bernard (1981); Burgard/Rommelspacher<br />
(1989); Caplan (1986); Hagemann-White (1979); Kaplan (1991); Millet (1974; 1979).<br />
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